Bundesliga

Auch ein Höwedes muss sich hinterfragen

Kommentar von kicker-Redakteur Toni Lieto

Auch ein Höwedes muss sich hinterfragen

Flucht nach Italien: Benedikt Höwedes.

Flucht nach Italien: Benedikt Höwedes. imago

Wenn Höwedes irgendwann seinen immer mal wieder offen geäußerten Traum vom Auslandsabenteuer (eigentlich eher England als Italien) wahrgemacht hätte mit der Begründung, er habe nach all den Jahren auf Schalke einfach mal Lust auf etwas Neues - niemand hätte es ihm übel genommen. An seinem Status als Ikone des FC Schalke wäre nicht einmal dann auch nur einen Millimeter zu rütteln gewesen, wenn Höwedes angesichts dieser Motive um vorzeitige Auflösung seines bis 2020 gültigen Vertrags gebeten hätte.

Nun kann man es als nachvollziehbar erachten, dass Höwedes den Verein nach 16 Jahren Hals über Kopf verlässt, weil er, das große Ziel WM 2018 im Visier, eine viel zu geringe Einsatz-Perspektive unter dem neuen Trainer sieht (ist diese bei Juventus Turin wirklich so viel besser, um per se von erhöhten WM-Chancen zu sprechen?). Andererseits darf sich auch ein Weltmeister, der erst im Vorjahr das S04-Papier zur Vertragsverlängerung bis 2020 "mit pochendem Herzen" unterschrieben hat, niemals zu schade sein für einen zwar harten, aber fairen Konkurrenzkampf. Selbst größte Verdienste aus der Vergangenheit garantieren nun einmal keinen Stammplatz. Auch ein langjähriger Kapitän, der sich selbst dann in den Wind gestellt hat, wenn der Schalke-Sturm mal wieder orkanartige Auswüchse annahm, muss sich jeden Tag aufs Neue demselben Konkurrenzkampf unterordnen wie alle seine Teamkollegen.

Spielersteckbrief Höwedes
Höwedes

Höwedes Benedikt

FC Schalke 04 - Vereinsdaten
FC Schalke 04

Gründungsdatum

04.05.1904

Vereinsfarben

Blau-Weiß

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Juventus Turin - Vereinsdaten
Juventus Turin

Gründungsdatum

01.11.1897

Vereinsfarben

Weiß-Schwarz

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Ehrgefühl in den Grundfesten erschüttert

Offiziell stecken sportliche Gründe hinter Höwedes' Wechselentschluss. Dennoch ist Fakt, dass die Absetzung als Kapitän, die sehr wohl auch aufgrund von internen Abnutzungserscheinungen nach sechs Jahren als Spielführer erfolgt ist, sein Ehrgefühl in den Grundfesten erschüttert hat. Dies ist mindestens mitausschlaggebend, wenn nicht sogar Ursprung für den Abschiedsgedanken. Höwedes wirkt trotzig. Nach dem Motto: "Wenn ich nicht mehr Kapitän sein darf und keinen Stammplatz mehr habe, gehe ich halt."

Seiner allgemein herausragenden Stellung in diesem Klub ist es zu verdanken, dass viele Fans ihn trotzdem bis zuletzt mit Sprechchören gefeiert haben. "So geht man nicht mit einem Benedikt Höwedes um", sagen sie. Aber was hat Schalke denn eigentlich Verwerfliches getan? Ein neuer Trainer hat einen Kapitän abgesetzt und ihm die Stammplatzgarantie entzogen - was sportlich betrachtet wenig anfechtbar ist.

Tedesco greift verbal daneben

Gut, Tedesco hat sich etwas geleistet, das er sich hätte sparen müssen - den lapidaren Kommentar: "Reisende soll man nicht aufhalten." Das Aberwitzige daran ist, dass derjenige, der am aller längsten in diesem Verein ausgehalten hat (Höwedes), diesen Satz ausgerechnet von dem Mann entgegengeschmettert bekommt, dessen Posten beim FC Schalke traditionell mit dem Etikett "Nur auf der Durchreise" versehen ist. Allein nach den Ereignissen der jüngeren Vergangenheit (Stichwort Weinzierl, Breitenreiter, di Matteo) kann Tedesco froh sein, wenn er länger als ein Sechzehntel der Zeit als Trainer auf Schalke tätig sein darf, die Höwedes in diesem Klub als Jugendspieler und Profi verbracht hat.

Gesamtpaket umfasst 20 Millionen Euro

Dass es dann doch zunächst nur ein Leihgeschäft mit Juventus Turin wird, ist den Umständen geschuldet und im Endeffekt ein Entgegenkommen des FC Schalke - sonst wäre der Deal geplatzt. Dies wollte schlussendlich keine Seite mehr riskieren. Dass Höwedes nächstes Jahr zu seinem Jugendklub zurückkehrt, ist aktuell schwer vorstellbar, auch wenn es laut Papier theoretisch möglich wäre. Das Gesamtpaket wird Turin am Ende knapp 20 Millionen Euro kosten, bestehend aus 3,5 Millionen Euro Leihgebühr, 13 Millionen Euro Kaufsumme und bis zu drei Millionen Euro Boni.

So oder so bleibt festzuhalten: Einem Höwedes wäre eine Schalke-Scheidung aus erfreulicheren Gründen zu wünschen gewesen. Zum Beispiel nichts weiter als die reine Lust auf ein süßes Auslandsabenteuer. Ohne all die bitteren Begleitumstände, zu denen Höwedes ebenso beigetragen hat. Auch der Weltmeister muss sich hinterfragen, ob er nach der Absetzung als Kapitän und dem Verlust des Stammplatzes wirklich richtig reagiert hat.

Toni Lieto

kicker-Redakteur Toni Lieto

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