WM

"Ich sehe meine Chancen bei Null"

Interview mit Jens Nowotny

"Ich sehe meine Chancen bei Null"

Nur in zweiter Reihe: Jens Nowotny.

Nur in zweiter Reihe: Jens Nowotny. imago

Die Situation ist so alt wie der Fußball: Die interne Konkurrenz schwächelt, man selbst hofft auf die eigene Chance. Wie groß ist Ihre Hoffnung auf einen Platz im Team?

Jens Nowotny (32): Wissen Sie, was ich hoffe? Ich hoffe, dass die Konkurrenz nicht mehr schwächelt. Ganz einfach. Wenn, dann bekommen wir nämlich Probleme. Und Notgeburten helfen keinem weiter.

Sind Sie so selbstlos oder tun Sie nur so?

Nowotny: Als ich vor vier Monaten von meiner WM-Teilnahme gesprochen habe, wurde ich als Geistesgestörter abgestempelt. Die, die mich auf der Rechnung hatten, wurden belächelt. Ich habe gearbeitet und mich nicht verrückt machen lassen. Was bleibt als Ergebnis? Ich gehöre zu den 23 besten Fußballern Deutschlands. Ich bin bei der WM 2006 dabei. Das nimmt mir keiner mehr.

Aber die Situation schmerzt, weil Sie zuschauen müssen!

Nowotny: Nein, wirklich nicht. Weil meine Arbeit zunächst nur darauf zielte, dabei zu sein. Das habe ich geschafft. Ich habe 2002 wegen eines Kreuzbandrisses die WM in Japan und Korea verpasst. Das tat sehr weh damals. Trotzdem habe ich mich über den Erfolg gefreut. Vielleicht ist das jetzt eine kleine Entschädigung.

Sie galten nach Ihrer Nominierung für viele Experten zunächst als gesetzt. Ein schlechtes Spiel gegen Japan reichte, um Sie aus der Mannschaft zu kegeln. Hat Jürgen Klinsmann kein Vertrauen in Ihr Können?

Nowotny: Ich bin Teil dieser Mannschaft, auf jeden Fall sehe ich mich so. Und ich tue mein Bestes, um der ersten Elf näher zu kommen. Das ist meine Pflicht.

Empfinden Sie das Training denn tatsächlich als ernsthaften Konkurrenzkampf. Oder benötigt man Sie vor allen Dingen als erfahrenen Ratgeber für junge Kollegen?

Nowotny: Das wird sich zeigen. Ich habe gezeigt, was ich kann. Abgeschrieben bin ich nicht, davon bin ich überzeugt.

Scheuen Sie sich, Druck auf die interne Konkurrenz auszuüben, weil die Kollegen womöglich totale Rückendeckung brauchen?

Nowotny: Verbaler Druck wäre jetzt der verkehrteste Weg. Es geht nur über Arbeit im Training. Du musst immer bereit sein. Alles unnötige Gerede drumherum produziert Missstimmung. Und die können wir weiß Gott nicht gebrauchen. Wer spielt, muss die volle Rückendeckung des gesamten Kaders spüren. Ich bin der Letzte, der da Fallen legt. Das wäre ja, übertrieben gesagt, Vaterlandsverrat.

Messen wir das Duo Metzelder/Mertesacker mal an Cannavaro/Nesta aus Italien oder Lucio/Juan aus Brasilien. Da tut sich eine Leistungsdiskrepanz auf, die nicht ernsthaft wegzudiskutieren ist. Wie soll das gut gehen, wenn es um die Wurst geht?

Nowotny: Wenn ein Cannavaro hinter einem schwachen Mittelfeld spielt oder vor einem patzenden Keeper, dann sieht er auch alt aus. Da kann er nicht glänzen, kein Lucio und kein Juan. Was ich sagen will: Es geht nur über das Miteinander. Um die gegenseitige Unterstützung auf dem Platz. Um das Laufen, das Verschieben, das miteinander Sprechen. Daran muss sich die Mannschaft messen lassen.

Welche Stärken könnten Sie im Ernstfall einbringen?

Nowotny: Führung, Lautstärke, wenn sie Sinn macht. Die Spieleröffnung. Und ich kann Situationen voraussehen. Aber Christoph und Per haben ähnliche Qualitäten. Uns unterscheiden Nuancen.

Ich bin der Letzte, der Fallen legt

Jens Nowotny

Kritiker werfen Ihnen vor, Sie seien zu langsam.

Nowotny: Ein alter Vorwurf. Der mich so sehr interessiert wie der berühmte Sack Reis in China. Ich weiß es besser, der Trainer ebenfalls. Alle Tests haben das Gegenteil bewiesen. Jürgen Klinsmann hat meine Werte schwarz auf weiß. Klar, ich bin kein Odonkor, aber die Geschwindigkeit ist da. Im Antritt und auf der Strecke.

Wie oft dachten Sie während des Eröffnungsspiels gegen Costa Rica: "Das könnte ich besser!"

Nowotny: Das ist so nicht zu beantworten. Weil in den entscheidenden Momenten der Mannschaftsverbund nicht funktionierte. Es war zeitweise eine Kombination unterschiedlicher Gedanken auf dem Platz. Zwei denken so, einer anders. Und schon hast du das Missverständnis. Da fehlt es an der Feinabstimmung. Aber das kommt mit den Spielen.

Sie verlassen Bayer Leverkusen, sind auf Klubsuche. Beeinflusst Ihr Reservistendasein bei der WM diese negativ?

Nowotny: Überhaupt nicht. Es liegen Angebote auf dem Tisch, wir sortieren und werden dann in aller Ruhe entscheiden.

Wohin soll der Weg führen?

Nowotny: Südeuropa wäre toll, keine Frage.

Wie hoch sehen Sie Ihre Chancen, im Verlauf dieses Turniers noch einmal eingreifen zu können?

Nowotny: Wenn wirklich alles so läuft, wie wir uns das vorstellen, dann sehe ich diese Chance realistisch bei Null.

Sie sind ein ehrgeiziger Mensch. Frustriert Sie das nicht?

Nowotny: Nein, im Gegenteil. Wenn nämlich alles so läuft, wie wir es uns vorstellen, dann sind wir am 9. Juli Weltmeister. Und dann hat jeder seinen Anteil an diesem Erfolg. Auch Jens Nowotny!

Interview: Frank Lußem