Virtual Bundesliga

"Nichts mehr mit Fairplay zu tun": Sind die VBL Open integer?

kicker eSport exklusiv

"Nichts mehr mit Fairplay zu tun": Sind die VBL Open noch integer?

Ex-eNationalcoach 'STYLO' geht mit den VBL Open hart ins Gericht.

Ex-eNationalcoach 'STYLO' geht mit den VBL Open hart ins Gericht. IMAGO/Beautiful Sports

"Die Chance für alle" - mit diesem Slogan bewirbt die Deutsche Fußball Liga (DFL) die VBL Open auf ihrer offiziellen Webseite. Sie sollen ein Weg für jedermann sein, sich ins Rampenlicht zu spielen. Ein Tor zur deutschen Einzelmeisterschaft und in den professionellen FC-eSport.

Doch der Schein trügt. Nicht erst seit diesem Jahr werden im Qualifikationsmodus für das Grand Final der Virtual Bundesliga unlautere Methoden angewandt: Sie stellen die sportliche Wertigkeit des Wettbewerbs infrage und beschädigen seine Integrität nachhaltig.

Kleines Schlupfloch mit großen Folgen

Schuld daran ist eine Mechanik, die es Spielern erlaubt, vor dem Anpfiff einer Partie das Match zu verlassen, ohne dafür eine Niederlage zugeschrieben zu bekommen. Auf den ersten Blick vielleicht nur eine Randthematik, wird aus diesem Schlupfloch ein Problem, wenn mehrere Spieler sich zusammentun, um die Lücke im System auszunutzen. "Es gibt Gruppierungen, die sich mehrere Accounts erstellen und sich gegenseitig suchen und Siege schenken", sagt uns FOKUS-Coach und Ex-eNationaltrainer Matthias Hietsch, der 2022 noch selbst über die Vorausscheidungen das Grand Final erreicht hatte.

Als Coach zählt Matthias 'Stylo' Hietsch seit Jahren zum FOKUS-Aufgebot und betreut dort auch den früheren FIFA-Weltmeister Mohammed 'MoAuba' Harkous (li.). FOKUS/Matthias Hietsch

Wie schnell dies schwerwiegende Folgen für die VBL Open haben kann, zeigt sich bei einem Blick auf die Wettbewerbsstruktur: In vier Qualifikationsmonaten geht es für Spieler darum, möglichst viele der maximal 60 monatlichen Spiele zu gewinnen. Am Ende werden die je Top 16 gebildet, die sich für die VBL Open Playoffs qualifizieren, über die es zum Grand Final geht. Die Anzahl an Accounts, mit der Teilnehmer sich bei den VBL Open anmelden können, ist dabei nicht limitiert.

Eigentlich ist das eine Facette des Wettbewerbs, die eSportler begrüßen. Schließlich gibt es so die Möglichkeit, mit weiteren Accounts anzutreten, wenn man Spiele unglücklich oder gar durch einen unverschuldeten Verbindungsabbruch verloren hat. Gleichzeitig reicht hierdurch jedoch bereits eine Handvoll Übeltäter, um großen Schaden anzurichten.

Jeder, der weiß, dass man glitchen kann, kann die 60 maximalen Siege holen.

Selmir 'Selmos10' Cucurovic über die VBL Open

Selmir 'Selmos10' Cucurovic, ehemaliger eSportler des 1. FC Nürnberg und selbst jahrelanger VBL-Open-Spieler, fasst es uns gegenüber wie folgt zusammen: "Man kann seine eigenen Accounts oder Freunde so oft suchen, wie man will, und dann die Spiele verlassen, wenn man gegen jemand anderes spielt." So könne man laut Cucurovic "die Spiele sozusagen manipulieren", weshalb "jeder, der weiß, dass man glitchen kann, die 60 maximalen Siege holen kann".

Eine Hürde gibt es dabei allerdings im Divisions-System der VBL Open. Will man einem Konto mit verschenkten Siegen zum perfekten Ergebnis verhelfen, müssen die Burner-Accounts innerhalb des Wettbewerbs zunächst auf einem gewissen Level ankommen. "Sobald sich Spieler durch elf Siege in Division 3 hochgespielt haben, macht das Matchmaking es möglich, dass sie Spieler in Division 1 matchen können", erklärt uns Berkay 'xBerki10' Cinarci von Pandemics Esports, der wie Cucurovic seit Jahren die VBL Open spielt.

Wirklich herausfordernd sei dies laut Ex-eNationalcoach Hietsch aber nicht: "Elf Siege sind für einen halbwegs guten Spieler schnell erreicht. Dadurch kannst du sehr viele Accounts in diese dritte Division bringen und dann gezielt mit ihnen Gegner suchen."

Verschenkte Siege und Sabotage

Eine Möglichkeit, die unsportliche Open-Teilnehmer nicht nur nutzen, um sich gegenseitig zu helfen, sondern auch um andere Gegner zu sabotieren. "Das ist auch ein Faktor", so 'STYLO', wie Hietsch online mit Gamertag genannt wird, "ich musste jahrelang über die VBL Open gehen und kenne das nur zu gut". Pandemics-eSportler Cinarci untermauert: "Der Glitch kann auch in die Richtung verwendet werden, dass man versucht, Spieler in Division 1 zu snipen, mit denen man nicht befreundet ist."

Seit September 2023 steht Berkay 'xBerki10' Cinarci bei Pandemics unter Vertrag. Pandemics/Berkay Cinarci

Mit "snipen" meint er das gezielte Suchen eines bestimmten Gegners. Klettert ein möglicher Konkurrent im Leaderboard, können manipulative Gruppen daran ablesen, dass er gerade in dem Spielmodus aktiv ist. Reihum suchen die "Sniper" nun mit ihren Burner-Accounts Partien, bis einer von ihnen den anvisierten Gegner findet - um diesem dann die Bilanz zu verhageln.

Damit "Sniper" einen Kontrahenten seiner Chance auf die VBL Open Playoffs berauben, bedarf es oftmals lediglich einer Partie. Schließlich schrauben die verschenkten Siege die Zahl der potenziellen Qualifikanten drastisch in die Höhe, die am Monatsende die 60 Siege geholt haben. Häufig weisen mehr als nur 16 Leute eine makellose Bilanz auf. "Es reicht am Ende ein Unentschieden. Dann hast du den Sieg nicht und die Chance ist futsch", bringt 'STYLO' es auf den Punkt und befindet: "Das hat nichts mehr mit Fairplay zu tun."

Ein deutliches Fazit, das Cinarci und Cucurovic mit Nachdruck teilen: "Unfair daran ist, dass Leute, die keine Kontakte in die Szene haben, einen starken Nachteil im Wettbewerb gegenüber Spielern mit einem großen Netzwerk haben, das ihnen helfen kann", sagt Cinarci. Noch deutlicher wird der frühere Clubberer: "Die VBL Open sind für mich ein katastrophaler Wettbewerb, denn nicht jeder hat dieselben Chancen. Fair ist das auf jeden Fall nicht."

Auswahl der Qualifikanten "pures Glück"?

Diese Methoden bleiben nicht ohne Folgen. Denn durch die hohe Anzahl an potenziellen monatlichen Qualifikanten ergeben sich neue Fragen. "Es ist nicht transparent, wer am Ende durchkommt und wer nicht", schildert Hietsch die Perspektive von Spielern auf die Auswahl der Playoff-Teilnehmer.

Cucurovic und Cinarci bringen diese Intransparenz auf eine weitere Ebene. Unabhängig voneinander versuchten sie mit befreundeten VBL-Open-Spielern, anhand der einsehbaren Statistiken abzulesen, weshalb manche Teilnehmer anderen mit identischer Bilanz vorgezogen wurden. Mit ernüchterndem Ergebnis, wie Cucurovic verrät: "Es schien, als sei es wirklich pures Glück und werde ausgelost."

Zweieinhalb Jahre lang war Selmir 'Selmos10' Cucurovic (re.) für das VBLCC-Team des 1. FC Nürnberg tätig. 1. FC Nürnberg/Selmir Cucurovic

Für besonderes Aufsehen sorgte in diesem Kontext der Monat Dezember. Die 16 Qualifikanten deckten sich nicht mit dem Ingame-Leaderboard, von dem kicker eSport Screenshots vorliegen. Teilweise kamen sogar Spieler mit deutlich schlechteren Bilanzen in die VBL Open Playoffs als solche, denen die Qualifikation verwehrt wurde. Und das obwohl es weit mehr als 16 Spieler mit perfekter Ausbeute gab. Erklärungen? Fehlanzeige. Auch kicker eSport gegenüber.

Da wirkt es, als würde gewürfelt werden.

Matthias 'STYLO' Hietsch über die Auswahl der Playoff-Qualifikanten im Dezember

Eine Maßnahme gegen Betrüger, die man hinter dem Aussortieren von einigen Spielern mit makelloser Bilanz vermuten könnte, schließt Cinarci aus: "Bei den sechs Qualifikanten, die 60 Siege geholt haben, waren Leute dabei, die gegen meine Accounts rausgeglitcht sind. Wenn man sich entscheidet, die Leute auszuschließen, die auf unfaire Weise Siege geholt haben, sollte man das mit allen machen." Hietschs Einschätzung fällt deutlich aus: "Da wirkt es, als würde gewürfelt werden."

EA SPORTS ist federführend

Bei der DFL und EA SPORTS reagiert man diplomatisch auf die Vorwürfe. "Offen" sei man laut eines gemeinsamen Statements für das Feedback der Community und arbeite "gemeinsam kontinuierlich an der Weiterentwicklung" dieses Bestandteils der VBL. Die Verantwortungsbereiche beider Parteien sind dabei jedoch klar getrennt: "EA SPORTS fungiert als Ausrichter der VBL Open. Die Überprüfung und Kontrolle der VBL-Open-Ranglisten wird auf monatlicher Basis vorgenommen, dann übermittelt EA SPORTS eine Übersicht der Spielerinnen und Spieler, die sich gemäß Turnierordnung für die VBL Open Playoffs qualifiziert haben, an die DFL."

Im Klartext: Die DFL ist für die sportliche Integrität der VBL Open nicht zuständig und von EA SPORTS abhängig. Einzig die Bekanntgabe der monatlichen Qualifikanten findet auf den Social-Media-Kanälen der Virtual Bundesliga statt.

VBL: Alle Deutschen Einzelmeister - 'Jonny' als neuestes Mitglied

Vom hauptverantwortlichen FC-Entwickler EA SPORTS heißt es zu den VBL Open weiter: "Es gibt detaillierte Reviews aller Regelverstöße und individueller Spielerleistungen, um eine finale Qualifikations-Rangliste zu erstellen. Spieler, die gegen das Regelwerk der VBL Open verstoßen, zu dem spezifische Regeln hinsichtlich unerlaubter Absprachen, absichtlicher Verbindungsabbrüche und Betrugs zählen, werden disqualifiziert und aus dem Wettbewerb entfernt."

Mir ist dahingehend überhaupt nichts aufgefallen.

Berkay 'xBerki10' Cinarci über angebliche Maßnahmen von EA SPORTS

Geht es nach Hietsch und Cinarci ist davon in den VBL Open jedoch zu wenig zu erkennen. "Mir ist dahingehend überhaupt nichts aufgefallen", äußert der Pandemics-Profi seine Zweifel. "Wenn man sieht, wer sich für die Playoffs qualifiziert hat, und weiß, dass die Leute sich mehr als nur einen Sieg gegenseitig geschenkt haben, kann man nicht sagen, dass irgendwelche Dinge dagegen unternommen werden", bekräftigt 'STYLO'.

Auch Cucurovic verweist in diesem Kontext darauf, dass "EA SPORTS und die DFL nie wirklich Stellung bezogen haben", was konkrete Maßnahmen angehe. Jedoch kann zumindest dies durchaus eine wohlüberlegte und nachvollziehbare Entscheidung sein. Schließlich würde eine zu offene Kommunikation hinsichtlich der Verfolgung von Betrügern es diesen erleichtern, die Gegenmaßnahmen von EA SPORTS zu umschiffen. Trotzdem wirkt es, als sei der Entwickler nicht mehr vollends Herr der Lage in den VBL Open. Oder wie Hietsch es formuliert: "Keiner hat mehr die Hand darüber."

DFL verweist auf Playoffs und appelliert an die Community

Die Büchse der Pandora ist also geöffnet. Weshalb sich nun die Frage stellt, wie man sie wieder schließt. Die drei Profis haben in diesem Kontext Vorschläge, die von Patches bis hin zu einer Revolution des gesamten Qualifikationssystems reichen. Die DFL gibt sich pragmatisch und verweist auf die Playoffs als zusätzliche Absicherung. Diese nähmen "eine wichtige Funktion ein, um die Qualität und Integrität des Teilnehmenden-Felds zusätzlich abzusichern". Bevor eventuelle Betrüger an weiterführenden Wettbewerbsetappen teilnähmen, in denen es schließlich um Preisgelder und internationale Qualifikationen gehe.

Dass sportlich eigentlich konkurrenzfähige Akteure aufgrund der Probleme in den VBL Open aber gar nicht erst in die Playoffs einziehen könnten, um sich dort gegen Betrüger durchzusetzen, deckt diese Sichtweise nicht ab. Wohl aber zeigt sie das Bestreben der Deutschen Fußball Liga, ihr digitales Fußball-Angebot im Rahmen der eigenen Möglichkeiten fair und integer zu halten. Weshalb die DFL an alle VBL-Open-Spieler appelliert, es zu melden, falls "Spielerinnen und Spieler in regelwidriger Weise Einfluss" auf die Qualifikation nehmen sollten.

Es ist eine durchaus sinnvolle Aufforderung der DFL: Zwar hat die Community den Status quo nicht allein zu verantworten. Wohl aber kann und sollte sie über offizielle Wege auf ihn aufmerksam machen. Schließlich können nur so Missstände bekannt und angegangen werden. Auch 'STYLO' ist sich dieser Sachlage bewusst: "Ich will niemanden an den Pranger stellen, sondern das Ganze lösungsorientiert ablaufen lassen. Das ist mir ganz wichtig, weil ich Teil dieser Qualifikation bin."

Einer Qualifikation, die wieder das werden sollte, was sie verspricht: "Die Chance für alle".

Matti Jansen

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