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Weil es nicht regnet, wird es skurril: Tottenham Hotspur im kicker-Check - Premier-League-Vorschau

Premier-League-Vorschau, Teil 5

Weil es nicht regnet, wird es skurril: Tottenham im Check

Die neue White Hart Lane - bislang Fluch und Segen für Tottenham Hotspur um Harry Kane und Mauricio Pochettino.

Die neue White Hart Lane - bislang Fluch und Segen für Tottenham Hotspur um Harry Kane und Mauricio Pochettino. picture alliance (2)

Wie jetzt, kein Regen im Londoner Herbst? Diese gewagte Prognose stellte Mauricio Pochettino auf, wollte das aber als Warnung verstanden wissen: "Wenn wir ins neue Stadion ziehen", sagte der Trainer der Tottenham Hotspur im Frühjahr, "werden nicht plötzlich Millionen Pfund vom Himmel regnen."

Das neue Stadion - es ist bislang Fluch und Segen für die Spurs. Segen, weil die hochmoderne, 61.000 Zuschauer fassende Arena, deren Fußball- sich automatisch in ein American-Football-Feld umwandeln lässt, massive Mehreinnahmen gegenüber der alten White Hart Lane verspricht und Pochettinos Mannschaft nach einem Jahr in Wembley wieder eine Heimat gibt.

Fluch, weil es erst zum fünften Spieltag gegen Liverpool (15. September, 13.30 Uhr) bezugsfertig sein wird und neben einigen Dauerkartenpreisen auch die Baukosten explodiert sind. Unter anderem das ist ein Grund für die skurrile Tatsache, dass Tottenham der einzige Premier-League-Klub ist, der in diesem Transferfenster keinen einzigen Neuzugang verpflichtet hat (und niemanden abgab). Hatte sich das Pochettino nicht ganz anders vorgestellt?

Die Transferbilanz in vier Jahren Pochettino klingt unwirklich

Gerade hatte er die Spurs in seiner vierten Saison zum dritten Mal in Folge direkt in die Champions League geführt, da forderte er von Klubboss Daniel Levy öffentlich, diesen Sommer doch bitteschön endlich einmal "Risiken" auf dem Transfermarkt einzugehen. Seit Pochettinos Ankunft 2014 haben die Spurs nur rund 45 Millionen Euro an Ablösesummen mehr ausgegeben als eingenommen - ein wirklich unwirklicher Wert für einen Premier-League-Spitzenklub.

Als dann Pochettino, der in den Wochen zuvor immer wieder mit seinem Abschied kokettiert hatte, wenige Tage später plötzlich einen Fünfjahresvertag unterschrieb und feierlich erklärte, Levy und er teilten "dieselbe Philosophie für langfristigen, nachhalten Erfolg", begannen die Spurs zu träumen: von Verstärkungen für einen starken, aber im Vergleich zur Konkurrenz (ManCity, Liverpool) nicht besonders tiefen Kader; von einem echten Angriff auf die Meisterschaft im neuen Stadion; vom ersten Titel seit dem Ligapokal 2008.

Die Spieler, um die sich Tottenham bemühte, waren nicht zu bekommen

Doch das Wörtchen "langfristig" war nicht zufällig gewählt: Die Spurs müssen wie eh und je auf eine ausgeglichene Bilanz achten, und weil es bislang nicht gelang, Geld durch Spielerverkäufe (Alderweireld, Dembelé, Rose) zu generieren, und Spieler wie Ryan Sessegnon (Fulham) oder Jack Grealish (Aston Villa) nicht zu bekommen waren, hat Pochettino den gleichen Kader zur Verfügung wie vor seiner "Risiko eingehen"-Warnung.

Es ist ein Kader mit Kane (Vertrag jetzt bis 2024), Eriksen, Son, Alli oder Lloris, und doch stellt sich die Frage, ob das ein weiteres Mal gut geht: hier die gestiegenen Erwartungen des Umfelds, Pochettinos allseits gefeiertes Projekt jetzt doch mal mit einer Trophäe zu schmücken; dort der Argentinier, dem mangels Kaderbreite nichts übrig bleibt, als weitere Talente (etwa Mittelfeldspieler Luke Amos, 21) einzubinden und zu hoffen, dass sich Kane nicht verletzt - während Liverpool, 2017/18 um zwei Punkte distanziert, aufgerüstet hat .

Es wäre ein Wunder, wenn der Saisonstart ohne Komplikationen verläuft

Dazu kommt, dass die WM kein Topteam so sehr mitgenommen hat wie Tottenham: Neun Spieler waren am Finalwochenende noch im Einsatz, erst am Montag, fünf Tage vor dem Start in Newcastle, nahmen sie das Training wieder auf. Und Son wird mehrere Wochen wegen der Asienspiele verpassen. Dass Pochettino den frühen Saisonstart und die noch frühere Transfer-Deadline kritisierte, ist kein Wunder. Ein Wunder wäre es, wenn der Saisonstart - mit dem ersten Heimspiel gegen Fulham in Wembley (2.) und der frühen Reise zu ManUnited (3.) - ohne Komplikationen verläuft.

Doch solange Pochettino den Spurs die Treue hält, es mit dem anmutigen Fußball in Nordlondon also weitergeht, ist ein Absturz aus den Champions-League-Rängen kaum vorstellbar. Seine Vertragsverlängerung war vielleicht wichtiger als jeder Neuzugang. Und irgendwann wird es dann über der neuen Arena beginnen zu tröpfeln.

Jörn Petersen

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