Bundesliga

Mainzer Sportvorstand Schröder im Interview über die Folgen der Krise

Der Mainzer Sportvorstand im Interview über die Folgen der Krise

Schröder: "Das könnte eine Aufwertung für die Bundesliga bringen"

Muss mit Mainz keine Spieler verkaufen: FSV-Sportvorstand Rouven Schröder.

Muss mit Mainz keine Spieler verkaufen: FSV-Sportvorstand Rouven Schröder. imago images

Herr Schröder, welche Auswirkungen der Corona-Pandemie erwarten Sie für den Transfermarkt?

Rouven Schröder: Die grundsätzliche Frage ist, wann es mit dem Fußball wieder losgeht und wann die Spielzeiten enden werden. Daran angrenzend müsste das Transferfenster gebaut werden, immer unter Berücksichtigung der unterschiedlichen zeitlichen Entwicklungen in den TOP-5-Ligen in Europa.

Es gibt verschiedene Modelle für künftige Transferperioden. Welche Lösung befürworten Sie?

Von der FIFA gibt es unter anderem die Empfehlung, dass das Transferfenster für maximal 16 Wochen offen bleiben soll. Von anderer Stelle wurde die Idee für ein durchgehendes Transferfenster, zum Beispiel vom 1. Juli bis zum 31. Januar, eingebracht. Eine derart lange Transferzeit halte ich für vollkommen falsch und für die Klubs nicht umsetzbar, weil ein Spieler jederzeit wechseln könnte, wir permanent Unruhe hätten und auch Verzerrungen im laufenden Wettbewerb möglich wären. Und zu guter Letzt kam ein Vorschlag, womöglich drei Transferfenster zu installieren. An den verschiedenen Ideen merkt man: Alles ist in Bewegung, alle suchen aus ihrer Perspektive passende Lösungen. Jeder sucht eine passende Struktur und geht potenzielle Szenarien durch. Aus der allgemeinen Unklarheit resultieren irgendwelche Ideen, die aber nicht immer praktikabel sind. Aus meiner Sicht reichen zwei Transferperioden aus, sie müssten aber zeitlich an die aktuellen Entwicklungen und die Bedürfnisse der großen Ligen angepasst werden.

Welche Fragen sind für Sie, den Sportvorstand des FSV Mainz 05, die drängendsten mit Blick auf Transfers?

Es sind die Fragen, die alle Beteiligten beschäftigen: Wann und wie geht es weiter mit dem Spielbetrieb? Wie reguliert sich der Markt? Investiert zunächst die Premier League als finanzstärkste Liga? Wann also kommt Geld in den Markt? Wie können sich die von der Krise unmittelbar stark betroffenen Klubs in Spanien und Italien im Markt bewegen? In welcher Höhe können Transfers stattfinden und wie wirkt sich die Krise auf Transfersummen aus? Wie sieht es mit dem Financial Fairplay aus? Die Antworten auf diese Fragen werden wir erst in den kommenden Wochen und Monaten erfahren.

Ich denke aber, dass die aktuelle Krise wahrscheinlich jede Verhandlung in diesem Sommer irgendwie beeinflusst.

Rouven Schröder

Welche Aspekte müssen Sie wegen der Corona-Krise verstärkt in Ihre Überlegungen und Planungen des eigenen Kaders einbeziehen?

Man muss erst einmal sein eigenes Budget überblicken, welche Mittel man zur Verfügung haben wird und welche Summen möglicherweise durch die Krise verloren gehen, weil vielleicht auch Lücken im eigenen Verein geschlossen werden müssen. Dann geht der Blick in den Markt, wie sich die Marktwerte der Spieler entwickeln, die der eigenen mit einem Erlöspotenzial sowie von jenen Profis, für die du dich interessierst. All das wissen wir heute noch nicht. Ich denke aber, dass die aktuelle Krise wahrscheinlich jede Verhandlung in diesem Sommer irgendwie beeinflusst.

Schröder: "Garantiert interessant wird das Thema Leihgeschäfte"

Werden wegen Corona verstärkt neue Modelle für Transfers praktiziert werden?

Neue Modelle vielleicht nicht, aber jeder Klub wird für sich eigene Wege definieren müssen. Garantiert interessant wird das Thema Leihgeschäfte. Zum einen, weil jeder Kader voller wird, weil Leihspieler zurückkommen, die vielleicht im Kopf schon wieder weiter transferiert waren. Zum anderen sind Leihspieler aber immer auch eine Option, den Kader zu optimieren und dabei das Budget nicht zu sehr zu belasten.

Was tut sich aktuell bei Transfers?

Bei uns liegt das Transfergeschäft aktuell auf Eis. Die Situation ist für alle unheimlich schwer zu überblicken, es ist eigentlich gar nichts zu planen. Nehmen wir ein Fallbeispiel: Du hast den Spieler X für 15 Millionen Euro zum Verkauf im Kopf, weißt aber nicht, ob du diese 15 Millionen noch bekommst oder eventuell nur die Hälfte - und ob du davon noch vier Millionen abgeben musst, um Löcher zu stopfen.

"...daher konzentrieren wir uns auf das Video-Scouting von Spielen"

Wie sichten Sie zurzeit mögliche neue Spieler?

Bei der Beurteilung von potenziellen Zugängen fehlt aktuell leider der Eindruck aus Livespielen, in denen ein Spieler noch einmal zu beobachten wäre: In welchem Verhältnis bewegen sich aktuelles Leistungsvermögen, Marktwert und Ablöse? Das ist im Moment kaum zu bewerten. Daher konzentrieren wir uns auf das Video-Scouting von Spielen, die bis März gelaufen sind, und die Pflege unserer Datenbank.

Sehen Sie mit Blick auf den Transfermarkt Unterschiede zwischen großen und kleinen Klubs?

Ja. Die ganz Großen haben einen anderen Wettbewerb. Wenn zum Beispiel die Engländer investieren würden, wäre wieder Geld im Markt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würde dann die internationale Konkurrenz nachziehen und reinvestieren. Dann würde der globale Fußballzirkus über die Big Player mit ihren Investoren wieder angeschoben.

Die kleineren Vereine werden auf ihre eigenen Einnahmen angewiesen sein. Und sie werden bei den Ausgaben deutlich vorsichtiger vorgehen, um sich Rücklagen für Krisenzeiten wie jetzt zu schaffen.

"Eine Pandemie und ihre Auswirkungen kann man nicht planen"

Entlarvt die Corona-Pandemie, dass im Fußball die meisten Klubs ihre Budgets - so ein häufiger Kritikpunkt - zu sehr auf Kante nähen?

Ich kann nur für Mainz 05 sprechen. Wir haben immer sehr seriös, vorsichtig und konservativ gewirtschaftet. Aktuell befinden wir uns in einer Ausnahmesituation, die niemand einkalkulieren konnte, auch nicht in Wirtschaftsbereichen außerhalb des Fußballs. Eine Pandemie und ihre Auswirkungen kann man nicht planen und nicht versichern. Es hat nichts damit zu tun, sich kein Futter oder Polster geschaffen und nicht gut gewirtschaftet zu haben. Wir als kleiner Verein haben das Geld nicht nur für die Spieler ausgegeben, sondern auch in die Infrastruktur investiert. Das müssen wir, um in der Bundesliga konkurrenzfähig zu sein.

Werden Sie als Verantwortlicher in Mainz irgendwelche Konsequenzen aus den Corona-Erfahrungen ziehen oder ziehen müssen?

Wir in Mainz werden unseren Weg des konservativen Wirtschaftens genauso weitergehen wie bisher, dabei wahrscheinlich das Thema Rücklagen noch mehr in den Fokus nehmen. Die Erfahrung dieser Pandemie kann dem Fußball helfen, sich für künftige derartige Ereignisse ein wenig besser vorzubereiten, auch wenn dies nicht planbar ist. Andere, neue Ressourcen zu erschließen, wird nicht einfach sein. Bei Mainz 05 kommen mehr als 50 Prozent der Einnahmen aus dem TV, wenn diese große und grundsätzlich belastbare Säule unserer Einnahmen wegbricht, wird es irgendwann eng.

Gibt man seinen Wunschspieler auf und sagt, 'wenn du dort 10.000 Euro im Monat mehr bekommst, geh' halt dorthin!' Oder geht man wieder mit?

Rouven Schröder

Wird das Virus mit all seinen Folgen eine Bewusstseinsänderung im Fußball bewirken?

Sobald es wieder losgeht, bewegen wir uns wieder in der Konkurrenzsituation mit den anderen Klubs. Wie standhaft kann man da als einzelner Klub überhaupt sein, um gewisse Dinge nicht mitzugehen, etwa die Entwicklung bei den Ablösen und den Gehältern? Gibt man seinen Wunschspieler auf und sagt, wenn du dort 10.000 Euro im Monat mehr bekommst, geh' halt dorthin! Oder geht man wieder mit?

Wie lautet Ihre Antwort?

Am Ende ist es ein Business. Da fragt dich im März 2021, wenn du in der Bundesliga auf Platz 18 stehst oder einfach nur zu wenige Punkte hast, wahrscheinlich keiner mehr, was 2020 mit Corona war und wie die Situation dein Transferverhalten beeinflusst hat. Im Fußball zählt fast immer nur die Gegenwart, aber ich lasse mich gerne positiv überraschen.

Werden die Berater der Spieler bei den Transfers künftig weniger Geld kassieren?

Wir haben sehr viele inhaltlich gute und dazu feinfühlige Berater, das spüre ich auch in dieser Krisenzeit. Aber es gibt auch solche, die jetzt schon krampfhaft die neue Saison planen wollen. Denen sage ich: Ich kenne das Budget nicht, mit dem ich planen kann - bitte warten. Und: Die Berater sind an Ablösen und Gehältern prozentual beteiligt. Sollten sich die Summen nach unten bewegen, verdienen sie auch weniger. Wir werden aber mit den seriösen Beratern immer Agreements finden.

Mainz plant "in verschiedenen Szenarien"

Welche Gehaltsentwicklung erwarten Sie für einen Verein, der sich im Finanz-Segment des FSV Mainz 05 bewegt?

Wir werden das Budget des gesamten Vereins für die kommende Saison neu ausrichten müssen. Auch wenn wir heute noch nicht wissen, wie die Entwicklung sein wird, planen wir insgesamt in verschiedenen Szenarien. Der Gehaltsetat für die kommende Saison ist aber grundsätzlich darstellbar. Ob sich die Krise nachhaltig auswirkt, werden wir sehen.

Muss Mainz Spieler verkaufen?

Wir haben die große Chance, die nächste Saison mit der nahezu gleichen Mannschaft bestreiten zu können - das gab es lange nicht und ist eine wichtige Basis. Aber elementar ist auch für diesen Ansatz, dass wir die Saison 2019/20 beenden können.

Ihr Verein hat in den vergangenen Jahren gute Transfererlöse erzielt. Befürchten Sie, dass mögliche Abnehmer für Mainzer Spieler wegen der Finanzknappheit nach Corona ausbleiben und Sie deshalb Probleme bekommen?

Angebote für unsere Spieler werden kommen, das liegt in der Natur der Dinge. Aber wir sind zum Glück nicht unter dem Druck, dass wir verkaufen müssen. Wir können sehr rational in Verhandlungen gehen und beabsichtigen nicht, Spieler unter Marktwert abzugeben, falls wir uns für einen Transfer entscheiden.

Wie sehen Sie die Bundesliga insgesamt und im Vergleich zum Ausland aufgestellt?

Die Bundesliga leistet seriöse Arbeit. Das ist vorbildlich und professionell gegenüber anderen Ländern. Sehr viele Spieler schätzen es sehr wert, in der Bundesliga spielen zu dürfen. Aus dem Ausland kommen lobende Stimmen, dass die Deutschen ihren Weg sehr professionell und verlässlich weitergehen, sie halten ihre Versprechen, auch bei Gehältern und sonstigen Verpflichtungen. Die ausländischen Spieler tragen diese Botschaft in ihre Heimatländer. Das könnte eine Aufwertung für die Bundesliga und den deutschen Fußball bringen. In Zukunft kann das bei manchem Spieler, der zwei oder drei Klubs in verschiedenen Ligen zur Auswahl hat, durchaus für die Bundesliga oder die Zweite Liga den Ausschlag geben.

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