2. Bundesliga

Herthas Pekarik: "Grenzen existieren nur in unserem Kopf"

Herthas Musterprofi bilanziert seine Karriere

Pekarik im Interview: "Grenzen existieren nur in unserem Kopf"

Verabschiedete sich nach dem letzten Saison-Heimspiel beim Hertha-Anhang: Berlins langjähriger, slowakischer Rechtsverteidiger Peter Pekarik.

Verabschiedete sich nach dem letzten Saison-Heimspiel beim Hertha-Anhang: Berlins langjähriger, slowakischer Rechtsverteidiger Peter Pekarik. IMAGO/Matthias Koch

Als ihn Hertha-Coach Pal Dardai am Samstag gegen den 1. FC Kaiserslautern (3:1) nach 83 Minuten aufs Feld schickte, brandete Jubel im Olympiastadion auf. Peter Pekarik winkte Richtung Ränge, er wirkte gerührt, beinahe überwältigt von den Ovationen und Emotionen. Mit einem großen Banner zeigten die Fans ihre Zuneigung: "Auf dem Rücken die 2, in unserem Herzen die 1. Danke, Peter!" Pirouetten fürs Ego waren nie sein Ding, der Rechtsverteidiger Pekarik lieferte mit maximaler Zuverlässigkeit solide Arbeit ab. Nur Marek Hamsik (138) hat mehr Länderspiele für die Slowakei bestritten als der ewige Pekarik (125), der im Januar 2009 nach Deutschland wechselte und mit dem VfL Wolfsburg am Ende jener Saison die Deutsche Meisterschaft feierte. Mit Makoto Hasebe geht ein Teamkollege von damals jetzt mit 40 Jahren in den Profi-Ruhestand. Der 37-jährige Pekarik, dessen Vertrag bei Hertha am 30. Juni endet, überlegt, seine Karriere fortzusetzen.

Wie emotional war der Abschied im Olympiastadion nach Ihrer Einwechslung gegen Kaiserslautern für Sie, Herr Pekarik?

Im Moment betrachte ich meine fußballerische Reise bei Hertha BSC noch nicht als abgeschlossen. In den Gesprächen mit den Hertha-Verantwortlichen haben wir uns darauf geeinigt, dass wir im letzten Heimspiel keine offizielle Verabschiedung für mich vornehmen werden. Denn nach der Europameisterschaft werden wir uns wieder treffen und die nächsten Schritte besprechen. Deshalb war auch meine Feier nach dem Spiel mit unseren Fans sehr spontan und für mich sehr emotional und schön. Die Fans haben einen großen Anteil daran, dass ich Hertha seit vielen Jahren die Treue halte. Der richtige Zeitpunkt für die offizielle Verabschiedung wird kommen.

Auch wenn Ihre Rolle als Back-up und Mentor für die Talente klar besprochen war ­- hatten Sie in dieser Saison mehr Einsatzzeiten erwartet?

Hertha ist mir in den zwölf Jahren, in denen ich hier arbeite, sehr ans Herz gewachsen. Es gab immer eine große Initiative von Herthas Seite, damit ich den Verein nicht verlasse, und von meiner Seite war es auch immer so. Aus gegenseitiger Sympathie entwickelte sich etwas Größeres. Ich sehe Hertha als meine Fußballfamilie. Auch wenn wir in der letzten Saison abgestiegen sind, wollte ich im Verein bleiben, ihm helfen und ein Teil des neuen Projekts, des Berliner Wegs, werden.

Im Sommer gab es einen großen personellen Umbruch in unserer Mannschaft. Viele junge Talente aus unserer Akademie wurden in unsere Mannschaft integriert. Meine Aufgabe als einer der erfahrensten Spieler im Team war es, meinen jüngeren Mitspielern bei der Anpassung an die Profimannschaft zu helfen. Wir diskutieren praktisch jeden Tag über Training, Ernährung, Einstellung, Lebensstil und Regeneration. Der Fußball hat mir viel gegeben, jetzt gebe ich ihm langsam etwas zurück.

Könnte Ihre mangelnde Spielpraxis ein Problem für die EURO 2024 werden?

Peter Pekarik

Emotionale Verabschiedung in der Kurve: Peter Pekarik wurde nach dem 3:1-Sieg gegen Kaiserslautern von den Hertha-Anhängern gefeiert. picture alliance / nordphoto GmbH

In unserer erfolgreichen Qualifikation habe ich neun von zehn Spielen für die slowakische Nationalmannschaft bestritten, in einem Spiel habe ich wegen einer Gelbsperre gefehlt. In dieser Richtung hilft mir meine innere Einstellung sehr. Ich weiß, wie viel ich für den Fußball opfere. Wenn ich mir sicher bin, dass ich im Trainingsprozess, in der individuellen Vorbereitung, in der Lebensführung oder in anderen entscheidenden Details nichts unterschätzt habe, gehe ich immer mit Ruhe und einem guten Gefühl auf den Platz.

Neben dem Mannschaftstraining bei Hertha absolviere ich meine Einzeltrainings, ich bin noch eine Stunde vor und eine Stunde nach dem Training im Gym. Außerdem mache ich abends zu Hause immer mein Trainingsprogramm. Auch bei meinem langfristigen Lebensstil will ich keine Kompromisse eingehen. Ein großes Dankeschön geht an unsere Fitnesstrainer Henrik Kuchno und Hendrik Vieth, die jedes Mal ein spezielles Trainingsprogramm für mich ausgearbeitet haben, das darauf basierte, dass ich, wenn ich am Wochenende nicht gespielt hatte, am nächsten Tag eine spezielle Trainingseinheit absolvierte, die alle Parameter einer Spielbelastung erfüllte.

Wie stehen die Chancen der Slowakei, in der EM-Vorrundengruppe mit Belgien, Rumänien und der Ukraine weiterzukommen?

Ich freue mich sehr, dass es die Slowakei zum dritten Mal in Folge zur Endrunde der Europameisterschaft geschafft hat, was seit der Erweiterung der EURO auf 24 Mannschaften nur 14 der 55 Mitgliedsländer gelungen ist. Ich schätze unsere Gruppe bei der EM in Deutschland als sehr ausgeglichen ein, alle Mannschaften können über ein Weiterkommen nachdenken. Belgien und Rumänien haben in ihren Qualifikationsgruppen kein einziges Spiel verloren.

Die Ukraine hat das Weiterkommen in der Gruppe knapp verpasst, aber dann beide Playoff-Spiele gewonnen. Doch wir wollen und werden auf uns schauen. Und gemeinsam mit unseren Fans werden wir wieder versuchen, unser Maximum bei den Finalturnieren zu wiederholen, das zweimal die Teilnahme am Achtelfinale war (WM 2010 gegen die Niederlande 1:2 im Achtelfinale, EM 2016 gegen Deutschland 0:3, d. Red.). Unsere Mannschaft hat sich mit jedem Qualifikationszyklus verändert. Das wichtigste und solide Attribut für den Erfolg unserer Nationalelf ist jedoch bei allen Erfolgen dasselbe.

Ich kann mir im Moment vorstellen, dass ich meine Profikarriere fortsetze.

Peter Pekarik über die Zeit nach der Europameisterschaft

Welches ist das?

Das ist der Geist unserer Mannschaft, der Zusammenhalt und die Teamarbeit. Dies ist das A und O unseres Erfolgs. Wir sind im Vergleich zu den Fußballgiganten ein kleineres Land. Aber wenn wir alle in die gleiche Richtung auf unser Ziel zugehen, werden wir dieses Ziel auch erreichen.

Wer wird Europameister?

Es gibt für mich mehrere Favoriten, allen voran Deutschland, England, Frankreich und Portugal.

Hängt von der EURO ab, ob Sie ihre Profikarriere noch ein Jahr fortsetzen?

Im Moment konzentriere ich mich nur auf das Ende der Vereinssaison und die EM-Vorbereitung. Ich fühle mich körperlich noch sehr gut, spüre keine Einschränkungen und habe immer noch viel Spaß am Fußball. Deshalb kann ich mir im Moment auch vorstellen, dass ich meine Profikarriere auch nach der EM fortsetzen werde.

Haben Sie eher Lust auf ein Abenteuer in Nordamerika oder auf eine Rückkehr zu Ihrem slowakischen Heimatklub MSK Zilina?

Natürlich wäre es schön, meine Profikarriere in Deutschland zu beenden, in dem Land, in dem ich seit 15 Jahren tätig bin. Und vor allem bei Hertha BSC, einem Verein, dem ich seit zwölf Jahren angehöre und der meine fußballerische Heimat geworden ist. Das Gleiche gilt für meine Heimat Slowakei, denn dort bin ich mit dem Fußball aufgewachsen. Der richtige Zeitpunkt für die endgültige Entscheidung wird kommen.

Felix Magaths Methoden erinnerten mich oft an militärisches Training.

Peter Pekarik über Felix Magath

Warum hat der Fußballer Peter Pekarik so gut nach Deutschland gepasst?

Die deutsche Bundesliga gehört für mich zu den besten und meistbesuchten Fußball-Ligen der Welt und war mein Traumziel im Fußball. Der Wolfsburger Trainer Felix Magath, der mich für die Mannschaft gescoutet hat, bereitete mich auf den körperlich anspruchsvollen Wettkampf vor. Seine Trainingsmethoden erinnerten mich oft an militärisches Training. Solche körperlich anspruchsvollen Trainings lehrten mich, oft bis an die Grenzen meiner Kräfte zu gehen. Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass der menschliche Körper viel mehr Potenzial hat, als wir uns vorstellen können, und dass die Grenzen nur in unserem Kopf existieren. Ich bin Felix Magath dankbar, dass er mich körperlich und geistig auf die Bundesliga vorbereitet hat. In Deutschland habe ich noch mehr Disziplin und Professionalität gelernt.

Ich widme den größten Teil meines Tages dem Fußball. Viele Leute fragen mich, was ich noch mache, weil ich in meiner Karriere schon alles erreicht habe, was ich wollte. Denen antworte ich, dass man viel tun muss, um 15 Jahre lang in einem so hochwertigen Wettbewerb wie der deutschen Bundesliga zu bleiben. Für mich sind die Details entscheidend. Wenn man sich um sie kümmert, kann man sehr lange an der Spitze bleiben. Man muss immer vorwärts gehen, sich neue Ziele setzen und ständig neue Dinge lernen. Wenn mich jüngere Teamkollegen um Rat fragen, freue ich mich sehr, wenn ich ihnen mit meiner Erfahrung helfen kann. Auch unter diesem Gesichtspunkt sehe ich noch viel Sinn darin.

Sie wurden mit dem VfL Wolfsburg 2009 Deutscher Meister. Was waren daneben die Karriere-Highlights für Sie - und was der Tiefpunkt?

Ich habe einen großen Teil meiner Profikarriere der deutschen Bundesliga gewidmet. Deshalb ist es auch der Gewinn der deutschen Meisterschaft mit dem VfL Wolfsburg, mit dem ich auch in der Gruppenphase der Champions League und im Viertelfinale der Europa League gespielt habe. Dann natürlich meine zwölf Jahre bei Hertha BSC, dem Verein, in dem ich über diesen langen Zeitraum unvergessliche Fußballgeschichten erlebt und es bis in die Europa League geschafft habe. In der Slowakei, im Trikot von MSK Zilina, waren sicherlich der Gewinn des Meistertitels und die Teilnahme an Europapokalen Highlights. Ich bin seit 17 Jahren in der slowakischen Nationalmannschaft und habe dort bisher 125 Spiele bestritten. In dieser Zeit haben wir den Einzug in vier Endrunden (die WM 2010 und die EM 2016, 2020, 2024, d. Red.) geschafft.

Und der schlimmste Moment?

Ich betrachte Niederlagen oder Verletzungen nicht als die schlimmsten Momente. Für mich sind das die besten Lektionen, die ich im Fußball erhalten kann. In solchen Momenten wird einem klar, ob man lernen und vorankommen will und vor allem, ob man sich von nichts und niemandem unterkriegen lassen will.

Peter Pekarik (li.) im Zweikampf mit Cristiano Ronaldo

Während des Qualifikationsspiel für die EM 2024 lieferten sich Peter Pekarik (li.) und Portugals Superstar Cristiano Ronaldo einen Zweikampf. picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Wer war in all den Jahren Ihr bester Mitspieler und wer Ihr stärkster Gegenspieler?

Da gibt es eine Menge. Ich bin froh, dass ich während meiner Karriere viele großartige Menschen kennenlernen und Freundschaften schließen konnte. Die besten Gegner, gegen die ich gespielt habe? Auch da gibt es viele Namen. In meiner 21-jährigen Profikarriere habe ich gegen viele Stars und Weltklassespieler gespielt. Wenn ich ein paar Namen herausgreifen müsste, wären es Ribery, Cristiano Ronaldo, Rafael Leao, Fernandes, Robben, Gnabry, Sane, Coman, Musiala, Lewandowski, Reus, Pizzaro, Raul, Ze Roberto, Jordi Alba, Silva, Iniesta, Cannavaro, Chiellini, Pirlo, Beckham, Kane, Van Persie, Modric und Kroos.

Ihr Trainer Pal Dardai nennt Sie einen "Muster-Profi": zuverlässig, fleißig, ein Teamplayer. Was macht den ruhigen Peter Pekarik sauer?

Mein natürlicher Charakter spielt dabei eine große Rolle. Ich bin ein positiver Mensch, der in jedem Hindernis eine neue Herausforderung sucht. In meiner Laufbahn habe ich mich nie von etwas unterkriegen lassen. Natürlich gab es viele Prüfungen und Herausforderungen, die es zu meistern galt. Ich habe immer erkannt, dass mir Jammern nichts bringt und mein Problem nicht löst. Ich halte mich immer an meinen Plan, weniger zu reden und mehr an mir zu arbeiten. Mit diesem Ansatz habe ich mir in meiner Karriere alle meine Fußballträume erfüllt.

Profi-Trainer, Jugend-Trainer, Management-Bereich: Wo sehen Sie Ihre berufliche Zukunft?

Ich habe mein ganzes Leben mit dem Fußball verbracht. Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um meine Profikarriere zu beenden, würde ich mich sehr gerne der Jugendarbeit widmen. Ich möchte die Erfahrungen aus meiner eigenen Karriere an jüngere Generationen weitergeben und jungen Spielern bei ihrer Entwicklung helfen.

Wann und in welcher Rolle kehren Sie zu Hertha BSC zurück?

Ich habe dieses Thema gemeinsam mit Sportdirektor Benjamin Weber und "Zecke" Neuendorf (Direktor Akademie und Lizenzspielerbereich, d. Red.) besprochen. Was meine berufliche Karriere und deren Ausrichtung betrifft, haben wir uns darauf geeinigt, dass wir nach der EM über meine nächsten Schritte sprechen werden. Es gibt von beiden Seiten den Wunsch, dass ich auch nach meiner aktiven Laufbahn bei Hertha bleibe und meinen Beitrag leiste.

Hertha BSC hat turbulente Jahre hinter sich inklusive Abstieg 2023. Hat der Klub aus seinen Fehlern gelernt - und schafft er kommende Saison den Bundesliga-Aufstieg?

Im vergangenen Sommer hat in unserem Verein eine sehr positive Veränderung in diese Richtung stattgefunden. Leute, die diesen Verein in ihrer DNA haben, sind zu Hertha und dem Management zurückgekehrt. Auch wenn es nach Herthas Abstieg in die 2. Bundesliga einen großen Umbruch in unserem Team gab, hat der Verein bei der Planung der Mannschaft für diese Saison sehr gute Arbeit geleistet. Es ist eine gesunde und geschlossene Kabine entstanden, das muss auch in der nächsten Saison fortgesetzt werden. Das Projekt und die Vision unseres verstorbenen Präsidenten Kay Bernstein, der Berliner Weg, wird diese Botschaft auch in die nächsten Spielzeiten tragen. Dieses Projekt hat den gesamten Verein, die Kabine, die Vereinsmitarbeiter und die Fans noch mehr zusammengeführt. Ich glaube und wünsche mir fest, dass Hertha in der nächsten Saison den Aufstieg in die 1. Bundesliga feiern wird. Denn ein Verein mit einer so reichen Bundesliga-Geschichte und einer so großen Fangemeinde gehört definitiv in die 1. Bundesliga.

Sie sind ein Riesen-Eishockey-Fan. Gerade läuft die WM in Tschechien. Darf man als Slowake eigentlich auch tschechische Lieblingsspieler haben?

(lacht) Seit ich klein war, hat mich Fußball immer mehr angezogen als Eishockey. Aber natürlich ist Eishockey in der Slowakei sehr beliebt, ich bin ein großer Fan dieser Sportart. Mein Lieblingsspieler? Da wir früher mit der Tschechischen Republik ein Land waren, habe ich mehrere tschechische und slowakische Lieblingsspieler: Marian Hossa, Pavol Demitra, Zigmund Palffy, Marian Gaborik und Miroslav Satan, aber von tschechischer Seite genauso Jaromir Jagr und Patrik Elias.

Interview: Steffen Rohr

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