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WM 2022: Kommentar zum Aus von Oliver Bierhoff beim DFB

Kommentar

Vom Pionier zum Bremser: Bierhoff macht den Weg frei

Lange erfolgreich, zuletzt aber am Scheitern beteiligt: Oliver Bierhoff.

Lange erfolgreich, zuletzt aber am Scheitern beteiligt: Oliver Bierhoff. IMAGO/ULMER Pressebildagentur

Das Tempo war überraschend, der Inhalt nicht: Oliver Bierhoff hat mit seinem Rücktritt die notwendige Konsequenz gezogen aus dem zweiten Aus in der Gruppenphase bei einer Weltmeisterschaft in Serie und einem beispiellosen Niedergang der Nationalmannschaft in den vergangenen Jahren. Diesen hat der frühere Weltklassestürmer beileibe nicht allein zu verantworten, aber er hat mit fatalen Fehlern im Management und in der Personalpolitik maßgeblich dazu beigetragen.

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Das fing damit an, dass er sich nach den desaströsen Darbietungen bei der WM 2018 in Russland nicht zu einer Trennung von Joachim Löw durchringen konnte, sondern seinen langjährigen Weggefährten gegen alle öffentlichen Widerstände im Amt hielt.

Das setzte sich fort, als er sich nach dem ernüchternden Achtelfinal-K.o. bei der EM 2021 noch immer gegen die Verpflichtung eines Sportdirektors sperrte, sondern in Hansi Flick lediglich einen alten Kumpel als neuen Bundestrainer holte.

Und das gipfelte bei der laufenden WM in Katar in schwerwiegenden Fehlern, vor allem in der Binden-Affäre, die Bierhoff und DFB-Präsident Bernd Neuendorf zu lange laufen ließen und damit die Mannschaft belasteten.

So schmucklos das Ende jetzt auch ist: Bierhoffs Verdienste in seinen 18 Jahren beim DFB sind enorm und unbestritten. Gemeinsam mit Jürgen Klinsmann und später Löw als Cheftrainer schaffte er zukunftsweisende Rahmenbedingungen für die Nationalmannschaft, die im Gewinn des Weltmeistertitels 2014 zum Ertrag führten. Sein wichtigstes und nachhaltigstes Projekt für den rückständigen Verband war die Planung und Errichtung der Akademie, in dessen Verlauf er sich gegen massive Widerstände vor allem der DFL erfolgreich zur Wehr setzte.

Bobic? Sammer? Zeit für Entscheidungen drängt

Besonderer Beliebtheit erfreute sich der schon als Profi mehr geachtete als verehrte Schütze des Golden Goals zum EM-Titel 1996 auch in der Funktionärsrolle nicht. Für viele Fans verkörperte er den Inbegriff einer enthemmten Kommerzialisierung und Entkoppelung von der Basis, erst recht, als er "Die Mannschaft" als Marke etablieren wollte, obwohl es dafür in der Basis keine Akzeptanz gab. In den letzten Jahren, so der Eindruck, ging es Bierhoff mehr um die eigene Macht als um Inhalte. Der einstige Pionier war im DFB zum großen Bremser geworden.

Mit der vorzeitigen Auflösung seines bis 2024 datierten Vertrag als Geschäftsführer Nationalmannschaften und Akademie macht Bierhoff den Weg frei für überfällige Reformen. Und er schaffte Fakten vor der am Mittwoch mit Spannung erwarteten Aussprache zwischen DFB-Präsident Bernd Neuendorf, Vize Hans-Joachim Watzke und Hansi Flick, dessen Zukunft als Bundestrainer aktuell keineswegs gesichert ist.

Neuendorf erwartet vom Bundestrainer eine schlüssige Analyse des WM-Scheiterns und eine Perspektive. Auf der anderen Seite wird Flick seine Entscheidung wohl auch davon abhängig machen, wer anstelle seines Spezis Bierhoff nun der erste Ansprechpartner und Vorgesetzte sein wird. Fredi Bobic? Matthias Sammer? Die Zeit für Entscheidungen drängt weiterhin. In 18 Monaten schon startet die EM.

Oliver Hartmann