Wintersport

Eiskunstlauf-Olympiasiegerin Katarina Witt im Interview - "Dieser Druck - schon mit 15 Jahren!"

Eiskunstlauf-Olympiasiegerin Katarina Witt im Interview

"Dieser Druck - schon mit 15 Jahren!"

Fordert mehr Verantwortungsbewusstsein bei der Internationalen Eislauf-Union: Katarina Witt.

Fordert mehr Verantwortungsbewusstsein bei der Internationalen Eislauf-Union: Katarina Witt. GES Sportfoto/Mercedes-Benz

... die olympische Kür von Aljona Savchenko und Bruno Massot, mit der sie als Vierte nach dem Kurzprogramm noch Gold gewannen:
"Sie haben wirklich eine einmalige Leistung hingelegt, die Olympia auch würdig war. Und das exakt in der Sekunde, wo es darauf ankam. Und endlich ist mal ein Mann an Aljonas Seite nicht zerbrochen und hat geliefert (lacht; Massot war Savchenkos dritter Olympia-Partner bei ihren fünften Spielen) - und sich gemeinsam mit Aljona den Traum vom Gold erfüllt. Das war wirklich ein besonderer Augenblick. Musik und Choreographie haben gestimmt und emotional berührt - ein perfekter Moment. Ich bekomme schon wieder Gänsehaut ... Sie werden jetzt schon spüren, was sie da erreicht haben, und in ein paar Jahren wird es sich in Dankbarkeit verwandeln, dass sie das geschafft haben. Denn solche Momente sind auch im Eiskunstlaufen rar. Momente, an die man sich kollektiv erinnert."

... über ihre eigene legendäre Kür zu "Carmen" 1988 in Calgary und was sie ihr noch heute bedeutet:
"Wenn du da raus gehst, willst du jetzt nicht etwas schaffen für die Ewigkeit, aber - na, eigentlich schon (lacht) - für mich ist es heute wirklich das Schönste, wenn Menschen auf mich zukommen, sei es über Facebook, Instagram oder persönlich, und sagen: Mensch, ich bin damals auch nachts aufgestanden, habe das miterlebt und kann mich heute genauso erinnern wie damals. Wenn das Aljona und Bruno auch passiert ... Das wünsche ich ihnen von Herzen."

... den Auftritt der deutschen Eiskunstläufer in Pyeongchang:
"Wir gehören zu den Sportarten, die sich fragen müssen: Wo ist unsere Zukunft? So, wie der Bobsport nach Sotschi vor vier Jahren (keine Medaille, d. Red.) überlegt hat: Wie können wir unsere Sportart wieder nach vorne bringen - so ist das, glaube ich, auch die Aufgabe unseres Verbandes. Da ist zum einen die Goldmedaille von Aljona und Bruno, die allerdings auch zu 50 Prozent den Franzosen gehört und zu 50 Prozent der Ukraine - und wir haben zu 100 Prozent die Goldmedaille eingesackt. (lacht) Nein, man darf Ingo Steuer nicht vergessen, der vor 15 Jahren als Trainer an ihrer Seite war, als sie als 20-Jährige herkam. Trotzdem: Es ist die französische Schule und die ukrainisch-russische Schule, von der wir hier profitiert haben. Schauen wir uns die Männer an, die Eistänzer und die Mädchen, da sehen wir an den Platzierungen 22., 16. und 18.: Wir sind nicht Teil der Weltspitze. Okay, sie haben sich wacker geschlagen. Aber auf der olympischen Bühne will man eigentlich um Medaillen oder um Plätze unter den ersten Zehn kämpfen. Das fordere ich schon von meiner Sportart ein, da für Veränderung zu sorgen. Dabei kann man nicht mal diesen Athleten einen Vorwurf machen, die mit Fleiß und Ausdauer ihren Sport ausüben. Wir sind eine Sportart, wo man einfach schon in jüngerem Alter leistungsmäßig viel weiter sein muss. Das sehen wir an den Russinnen. Da kommt eine Alina Sagitowa mit 15 Jahren (Olympiasiegerin in Pyeongchang, d. Red.). Und die sagt jetzt schon: 'Die neben mir laufen, sind jünger und schon besser. Ich muss mich anstrengen, damit ich weiterhin die Bessere bin.' Das tut mir auch ein bisschen Leid - dieser Druck schon mit 15. Wo da die nächste 13-Jährige ist, die einen Vierfach-Salchow springt (Alexandra Trusowa, d. Red.) - ich hab’s gesehen online."
(Bei der Junioren-WM in Sofia Anfang März gewann Trusowa dann mit je einem vierfachen Salchow und Toeloop Gold)

Witt in der Medienrunde in Monte Carlo

Witt bei der Medienrunde am Rande der Laureus-Veranstaltung in Monte Carlo. GES Sportfoto/Mercedes-Benz

... die generelle Entwicklung im Eiskunstlaufen:
"Irgendwo ist mit 20 das Limit erreicht, was du noch lernen kannst. Es ist aber die Frage: Ist das die Zukunft des Eiskunstlaufens? Möchte ich das sehen? Größte Bewunderung, auch für Alina, wirklich, aber diese Kombination Dreifach-Lutz - Dreifach-Rittberger - Dreifach-Rittberger - Dreifach-Rittberger - Dreifach-Rittberger ... (im Training in Pyeongchang, d. Red.) Ich hätte in meine kühnsten Träumen nicht erwartet, dass es so etwas mal irgendwann gibt. Jetzt gibt’s das! Ich schaue mir diese jungen Mädchen an und denke: Muss man sie nicht vielleicht auch vor ihrer eigenen Entwicklungskurve ein bisschen schützen? Geht das nicht vielleicht tatsächlich zu weit? Ist das jetzt wirklich die Entwicklung für die Sportart? Größter Respekt, wirklich, auch für die Männer, aber fünf Vierfache ... Selbst ich als Fachfrau, du kriegst ja Schnappatmung. Ich habe ein bisschen Angst, dass diese Höchstschwierigkeiten so normal werden, dass keiner mehr begreift, wie schwer das ist. Da wird eine Leichtigkeit gezeigt, von der ich weiß, wie viele Stunden hartes Training dahinterstecken. Es tut mir weh zu sehen, wie viele Verletzungen schon damit einhergegangen sind, wie Arm- und Beinbrüche, auch bei Alina, oder Ermüdungsbrüche wie bei Jewgenija Medwedewa (18, Olympiazweite in Pyeongchang, d. Redaktion). Ein gutes Beispiel ist auch Julia Lipnitskaja, die russische Team-Olympiasiegerin von 2014. Als ich sie vor vier Jahren laufen sah, dachte ich: Ich freue mich auf sie in vier Jahren. Was für eine schöne, junge Frau wird aus ihr geworden sein, mit welcher Ausstrahlung wird sie zurückkommen und uns zeigen, um noch wie viel schöner Eiskunstlaufen werden kann. Sie hat aufgegeben, weil sie dem Druck nicht mehr standhält und Essstörungen bekommen hat. Ich finde schon, dass die Internationale Eislauf-Union und erwachsene Menschen eine Verantwortung haben und dem gerecht werden müssen - und vielleicht diese Entwicklung wieder etwas eindämmen. Das ist doch schade, wenn eine 15-Jährige Olympiasiegerin wird und dann wenige Jahre später aufgibt - wo ich sie noch 15 Jahre sehen will."

Ich habe ein bisschen Angst, dass diese Höchstschwierigkeiten so normal werden, dass keiner mehr begreift, wie schwer das ist.

Katarina Witt

... mögliche Anwärter von Pyeongchang auf die nächstjährigen Laureus World Sports Awards, in deren Jury sie als Mitglied der Laureus Academy sitzt:
"Ich hoffe natürlich, dass unser Eishockey-Team (überraschende Olympiazweite, d. Red.) als Newcomer, als Mannschaft oder Durchbruch des Jahres nominiert werden."

... den Spirit von Laureus, mit der Kraft des Sports die Gesellschaft zu verändern:
"Ich bin froh, als Gründungsmitglied Teil von Laureus zu sein. Unsere Herzensangelegenheit war und ist, über die Stiftung Sport for Good - abgesehen vom Leistungssport, abgesehen von der olympischen Bühne - den Sport zu nutzen, um junge Menschen zusammenzubringen, die in Krisengebieten leben - oder auch in Brandherden in unseren Städten. Nehmen wir Berlin mit unserem 'kick on ice'-Projekt, wo sie ein Zuhause finden, wo sie Halt bekommen bei Erziehern oder Trainern - wodurch sie wieder in die richtige Bahn gelenkt wurden und zum Beispiel ihren Schulabschluss gemacht haben. Der Sport ist ein extremes Vorbild, um junge Menschen miteinander zu verbinden, die sonst vielleicht nicht zueinander finden würden. Wirf einen Ball irgendwo hin ... Du hast zehn verschiedene Jungs, die sprechen zehn verschiedene Sprachen, haben eine unterschiedliche Hautfarbe - aber die Sprache eines Balles verstehen sie alle."

Aufgezeichnet von Sabine Vögele

Erfolgreichste deutsche Sportler bei Olympischen Winterspielen