DFB-Pokal

Aus für den VfL - Gericht sah "keinen Spielraum"

Wolfsburg contra Vierter Offizieller: Eine Partei hat die Unwahrheit gesagt

Aus für den VfL - Gericht sah "keinen Spielraum"

Leistete sich einen Fauxpas: Mark van Bommel.

Leistete sich einen Fauxpas: Mark van Bommel. imago images/regios24

Über fünf Stunden lang tagte das DFB-Sportgericht in mündlicher Verhandlung in der Frankfurter Zentrale, ehe das Urteil feststand: Umkehrung der Spielwertung, die auf dem Rasen noch 3:1 nach Verlängerung für Wolfsburg gelautet hatte. Doch hatte der VfL im Laufe der Verlängerung mit Admir Mehmedi einen sechsten Spieler eingewechselt. Dies war kürzlich in internationalen Spielen, etwa bei der EM und bei Olympia möglich, im DFB-Pokal ist das Wechselkontingent aber weiterhin auf fünf beschränkt. Diese Regelung hatten Wolfsburgs Verantwortliche im entscheidenden Moment nicht auf dem Schirm. Die Folge: Münster siegt mit 2:0 am Grünen Tisch und zieht in die zweite Pokalrunde ein.

Wir sind uns bewusst, dass es die bitterste Entscheidung ist, ein Spiel anders zu bewerten, als es auf dem Rasen ausging.

Stephan Oberholz

Stephan Oberholz, Stellvertretender Vorsitzender des DFB-Sportgerichts, in der Urteilsbegründung: "Wir sind uns bewusst, dass es die bitterste Entscheidung ist, ein Spiel anders zu bewerten, als es auf dem Rasen ausging. Uns bleibt nichtsdestotrotz kein anderer Spielraum. Wir sind davon überzeugt, dass der VfL Wolfsburg bei der Einwechslung maßgeblich eigenverantwortlich und leichtfertig gehandelt und seine Grundpflichten verletzt hat. Für die Ein- und Auswechslung der Spieler ist jeder Verein grundsätzlich verantwortlich. Ebenso dafür, sich über die maßgeblichen Regularien zu informieren. Offenbar gab es da organisatorische Defizite beim VfL Wolfsburg. Damit haben wir den schuldhaften Einsatz eines nicht einsatzberechtigten Spielers."

Was gemäß Bestimmungen zwingend zu einer Umkehrung des Spielergebnisses führt. Der VfL kann gegen das Urteil binnen 24 Stunden Berufung einlegen und wird dies voraussichtlich tun. Geschäftsführer Dr. Tim Schumacher: "Wir sind vom Ausgang enttäuscht, fühlen uns in einigen Punkten aber auch bestätigt. Ein Bundesgericht könnte deshalb noch zu einer anderen Rechtsauffassung kommen." Die Tendenz gehe zu einer Berufung.

Anwalt Schickhardt zielte auf ein Wiederholungsspiel ab

Das Hauptverschulden beim VfL Wolfsburg zu verorten, liegt freilich auf der Hand. Der Klub hätte sich mit den Durchführungsbestimmungen vertraut machen müssen, über die alle Pokalteilnehmer Ende Juli nochmals per Mail vom DFB informiert wurden. Dieses Schreiben ging beim VfL an fünf Personen, unter anderem an Teambetreuer Philipp Wegner, der in Münster mit auf der Bank saß. Weitergeleitet worden war die Info aber weder an Sportdirektor Marcel Schäfer noch an den Trainerstab um Mark van Bommel. Den internen Fauxpas und die eigene Verantwortung gestand Schäfer während der Verhandlung vor Ort unverblümt ein. Die von Anwalt Christoph Schickhardt vertretenen Wölfe hoben indes darauf ab, dass auch die Unparteiischen maßgeblich am Wechselfehler beteiligt waren - und deshalb "allenfalls der Gedanke an ein Wiederholungsspiel das einzig faire Ergebnis wäre" (Schickhardt).

Vierter Offizieller versäumt seine Kontrollfunktion

Dass das Schiedsrichter-Team um Referee Christian Dingert, insbesondere den Vierten Offiziellen Tobias Fritsch, eine Mitverantwortung trifft, war in der Tat ebenfalls unstrittig. "Die Kontrollfunktion hat nicht gegriffen", bestätigte der als Sachverständiger geladene DFB-Regelexperte Lutz Wagner. Der Vierte Offizielle hätte demnach den sechsten Wechsel registrieren und die Wolfsburger auf dessen Unzulässigkeit hinweisen müssen.

Fritsch begründete sein Versäumnis damit, er habe unter Zeitdruck gestanden und sei gedanklich bereits auf den unmittelbar folgenden Eckball fokussiert gewesen. Erst als er die Wechsel in der Halbzeit der Verlängerung auf seine dafür vorgesehenen Kärtchen nachtrug, habe er den Fehler bemerkt, so Fritsch. Also zu spät, um noch irgendetwas rückgängig zu machen. Deshalb informierte er Dingert und dessen Linienrichter erst nach Abpfiff in der Kabine. An der Hauptverantwortung des VfL Wolfsburg, so das Gericht, ändere sich dadurch jedoch nichts. Die Niedersachsen sehen hier im Fall einer Berufung aber einen entscheidenden Ansatzpunkt für eine andere Gewichtung der Schuldfrage.

Das ungelöste Rätsel: Wer hat gelogen?

Das spannendste Rätsel konnte trotz ellenlanger Ausführungen und Befragungen letztlich nicht gelöst werden: Wer hat gelogen? Sich auf ein "Missverständnis" zu einigen, war jedenfalls nicht mehr glaubhaft möglich. Wolfsburgs für die Ausführung der Auswechslungen zuständiger Torwarttrainer Pascal Formann berichtete, Fritsch habe ihm auf Nachfrage mehrfach ausdrücklich versichert, es sei während der Verlängerung eine sechste Auswechslung möglich.

Und auch Chefcoach Mark van Bommel bezog sich auf ein Gespräch mit Fritsch, der ihm explizit mitgeteilt habe, es seien "noch drei Wechselslots und drei einzelne Wechsel" möglich. Dagegen äußerte Fritsch, er habe einen anderen Bescheid erteilt. Nämlich: "Drei Auswechselslots, aber nur noch zwei Auswechslungen." Zudem habe er Formann bereits in der Halbzeitpause der regulären Spielzeit auf dessen Nachfrage hin über die Wechsel-Vorschriften im Pokal aufgeklärt, inklusive der Regelung in der Verlängerung. Letztlich stand also Aussage gegen Aussage, zu beweisen war keine von beiden.

Ohne Rücksicht auf die Reputation des Ehrlichen

Laut Oberholz sei das für die Urteilsfindung aber ohnehin nicht maßgeblich gewesen. "Wir konnten das offenlassen. Denn selbst wenn eine falsche Auskunft von Herrn Fritsch erteilt worden wäre, hätte das den VfL Wolfsburg nicht aus der Hauptverantwortung entlassen." Den neutralen Beobachter lässt die Angelegenheit dennoch unweigerlich mit dem unguten Gefühl zurück. Denn: Eine Partei muss wissentlich krass die Unwahrheit gesagt haben. Um die eigene Haut zu retten und ohne Rücksicht auf die Reputation des Ehrlichen.

Thiemo Müller

Bayern zweimal betroffen: Eine Auswahl berühmter Wechselfehler