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Vollbremsung bei Audi

Rückzug aus Le Mans und der Langstrecken-WM

Vollbremsung bei Audi

Die Boliden sind Geschichte: Audi zieht sich aus Le Mans und der Langstrecken-WM zurück.

Die Boliden sind Geschichte: Audi zieht sich aus Le Mans und der Langstrecken-WM zurück. pictue alliance

Über Monate hatten die Spekulationen angedauert - von gar keinen Auswirkungen bis hin zu sportlichen Horrorszenarien war alles dabei. Jetzt ist klar: Es ist eher die Horrorvariante, die gewählt wurde. Angesichts der zu Wochenbeginn verkündeten 15-Milliarden-Euro-Strafe für Konzernmutter Volkswagen allein in den USA konnten kostspielige Fingerübungen wie Motorsport auf Weltniveau nicht länger in vollem Umfang im Programm bleiben. Auch in Wolfsburg selbst geht jetzt die Angst um, dass mit dem Engagement in der Rallye-WM Schluss sein könnte.

Rund 500 Autokilometer weiter südlich trat am Mittwoch Audi-Vorstandsvorsitzender Rupert Stadler vor ein 300 Köpfe starkes Mitarbeiterheer und verkündete ihm den Abschied der Ringe-Marke aus Le Mans und der Langstrecken-WM. Wie kein anderer Hersteller zuvor hatte Audi beim legendärsten Langstreckenrennen der Welt innerhalb kurzer Zeit Titel eingesammelt. 13 Siege gelangen dabei seit dem Jahr 2000, und immer wieder setzte Audi technische Meilensteine: den ersten Sieg eines TFSI-Motors (2001), den ersten Erfolg eines Rennwagens mit TDI-Motor (2006) sowie den ersten Triumph eines Sportwagens mit Hybridantrieb (2012). Zweimal gewann Audi mit dem Hybrid-Rennwagen R18 e-tron quattro außerdem die FIA-Langstrecken-WM.

Porsche wird wohl in Le Mans starten

Mit der Entscheidung des Rückzugs geht auch das seit 1923 ausgetragene Le-Mans-Rennen einer ungewissen Zukunft entgegen. Zwar gibt es derzeit kaum einen Zweifel, dass die andere VW-Konzerntochter, Porsche, ihr Engagement fortsetzen wird, aber im quasi schon vorher entschiedenen Zweikampf mit dem unterfinanzierten einzigen Konkurrenten Toyota kann die Lösung nicht liegen. Schon Audi hatte zuweilen mit dem Vorwurf leben müssen, in Le Mans quasi ohne Gegner siegreich gewesen zu sein.

Stand bei allen Audi-Le-Mans-Triumphen an vorderster Stelle: Sportchef Dr. Wolfgang Ullrich.

Stand bei allen Audi-Le-Mans-Triumphen an vorderster Stelle: Sportchef Dr. Wolfgang Ullrich. picture alliance

Eher Gewissheit hingegen, wenn auch (noch) nicht verkündet, herrscht hinsichtlich der Zukunft von Audi-Sportchef Dr. Wolfgang Ullrich. Der 66-jährige Österreicher stand bei allen Le-Mans-Triumphen an vorderster Stelle. Ihn, so drang jetzt durch, habe der Ausstieg schlimmer getroffen als jeden anderen. Der Auftritt in Le Mans ist sein Lebenswerk, das er bei allem Einsatz bis zur letzten Sekunde nicht retten konnte. Kaum anzunehmen, dass Ullrich den jetzt verkündeten Umstieg in die Formel E ebenfalls noch begleiten wird.

Natürlich war bei der offiziellen Bekanntgabe des Le-Mans-Ausstiegs wenig von den Finanzen die Rede. Sie aber - und weniger die neue Ausrichtung - waren es, die den Anlass lieferten, jetzt den Stecker zu ziehen. Von 500 Millionen Euro jährlichem Aufwand allein für Le Mans und die Langstrecken-WM (WEC) berichtete erst jüngst ein deutschsprachiges Fachmagazin. Ein Teil dieser Summe soll nun dazu verwandt werden, zumindest das DTM-Engagement weiter aufrechtzuerhalten, wenn auch mit zwei Autos weniger (sechs statt acht) als bisher.

Stadler: "Das Rennen um die Zukunft tragen wir elektrisch aus"

Neu hinzu kommt der werkseitige Einstieg in die Formel E, jene Rennserie, der sich weltweit immer mehr Hersteller zuwenden und die von FIA-Präsident Jean Todt derart stark forciert wird, dass auf lange Sicht sogar eine echte Konkurrenz zur Formel 1 daraus werden könnte. "Das Rennen um die Zukunft tragen wir elektrisch aus", sagte Boss Stadler, "wenn unsere Serienautos mehr und mehr elektrisch werden, müssen das unsere Motorsportwagen als technologische Speerspitze von Audi erst recht sein."

In dem erst 2014 eingeweihten Motorsportzentrum nahe Neuburg an der Donau werden künftig die Ingenieure statt an Le-Mans-Prototypen an Formel-E-Rennwagen tüfteln. Dass die, wenn sie zum Test auf die angeschlossene Rennpiste ausrücken, im Fahren nur ein Schnurren entwickeln und damit die bisher wegen zu großer Lärmbelästigung verärgerten Anwohner besänftigen könnten, wirkt an einem Tag wie diesem wenig tröstlich. Das Aus für die unvermindert faszinierende Herausforderung Le Mans ist beinahe mehr noch Totalschaden denn lediglich Vollbremsung.

Steigt VW aus der Rallye-WM aus?

Dass sich Audi als VW-Tochter angesichts der hohen Geldstrafen zu einem solchermaßen radikalen Schnitt gezwungen sieht, verstärkt nun die Gerüchte rund um Volkswagen und den Auftritt in der Rallye-WM umso mehr. Volkswagen wählte in den letzten Jahren bei seinen Sportaktivitäten vorwiegend das freie Gelände, in dem es Triumph an Triumph reihte. Als erster Hersteller siegte VW 2009 mit Dieseltechnologie bei der anspruchsvollen Rallye Dakar - im Sand und Geröll war dem brachialen Touareg auch in den beiden Jahren danach niemand ebenbürtig. Unter der Leitung von Jost Capito, der Volkswagen im zu Ende gehenden Jahr in Richtung Formel 1 (McLaren) verließ, erwies sich das Wüstenspektakel als ideale Aufbaumaßnahme für den Einstieg in die Rallye-WM (2013).

Gleich im ersten Jahr dort setzte Volkswagen vollkommen neue Maßstäbe, ließ Dauersieger Citroën wie einen Anfänger aussehen, errang alle drei möglichen Titel (Fahrer, Beifahrer, Team) und wiederholte diese Dominanz bis in den Herbst 2016 hinein lückenlos, sofern aktuell der Hersteller-Titel in den letzten beiden Durchgängen nicht noch völlig unerwartet verspielt wird. Die Lust am Feiern der dann viermal in Serie errungenen dreifachen Meisterschaft wird jedoch nicht mehr allzu groß sein, sollte sich auch Wolfsburg ähnlich entscheiden wie Ingolstadt. Dass es über Monate hinweg nicht gelang, einen Nachfolger für Capito zu installieren, sahen nicht wenige bereits als ernstes Anzeichen für eine sich abzeichnende heftige Veränderung. Und dass der neue Polo für 2017 schon präsentiert wurde, ist nach aller Erfahrung im Motorsport kein Beweis dafür, dass er auch tatsächlich zum Einsatz kommen wird. Bange Tage für den Motorsport.

Stefan Bomhard