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Webber über Engländer und Deutsche: "Haben mehr gemeinsam, als viele Leute denken"

Interview mit dem ehemaligen Sportdirektor von Norwich City

Webber über Engländer und Deutsche: "Haben mehr gemeinsam, als viele Leute denken"

Der langjährige Norwich-Sportdirektor Stuart Webber will den höchsten Gipfel der Welt erklimmen.

Der langjährige Norwich-Sportdirektor Stuart Webber will den höchsten Gipfel der Welt erklimmen. picture alliance / Sipa USA

Am 11. November hatte Stuart Webber bei Norwich City seinen letzten Arbeitstag. Sechseinhalb Jahre wirkte der 39-Jährige bei den "Canaries" als Sportdirektor und schaffte in dieser Zeit zweimal den Aufstieg in die Premier League. Webber, der aus Aberystwyth im Norden von Wales stammt, holte in dieser Zeit Daniel Farke als Trainer nach Norwich. Vor Norwich arbeitete Webber bei Huddersfield Town, wo er in David Wagner ebenfalls einen deutschen Coach verpflichtete und mit diesem 2017 den Aufstieg in die Premier League schaffte.

Herr Webber, Sie haben Norwich City vor knapp vier Wochen verlassen. Was war der Grund für Ihren Weggang?

Ich werde im April den Mount Everest besteigen, und deshalb gemäß meines Vertrags im März 2023 eine einjährige Kündigungsfrist  erhalten. Norwich hat mich gebeten, weiterzuarbeiten, bis mein Nachfolger gefunden und eingestellt wurde. Dieser Bitte habe ich entsprochen. Ich bin seit sechseinhalb Jahren hier und nun bereit für eine neue Herausforderung. Ich werde im Januar 40 - und es ist Zeit für eine Veränderung.

Für Ihre Abschiedsankündigung ernteten Sie viel Kritik. Verstehen Sie die Fans?

Ja und nein. Sie wissen, wie Fußballfans sind. Du brauchst jemanden, dem du die Schuld geben kannst, das ist in Ordnung. Es ist besser, mir die Schuld zu geben als dem Trainer, den Spielern oder der Vereinsführung. Aber am Ende des Tages, wenn die Leute auf meine Zeit bei Norwich City zurückblicken, werden sie erkennen, dass Norwich in den letzten sechseinhalb Jahren ein ganz anderer Fußballverein geworden ist. Wir haben zwei Titel gewonnen (jeweils die Meisterschaft in der Championship, Anm. d. Red.), wir haben ein neues Trainingszentrum gebaut, das jetzt den Standard eines Champions-League-Anwärters hat. Und wir haben 21 Spielern unserer Akademie zu ihrem Debüt in der Profimannschaft verholfen.

Norwich City war in den letzten Jahren so etwas wie ein Fahrstuhlteam. Warum hat es der Verein nicht geschafft, sich in der Premier League zu etablieren?

Es kommt auf das Geld an. Wenn man sich anschaut, was wir im Gegensatz zu unseren Mitbewerbern ausgeben konnten und können, dann wird es verständlich. Selbst der FC Burnley (Aufsteiger und derzeit Tabellenletzter der Premier League mit vier Punkten, Anm. d. Red.) hatte im Sommer 100 Millionen Pfund zur Verfügung. Die höchste Ablösesumme, die wir als Premier-League-Klub für einen Spieler gezahlt haben, betrug neun Millionen Pfund.

Sie haben 2015 den derzeitigen Norwich-Trainer David Wagner als Sportdirektor von Huddersfield Town verpflichtet. Wie sind Sie auf Wagner gekommen?

Als ich 2015 nach Huddersfield kam, war der Verein in der Meisterschaft mittelmäßig, ohne Geld oder wirkliche Ambtionen. Und zufrieden damit, in der Championship zu spielen. Ich sagte damals zum Vereinsbesitzer: Wir haben nicht das Geld, um die besten englischen Trainer und Spieler zu verpflichten. Wir müssen andere Wege gehen. Etwa einen ausländischen Trainer holen. Der deutsche Markt war da interessant, weil wir Briten und die Deutschen viel gemeinsam haben. Wir lieben Fußball, wir lieben das Kämpfen und das Trinken (schmunzelt). Wir sind nicht gleich, aber wir haben mehr gemeinsam, als viele Leute denken. Das Gleiche gilt für die körperliche Komponente im Fußball. Der physische Spielstil in der zweiten Bundesliga kommt der Championship sehr nahe, und daher war der deutsche Markt potenziell ein sehr guter für uns. Dies galt auch für deutsche Trainer. Ich habe Davids Arbeit bei Borussia Dortmund II verfolgt, und als wir David verpflichtet haben, hatten wir die Möglichkeit, für wenig Geld deutsche Spieler zu verpflichten: Chris Löwe, Michael Hefele, Elias Kachunga, Christoph Schindler, Collin Quaner. Darüber hinaus war David in seiner Spielidee sehr klar. Und es zahlte sich aus. Huddersfield hatte enorme Erfolge - etwa den Aufstieg in die Premier League im Jahr 2017 und den Klassenerhalt dort im Jahr 2018.

Sie sind 2017 nach Norwich gewechselt und haben Daniel Farke geholt. War es bei ihm ähnlich wie bei Wagner?

Absolut. Daniel war auch als Trainer bei Borussia Dortmund II tätig, und auch ich habe seine Arbeit eine Zeit lang verfolgt. Aber Daniel und David sind unterschiedlich.

"David steht Klopp deutlich näher" - "Daniel will das Spiel kontrollieren"

Was ist der Unterschied zwischen Farke und Wagner?

In Sachen Fußballphilosophie steht David Jürgen Klopp deutlich näher. Er setzt auf Pressing und Umschaltspiel. Daniel hingegen will immer den Ball haben und das Spiel dominieren.

War die Situation in Norwich im Jahr 2017 vergleichbar mit der in Huddersfield im Jahr 2015?

Absolut. Auch Norwich dümpelte in der Chamionship vor sich hin, ohne Geld und ohne den Ehrgeiz, wieder aufzusteigen. Ich dachte auch: Machen wir es noch einmal wie in Huddersfield. Wir haben mit Daniel die gleiche Reise angetreten und ich bin stolz, dass wir 2019 das gleiche Ergebnis hatten: den Aufstieg in die Premier League. Es war eine besondere Zeit mit Daniel und David. Beide gaben den Vereinen die Möglichkeit, neue Märkte für Spielertransfers zu erschließen - und schufen ein Vorbild für viele Vereine in England. Beide haben sich der Aufgabe verschrieben und viel für den Verein gegeben.

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Wie unterscheiden sich Ihrer Meinung nach deutsche Trainer von englischen Trainern?

Zunächst muss ich sagen: Die englischen Trainer werden immer besser. Doch das deutsche Ausbildungssystem für Trainer war viele Jahre lang deutlich besser als das englische. Dies hat sich in letzter Zeit geändert und die Ausbildung bei uns wird besser. Deutsche Trainer sind klarer und konsequenter in ihrer Spielidee. Wenn in England eine Philosophie nicht funktionierte, tendierte man dazu, sie sofort zu verwerfen und etwas völlig anderes zu machen. Aber die neue Generation wie Steve Cooper von Nottingham Forest, Kieran McKenna von Ipswich Town oder Anthony Barry, der Thomas Tuchel von Chelsea zu Bayern München folgte, haben eine klare Vorstellung, die sie beharrlich verfolgen.

Weder Wagner noch Farke konnten sich nachhaltig in der Bundesliga etablieren. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Nein. Wenn ich einen Verein wie Schalke von außen betrachte, war die Konstanz auf der Trainerposition in letzter Zeit nicht gegeben. Dann ist vielleicht nicht der Trainer selbst das Problem. Gleiches gilt für Borussia Mönchengladbach - ein Verein mit großer Geschichte und großen Erfolgen in der Vergangenheit. Davids erste Saison bei Schalke verlief anfangs gut, in der Winterpause wurden sie Fünfter. Dann kam Covid und die Zuschauer waren weg. Aber David und seine Teams brauchen diese Energie.

Daniel Farke etwa war einer der mutigsten, wenn es darum geht, junge Spieler spielen zu lassen.

Stuart Webber

Kommen wir zu einem übergeordneten Thema: England hat derzeit eine Fülle an jungen Top-Talenten. In Deutschland sucht man den Anschluss und hat trotz des Gewinns der U-17-WM viele Baustellen auf verschiedenen Positionen. Was macht England besser als Deutschland?

Ich würde nicht besser sagen.

Okay. Was macht England anders?

Wann hatte Deutschland eine desaströse EM?

2000 in den Niederlanden und Belgien und 2004 in Portugal.

In dieser Zeit kam man in Deutschland zu dem Schluss: Wir müssen etwas ändern. Die FA hatte das 2012, als Dan Ashworth (zurzeit Sportdirektor bei Newcastle United, Anm. d. Red.) Director of Elite Development wurde. Wir hatten eine Menge Talente, die aber keinen Zugang zu den Teams in der Premier League hatten. Das ist besser geworden, außerdem haben uns die ausländischen Trainer sehr weitergebracht. Sie hatten den Mut, auch junge Spieler einzusetzen. Daniel Farke etwa war einer der mutigsten, wenn es darum geht, junge Spieler spielen zu lassen. Außerdem hat es unseren Top-Talenten wie Jadon Sancho und Jude Bellingham sehr geholfen, ins Ausland zu wechseln und bei Champions-League-Klubs zu spielen. Außerdem haben wir die Ligastruktur im Nachwuchs geändert. Die Top-Klubs messen sich jetzt, früher haben die Klubs überwiegend regional gespielt.

Inwieweit hat sich der Brexit auf den englischen Fußball ausgewirkt?

Positiv ist, dass englische Spieler wieder mehr Möglichkeiten haben, in den Profiligen zu spielen, da es für ausländische Profis schwieriger geworden ist, eine Arbeitserlaubnis für England zu bekommen.

Und im Negativen?

Ein Verein wie Norwich kann nicht länger Talente aus unteren Ligen im Ausland holen, sie entwickeln und sie dann mit Gewinn verkaufen. Jetzt werden die Talente in anderen Ländern gefördert und wir in England müssen 30, 40 oder 50 Millionen Euro bezahlen, wenn sie gut sind und wir sie haben wollen.

Die Premier League ist das Mekka für Spieler aus aller Welt. Ist das ein Vorteil oder ein Nachteil für die englischen Talente?

Es ist sowohl ein Vorteil als auch ein Nachteil. Für junge Talente ist es äußerst schwierig, den Sprung in die Premier League zu schaffen, da das Niveau extrem hoch ist. Der Vorteil besteht darin, dass man, wenn man als junger Spieler gut genug ist, um in der Premier League zu spielen, mit den Besten der Welt konkurrieren kann und in kurzer Zeit ein noch besserer Spieler wird.

Die Premier League war lange für starke Konkurrenz bekannt, auch an der Spitze. Manchester City ist derzeit das Maß aller Dinge. Befürchten Sie, dass es zu einer Dominanz kommt, wie es in der Bundesliga in den letzten elf Jahren mit Dauermeister Bayern München der Fall war?

Nein. Es gab immer Phasen der Dominanz in der Premier League. Als ich ein Junge war, wurde die Premier League von Manchester United mit Eric Cantona, David Beckham, Ryan Giggs, Roy Keane, Peter Schmeichel, Paul Scholes und den Neville-Brüdern regiert. Dann kam Arsenals Zeit unter Arsene Wenger, in der die Mannschaft in der Saison 2003/04 kein einziges Spiel verlor. Dann kam Chelsea FC unter Roman Abramovich. Ich denke, Man City kann jederzeit verlieren, weil das Niveau in der Premier League so hoch ist. Ich habe jedenfalls keine Angst, dass die Liga langweilig wird.

Kommen wir zurück zu Ihnen persönlich: Mit 18 waren Sie bereits Jugendleiter beim AFC Wrexham und mit 21 waren Sie Leiter der Scouting-Abteilung beim FC Liverpool. Das ist ziemlich früh. Warum haben Sie Ihre Spielerkarriere so früh beendet?

Ich war einfach nicht sehr gut. Also musste ich einen anderen Weg finden, um meinen Traum, im Fußball zu arbeiten, zu verwirklichen. Als junger Mann habe ich meine Trainerscheine gemacht - und dann schließlich die UEFA-Pro-Lizenz.

Aber am Anfang waren Sie Greenkeeper ...

Das trifft auf den AFC Wrexham zu. Als ich 19 war, arbeitete ich abends als Jugendtrainer und tagsüber als Greenkeeper. Später wurde ich Scout und hörte dann auf, den Rasen zu mähen (lacht).

Bei Liverpool haben Sie unter den Trainern Rafael Benitez, Kenny Dalglish und Roy Hodgson gearbeitet. Was haben Sie von ihnen mitgenommen?

Rafael war methodisch eine Offenbarung. Seine Detailarbeit war wirklich unglaublich. Ich habe oft mit Didi Hamann gesprochen, als wir gemeinsam die UEFA-Pro-Lizenz gemacht haben. Er hat immer gesagt: Rafa weiß mehr über Fußball als wir zusammen. Kenny ist ein unglaublicher Mensch. Er war als Spieler Weltklasse und gewann als Trainer die Premier League. Dennoch ist er einer der normalsten Typen der Welt, dem seine Mitmenschen sehr am Herzen liegen. Von ihm habe ich gelernt, die Leute im Klub mitzunehmen, wenn man eine Idee hat.

Webber: "Ich weiß, dass ich mit Deutschen zusammenarbeiten kann"

Was machen Sie gerade? Und wann und wo sehen Sie Ihren nächsten Job als Sportdirektor?

Ich denke derzeit über meine Arbeit in den letzten 20 Jahren nach und werde viele Studienbesuche und Ausbildungen machen. Ich war bereits bei Feyenoord und Red Bull Racing und verbringe Zeit mit Top-Trainern, Sportdirektoren und Sportpraktikern. Nach der Besteigung des Mount Everest bin ich für alles offen. Meine erste Wahl wäre ein Job im Ausland, etwa in Deutschland, Holland oder in Spanien. Aber nicht ausschließlich.

Warum Deutschland?

Deutschland wäre eine der ersten Adressen, wenn von dort ein Angebot käme. Ich hatte in England Erfolg mit deutschen Trainern und Spielern, ich weiß, dass ich mit Deutschen zusammenarbeiten kann. Ich kenne und schätze die Mentalität und ich mag den Respekt, den man in Deutschland dem Job eines Sportdirektors entgegenbringt.

Würden Sie auch in die 2. oder 3. Liga gehen?

Sicher. Das Wichtigste im Verein sind die Menschen, die für den Verein arbeiten. Wenn sie aus ihrer Komfortzone herauskommen, offen für Neues sind, kreativ und ehrgeizig sind, dann kann man - auch mit der nötigen Geduld - erfolgreich sein.

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