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Tour de France: Wie Leitungswasser zum Tod führen könnte

Arzt und Ex-Schwimmer über die Tour de France und ihre Tücken bei Ernährung und Trinken

Warnecke erklärt im Interview zur Tour: Wie Leitungswasser zum Tod führen könnte

Die Mischung macht's: Leitungswasser könnte als Getränk lebensgefährlich sein.

Die Mischung macht's: Leitungswasser könnte als Getränk lebensgefährlich sein. picture alliance / Roth

Bei der Tour de France werden von den Profis auf Bergetappen kaum vorstellbare 10.000 Kilokalorien verbraucht. Was ist eine Kilokalorie überhaupt? Wo finden sie sich?

Fett bietet beispielsweise viele Kilokalorien im Verhältnis zur aufgenommenen Menge, kann aber nicht so schnell verstoffwechselt werden. Kohlenhydrate bieten pro Menge weniger, hingegen schnell verwertbare Kilokalorien. Und auch Proteine liefern Kilokalorien, sind aber vor allem für die Regeneration nach der Belastung wichtig. Aus diesen Nährstoffen kann der Körper seine Energie ziehen, und es gibt ein paar Möglichkeiten, wie der Körper Energie reinbekommt. Das geht bei Radfahrern, die so hohe Belastungen haben, aus einer Kombination aus allen drei gerade genannten Energieträgern.

Der Zucker schüttet zum Beispiel Insulin aus. Insulin ist ein körpereigenes Hormon, das hilft, die Energie besser in den Körper zu bekommen. Würde ein Radfahrer nach einer Etappe nur einen Proteinshake ohne Zucker nehmen, würde er auch die notwendigen Proteine zur Regeneration nicht effektiv genug aufnehmen. Das würde zu langsam gehen. Der Radprofi braucht auf jeden Fall zusätzlich Kohlenhydrate. Aber sie alleine helfen nicht, den Muskel mit Energie für die Regeneration zu versorgen. Fett braucht der Radfahrer ebenfalls, weil er dermaßen viel verbrennt, dass er irgendwie wieder auf Kalorien kommen muss.

Welche Rolle spielt das Insulin dabei genau und warum steht es auf der Dopingliste?

Es spielt eine große Rolle, deswegen wurde das Insulin, was der Diabetiker kennt, auch bei Radfahrern als Doping eingenommen, um in kürzerer Zeit mehr Kalorien in den Körper zu bekommen. Die Glucoseaufnahme in die Muskeln kann damit um das Zwölffache gesteigert werden. Bei der Gesamtbelastung ist bei der Frankreich-Rundfahrt natürlich auch die Gesamtaufnahmekapazität an Kalorien entscheidend, wie ich durch die drei Wochen durchkomme und meine Speicher wieder auffüllen kann. Das kann man mit einem schnelleren Tanksystem vergleichen. Wenn jemand normal tankt, steht er länger an der Zapfsäule als jemand, der den Sprit wie ein Formel-1-Wagen reingedrückt bekommt. Deswegen ist Insulin zu Recht verboten, weil damit unter anderem versucht wurde, die Energie schneller in die Zellen zu bekommen.

Mit Salat und Pasta-Party funktioniert es nicht. Damit fährst du keine Tour.

Mark Warnecke

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Mit normaler Ernährung ist die Energieversorgung nicht zu schaffen?

Auf keinen Fall, das geht einfach nicht. Hier kommen wir zu dem Punkt, was ich beruflich mit Nahrungsergänzungsmitteln mache. Das sind Tools, um andere und errechenbare Möglichkeiten der Substitution und Nährstoffgabe zu ermöglichen. Beispielsweise die Kombination aus verschiedenen Zuckern (Kohlenhydraten), Proteinen und auch Fetten. Es sind ja auch sehr viele Kalorien in einem Eisbein oder einer Currywurst mit Pommes enthalten. Aber man kann sich vorstellen, dass es nicht sinnvoll ist, solche Kost nach oder während einer kräftezehrenden Etappe zu essen. Da bekäme der Sportler zwar Kalorien, regeneriert aber nicht und hat eine schlecht verfügbare Form der Kalorienaufnahme.

Sportler können die Kalorien viel besser in konzentrierter und sauberer Form zu sich nehmen. Wenn der Athlet etwa Proteine braucht, kann er sie isoliert oder zusätzlich mit den Kohlenhydraten aufnehmen.

Ich kann ausrechnen bzw. so mischen, dass ich die maximal mögliche Menge an Nährstoffen, die ich im Darm aufnehmen kann, tatsächlich auch verabreiche. So kann der Sportler das Maximum für sich rausholen. In solchen extremen Fällen macht die Nahrungsergänzung natürlich Sinn - ohne geht es gar nicht. Mit Salat und Pasta-Party funktioniert es nicht. Damit fährst du keine Tour.

Würden sie nur Leitungswasser trinken, würde es bei der Belastung höchstwahrscheinlich zum Tod führen.

Mark Warnecke
Jan Ullrich und Marco Pantani bei der Tour

Jan Ullrich und Marco Pantani bei der Tour de France. imago images/Bürhaus

Was passieren kann, wenn während des Rennens zu wenig gegessen und getrunken wird, hat man 1998 gesehen, als Jan Ullrich einen Hungerast hatte und mutmaßlich die Tour deswegen verloren hat. Was passiert da im Körper?

Es ist wie ein leerer Tank. Die Profis müssen darauf achten, dass sich ihre Energiespeicher so wenig wie möglich leeren, bzw. immer zusätzlich wieder auffüllen. Ganz vermeiden lässt es sich ohnehin nicht. Du musst aber auch auf andere Dinge achten, das ist bei der Tour sehr komplex. Die Flüssigkeitsbilanz ist hierbei ebenso wichtig. Die Fahrer dürfen allerdings nicht nur Leistungswasser trinken. Würden sie nur Leitungswasser trinken, würde es bei der Belastung höchstwahrscheinlich zum Tod führen, weil sie eine Wasservergiftung durch Natriummangel bekommen. 2015 hat das einen Marathonläufer beim Ironman in Frankfurt das Leben gekostet, es gibt viele vergleichbare Fälle.

Es benötigt Salz im Wasser, um es aufnehmen zu können. Ansonsten scheiden die Radfahrer mehr Mineralien aus, als sie aufnehmen. Das ist fatal. Mit den Kohlenhydraten ist es ähnlich, aber man sollte keine hypertonen Lösungen zu sich nehmen - also nur Gels - ohne genügend Wasser, weil es bei deren Aufnahme im Darm dem Körper erstmal Flüssigkeit entzieht. Das bekommen die Sportler gar nicht gut verstoffwechselt. Somit müssen sie Flüssigkeiten am besten leicht unter isotonisch verdünnt zu sich nehmen, um für eine maximale Flüssigkeitsaufnahme zu sorgen und damit die Leistungsfähigkeit des Körpers zu erhalten. Das müssen sie natürlich regelmäßig machen.

An der Cola stört mich am allermeisten gar nicht, dass sie nur Einfachzucker hat und nur einen kurzen Push bringt, sondern die Phosphorsäure, die drin ist.

Mark Warnecke

Muss ich immer zusätzliche Energie zuführen?

Mark Warnecke

Mediziner Mark Warnecke. M. Warnecke

Der Mensch kommt relativ lange ohne zugeführte Energie aus, was natürlich auch typabhängig ist. Beim Laufen oder Radfahren geht es bis zu 90 Minuten ohne Kohlenhydrate. Danach benötigt der Sportler aber wirklich welche. Wenn du weißt, dass du über 90 Minuten Sport treibst, was übrigens auch beim Fußball mit Aufwärmen und Pause der Fall ist, musst du vorher schon aktiv beginnen, deine Kohlenhydratspeicher zu unterstützen. Sonst läufst du leer und es geht dir wie Jan Ullrich.

Man sagt ja auch so schön: 'Einmal Zucker, immer Zucker.' Wer einmal damit anfängt, muss auch dabei bleiben. Vor allen Dingen diese Traubenzucker sind gefährlich. In der Werbung wird immer so schön gesagt: 'Das geht ganz schnell ins Blut.' Das ist richtig. Aber er ist auch ganz schnell wieder draußen. Danach unterzuckerst du, wenn du Pech hast. Sportler müssen auch komplexe Kohlenhydrate zu sich nehmen, das heißt nicht nur die kurzen, sondern auch die längerkettigen Kohlenhydrate, um das Unterzuckern abzupuffern. Das ist schon eine sehr komplizierte Sache und da machen Sportgetränke Sinn.

Unterzuckern ist ein gutes Thema. In der letzten Rennstunde sieht man öfters einige Fahrer, die sich eine Dose Cola reinziehen.

Da halte ich nichts davon. Cola ist genau das Falsche. An der Cola stört mich am allermeisten gar nicht, dass sie nur Einfachzucker hat und nur einen kurzen Push bringt, sondern die Phosphorsäure, die drin ist. Das ist genau das, was ein Sportler nicht braucht. Das entmineralisiert nochmal, wenn der Athlet ohnehin am Limit ist. Das könnte mit einem Sportgetränk deutlich eleganter und effektiver gelöst werden.

Das ist mehr Ritual als Nutzen. Dabei geht es auch noch um Koffein, was ja auch aufputscht, aber auch das lässt sich heutzutage eleganter lösen. Da ist die Cola nicht das beste Mittel zum Zweck.

TRANSPARENZHINWEIS
Der Olympia-Verlag kooperiert mit der Mark Warnecke GmbH und vertreibt u.a. Produkte über den kicker Shop.

Interview: Tobias Rudolf

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Arzt und Ex-Schwimmer Warnecke: "Der Körper war auf dem absteigenden Ast"

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