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Zirkusdompteur Mesut Özil: Das Glänzen der Anderen

Eine Würdigung des Weltmeisters

Zirkusdompteur Özil: Das Glänzen der Anderen

Hat auf seine Weise fast alles gewonnen: Mesut Özil.

Hat auf seine Weise fast alles gewonnen: Mesut Özil. imago images (3)

Im Sommer 2010 bewies José Mourinho einmal mehr, dass er wirklich speziell ist. Als amtierender Triple-Sieger mit Inter Mailand wechselte er zum großen Real Madrid, mit der klaren Aufgabe, den zu diesem Zeitpunkt noch größeren FC Barcelona vom Thron zu stoßen. Als neuen Mann für das Zentrum seines Angriffsspiels brachte der Portugiese aber nicht etwa Wesley Sneijder mit, der aus Madrid erst nach Mailand gewechselt war. Nein, Mourinho wollte Mesut Özil von Werder Bremen.

Der damals 21-Jährige hatte gerade eine bärenstarke WM gespielt und im Team von Joachim Löw gezeigt, dass ein Deutscher - erstmals seit Günter Netzer und Bernd Schuster - auch Spielmacher bei Real Madrid sein konnte. Der deutsche Fußball durchlebte einen Wandel, als Löw den schüchternen Linksfuß zum Stammspieler machte.

"An ihm scheiden sich die Geister" - Mesut Özil im Porträt

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Deutsche sollten auf einmal wie Spanier spielen, und ein Spieler wie Özil machte das möglich. Dass er dabei viel mit Köpfchen, Auge und seiner feinen Technik löste, anstatt zu rennen, zu grätschen und zu bluten, machte ihn zu einem Phänomen, an dem sich die Geister in Fußball-Deutschland nur allzu einfach scheiden konnten. Noch mehr dann rund um die WM 2018 an seiner Nähe zum Autokraten Recep Tayyip Erdogan.

Und dann natürlich die Körpersprache. Kaum ein Anheizen, kaum ein Mitreißen, kaum ein Ankämpfen gegen Dinge, die Özil einfach anders löste. Die er besser löste als die meisten seiner Mit- und Gegenspieler, weswegen die Reise von seinem Jugendklub Schalke 04 2008 zu Werder Bremen führte, von dort aus 2009 in die deutsche Nationalmannschaft - und von dort aus 2010 zu Real Madrid.

Cristiano Ronaldos besonderes Lob

Als 2013 schließlich der Wechsel zum FC Arsenal folgte, war Cristiano Ronaldo stinksauer. Özil sei für ihn der Spieler gewesen, "der meine Bewegungen auf dem Platz am besten verstanden" hätte, sagte CR7. Etwa mit einem Steilpass zum Siegtreffer 2012 im Clasico, der Real mit der Rekordzahl von 100 Punkten zum Meister machte. Thronfolge vollzogen. Auch deshalb, weil sich Özil inmitten der torhungrigen Superstars nie zu schade war, lieber den Pass zu spielen.

Im königlichen Zirkus war er der Dompteur, der seine Spielintelligenz nutzte, um in den richtigen Momenten den richtigen Nebenmann einzusetzen. Dessen Uneigennützigkeit den Erfolg der Individualisten erst möglich machte. Die wirklich guten Fußballer, so heißt es oft, würden die Leute um sich herum noch besser machen. Zu seiner besten Zeit konnte das keiner so wie Özil. Doch wenn man hauptsächlich die Anderen glänzen lässt, überstrahlt das mitunter die eigene Genialität. 27 Tore schoss er in drei Jahren bei Real selbst, 81 (!) bereitete er vor.

Özil war nicht der Fußballspieler, den Deutschland normalerweise produziert. Manche haben das oft negativ interpretiert. Viele haben sein Genie aber auch erkannt, das auch beim WM-Triumph von 2014 zum Tragen kam. Selbst wenn er beim legendären 7:1 gegen Brasilien ohne Tor blieb. Selbst wenn andere mehr glänzten und Platzwunden davontrugen, die mancherorts eben mehr gefeiert werden als der drittletzte, aber alles verändernde Pass vor einem Tor.

2012 und 2013 stand Özil bei der UEFA in der Welt-Elf der Saison, zwischen 2011 und 2016 wählten die Deutschen ihn fünfmal zu ihrem Nationalspieler des Jahres. Ihn, den lustlosen Schleicher ohne Körpersprache. Ihn, den Lieblingsmitspieler von Cristiano Ronaldo. Ihn, den Weltmeister. Das alles hätte er sich zu Beginn seiner Profikarriere vor knapp 17 Jahren wahrscheinlich nicht vorzustellen gewagt. Aber mangelnde Vorstellungskraft, da dürften sich fast alle einig sein, hat man Mesut Özil nie vorwerfen können.

Niklas Baumgart

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