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Jürgen Klopp beim FC Liverpool: Der menschliche Hurrikan

Zum Abschied des Liverpool-Trainers

Wie "Hurrikan" Klopp in England die Herzen eroberte - und aneckte

Seine Zeit in Liverpool geht zu Ende: Jürgen Klopp.

Seine Zeit in Liverpool geht zu Ende: Jürgen Klopp. IMAGO/Pro Sports Images

Wahrscheinlich ist das jetzt der am wenigsten originelle Einstieg in das Kapitel über die menschliche Seite von Jürgen Klopps Ära in Liverpool. Es ist aber ganz bestimmt der naheliegendste: Es kommt nicht darauf an, was man von dir denkt, wenn du ankommst. Was wirklich zählt, ist, was sie von dir halten, wenn du gehst. So hat es der Fußballtrainer sinngemäß gesagt, als er im Oktober 2015 im Nordwesten Englands aufschlug. Im Mai 2024 lautet eine Liedzeile dort, angelehnt an einen Beatles-Song: "Ich bin verliebt in ihn und fühle mich gut dabei."

Am Anfang haben sie den Deutschen leicht irritiert belächelt. Sogar Kommentare für nationale Sonntagszeitungen wurden geschrieben, weil der Neue seine Mannschaft sich vor den Fans auf dem legendären Kop hatte aufreihen und unterhaken lassen. Und das nach einem doch eher freudlosen 2:2 gegen West Bromwich Albion.

Die Gemeinschaft mit den Fans suchte Klopp früh

Ein Team und seine Fans: Jürgen Klopp und seine Spieler.

Ein Team und seine Fans: Jürgen Klopp und seine Spieler vor der Liverpooler Kop. imago images/Shutterstock

Klopp stiftete damit früh Gemeinsinn unter Profis und Publikum. Seine persönliche, innige Beziehung zu den Getreuen im Anfield Stadium festigte der Teammanager rasch, indem er Verständnis für deren Protest gegen eine Erhöhung der Ticketpreise äußerte. Das war authentisch, gleichzeitig nicht uneigennützig: Ohne die so leidenschaftliche wie fachkundige Gemeinde im Rücken wäre seine Mission zum Scheitern verurteilt gewesen.

Die genoss es zunehmend, wenn ihr "Manager" die Seitenlinie entlang raste, um späte Siegtore zu feiern. Was den Rest des Königreichs nicht wirklich amüsierte. Die Medienmenschen des Klubs bekamen ohnehin schon die Krise, weil der Deutsche Gefallen daran fand, das im Land allgegenwärtige F...-Wort während offizieller Pressekonferenzen auszusprechen.

Fußball-England gewöhnte sich jedoch schnell an den "Normal One", der für Entertainment sorgte. Neben dem Platz und vor allem darauf. Wer aufmerksam war bei all den Interviews in all den Jahren, hörte Klopp immer wieder von einem "proper football match" reden: Guter, ordentlicher, richtiger Fußball, vorzugsweise gegen Gegner, die mitspielen wollen, sollte im Mittelpunkt stehen. Viel häufiger als ihm lieb war, rückte jedoch das ganze Drumherum dorthin.

"Der Kerl ist seit einer Woche hier und kennt jedermanns Namen"

Die Kultur-Revolution im Inneren des Liverpool Football Club begann mit seinem Einstand. George Sephton, seit 52 Jahren Stadionsprecher, hat alle großen Trainer und Stars kommen und gehen sehen. An seine erste Begegnung mit "Jurgen" erinnert er sich gut und gern: "Nach Klopps erstem Heimspiel, Europa League gegen Rubin Kasan, 1:1, wartete ich im Empfangsbereich der alten Haupttribüne, als er die Treppe hinauf in den Presseraum ging. Ich folgte ihm und sagte: Hallo, mein Name ist George … Das war alles, was ich loswerden konnte, denn er entgegnete: Ach ja, Du bist die berühmte Stimme von Anfield! Ich war fassungslos."

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Klopp hatte einige Zeit zuvor ein Interview mit Sephton in der kicker-Rubrik "Geschichte und Geschichten" gelesen und sich an die "Voice of Anfield" erinnert. Aber nicht nur das: Ein Steward, der die Szene beobachtete, rief Sephton zu: "Der Kerl ist seit einer Woche hier und kennt jedermanns Namen. Nicht nur die der Spieler, sondern auch der Leute im Büro, der Sicherheitsleute. Alle!"

Klopp kann sein Publikum je nach Anlass zum Lachen oder Weinen bringen

Im legendären Trainingszentrum Melwood kam kein Zweifel auf, wer Kommunikation und Kommando übernehmen würde: der Boss, der so klug und emotional intelligent war, immer auch Mitarbeitern in deren Fachbereichen zu vertrauen. In der neuen, von Klopp maßgeblich mitgestalteten Academy in Kirkby ist das heute nicht anders.

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Der Gute-Laune-Chef, der dort einer Kantinenangestellten auf Englisch darzustellen versucht, wie der deutsche Urlauber in Spanien für gewöhnlich - "Dos cervezas por favor" - zwei Bier bestellt, bringt sich bei solchen Gelegenheiten gern selbst brüllend zum Lachen. Das Video-Team von LFC-TV verliert ein Naturtalent vor der Kamera, das sein Publikum, egal, ob bei kommerziellen oder karitativen Themen, je nach Anlass zum Lachen oder zum Weinen bringt - und auf jeden Fall für die gute Sache gewinnt.

Sakho lernte Klopps Konsequenz kennen

Er kann aber auch ganz anders. James Pearce, zunächst für das Liverpool Echo, heute für The Athletic LFC-Insider, bekam Klopps kalte Schulter unvermittelt in einer Pressekonferenz zu spüren, weil sein Athletic-Kollege Simon Hughes eine Story über Personalien und Dissonanzen in der medizinischen Abteilung veröffentlicht hatte. Wenig später war wieder "all good". Was sich von Mamadou Sakho, Verteidiger in dem von Brendan Rodgers übernommenen Kader, nicht behaupten lässt. Sakho kam wiederholt zu spät. Und wer die Regeln missachtet, spielt schon bald nicht mehr mit. Alle anderen schützt dieser Trainer wie eine Löwenmutter ihre Jungen.

Bei manchem Liverpool-Fan bleibt Jürgen Klopp nicht nur gedanklich in Erinnerung.

Bei manchem Liverpool-Fan bleibt Jürgen Klopp nicht nur gedanklich in Erinnerung. IMAGO/Shutterstock

Seine Empathie und Dankbarkeit haben ihn die Trennung von Heroen wie Jordan Henderson, Kapitän der Titelgewinner in der Champions League 2019 und in der Premier League 2020, wohl zu lange hinauszögern lassen. Der sportliche CEO war immer auch persönlich eine loyale Führungskraft, die das sich selbst tragende Geschäftsmodell der amerikanischen Klubeigner von der Fenway Sports Group respektierte und nach außen vertrat.

"Wir glauben an Training", lautete ein Kernsatz der Anfangsjahre. Klopp führte mit seinem datengetriebenen Team hinter dem Team kontinuierlich Top-Transfers und Talente zusammen. Auch im vermaledeiten vorletzten Spieljahr 2022/23, in dem sich alles und damit zu viel auf ihn als alleinigen operativen Entscheider zuspitzte.

Er ist eine Naturgewalt. Ein menschlicher Hurrikan.

Stadionsprecher George Sephton über Jürgen Klopp

Der "German Scouser", Vaterfigur und bewusster Leader eines hochgradig multikulturellen Kaders, sprach seine Meinung zu gesellschaftlichen und politischen Themen, etwa gegen den Brexit, dosiert, aber, wenn es sein musste, unmissverständlich aus. Wer so stabil unverfälscht auftritt, erntet das Vertrauen seiner Leute und bei seinen Gegnern mindestens Respekt. Klopps unaufhörliche Kritik an der Premier-League-Anstoßzeit am Samstag, 12.30 Uhr, und am internationalen Spielkalender überhaupt ist von der Sorge um die Gesundheit der Athleten und die Qualität des Spitzenfußballs getrieben.

Seine Erregung gegenüber Schiedsrichtern und Vierten Offiziellen kam auf der Insel öfter nicht gut an. Sie hat sich mit Beginn der laufenden Saison erkennbar gelegt. Was an der treffenden Beschreibung von Sephton nichts ändert. Die Stimme von Anfield sagt: "Er ist eine Naturgewalt. Ein menschlicher Hurrikan."

Jörg Jakob

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