WM

Jetzt oder nie!

Traditionell ist für Spanien frühzeitig Schluss

Jetzt oder nie!

Bisher nicht verwöhnt: Spaniens Fans.

Bisher nicht verwöhnt: Spaniens Fans. Kicker

Schon vor vielen Jahren konstatierte Argentiniens Fußball-Weiser Cesar Luis Menotti: "Sie können sich in Spanien nicht entscheiden, ob sie sich am Stier oder am Torero orientieren sollen." Seit 2004 nun ist Luis Aragones Nationaltrainer, und der Vergleich wurde um eine absurde Facette bereichert: Der alte Haudegen will selbst die kunstfertigsten Toreros wie Fernando Torres oder Raul wie wilde Stiere agieren sehen. Das Ergebnis war in der Qualifikation meist tristes Mittelmaß, obwohl die Auswahl von zehn Gruppenspielen keines verlor. Dennoch blieb hinter Gruppensieger Serbien nur Platz zwei und der Umweg über die Relegation.

Die gelang dann gegen die Slowaken jedoch völlig problemlos. Wobei zugleich der Hinweis geliefert wurde, wozu das Gros der Spieler in der Lage ist, wenn es vom Trainer nicht allzu sehr an seiner Entfaltung gehindert wird. "Wenn wir in Deutschland in gleicher Form spielen, werden uns dort nicht viele Gegner schlagen", verbreitet Kapitän Raul bereits Zuversicht. Doch der Rekordtorschütze Spaniens (42 Treffer in 91 Länderspielen) muss zusehen, dass er bis WM-Beginn wieder fit und in Form ist: Kurz nach der vollzogenen WM-Qualifikation zog er sich eine komplizierte Knieverletzung zu, die ihn für einige Monate außer Gefecht setzt.


Ein neuer Stil: Iberer reifen auf der Insel


Das ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil Raul - zusammen mit Torwart Iker Casillas und Innenverteidiger Carles Puyol - zu den Spielern zählt, die Aragones immer aufbietet. Selbst dann, wenn sie, wie zuletzt Raul bei Real Madrid, im Formtief stecken. Das wiederum lag nicht nur darin begründet, dass die Spanier über ein eher geringes Angebot an zuverlässigen Torjägern verfügen. Sondern auch, weil diese Position in den meisten Spitzenmannschaften der Primera Division mit Ausländern besetzt ist. Vielmehrnoch ist Raul einer der wenigen Top-Spieler, denen die Nationalmannschaft tatsächlich eine Herzensangelegenheit ist. Ansonsten herrscht weithin - wenngleich uneingestanden - eher die Haltung vor: Man will zwar in die Auswahl berufen werden, zumal es zur WM geht. Aber eine Existenzfrage war das bisher nicht.


Nationaltrainer Luis Aragones: Der rackernde Rabauke


Eher eine kühle Karriere-Überlegung, um sich bei einem Großereignis zu präsentieren. Umso mehr, da nun gleich eine ganze Reihe spanischer Profis in der englischen Premier League engagiert ist und als Folge dessen von vielen weiteren Landsleuten und Nationalelfkollegen der Arbeitsmarkt nun auch in internationalen Dimensionen wahrgenommen wird. Vor allem aber: Diese Emigranten sammeln jetzt zusätzliche Erfahrungen und bringen diese in die Landesauswahl ein, was sich zuletzt als sehr ertragreich erwies: Das vorentscheidende Qualifikations-"Endspiel" um Gruppenplatz 2 wurde im Oktober in Belgien sicher mit 2:0 gewonnen, in der Folge San Marino 6:0 überrollt und in der Relegation die Slowakei. Kein Wunder also, dass zwischen Sevilla und Gijon, La Coruna und Barcelona Hoffnung keimt, dass die Mannschaft bei der WM dieses Mal doch ein Stück weiter kommen könnte, als bis zur traditionellen Endstation: dem Viertelfinale.


So qualifizierte sich Spanien


Jetzt oder nie! So lautet die Devise. Falls es tatsächlich klappen sollte, dann aber nicht wegen, sondern trotz Nationaltrainer Aragones. Das zumindest steht für die meisten Fans schon jetzt fest, deren Herz an einem Fußball hängt, wie er bis vor wenigen Jahren von Real Madrid geboten wurde, nunmehr von Barca: getragen von einem kreativen Spielaufbau, der schon in der hintersten Linie beginnt und dessen Angelpunkt das Mittelfeld ist. 4-3-3 wünschen sie sich. Aragones hingegen setzt auf ein 4-4-2-System: eine massive Defensive, zur Not auch im Mittelfeld, und über die Flügel vorgetragene Konter. Casillas im Kasten, Puyol und Michel Salgado in der Abwehr sowie Raul oder Fernando Torres im Sturm gelten als gesetzt. Barças Xavi ist im Mittelfeld eine feste Größe, sein Einsatz bei der WM ist auf Grund eines Kreuzbandrisses, den er sich Anfang Dezember zuzog, allerdings gefährdet.

Hinzu kommen die "Engländer" wie Xabi Alonso, Luis Garcia und Asier del Horno. Am besten klappt es aber, das zeigen die jüngsten Erfahrungen und Ergebnisse, wenn die Spieler einen Kompromiss zwischen beiden Konzepten finden. Dann wäre mit Spanien, dem Europameister von 1964 (!), bei der WM 2006 tatsächlich zu rechnen.

Harald Irnberger