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Belgiens Erfolgsstory: Ein HSV-Wechsel als Startschuss

De Bruyne sieht zehnjährige Entwicklung

Belgiens Erfolgsstory: Ein HSV-Wechsel als Startschuss

Spielen seit 2010 gemeinsam in der belgischen Nationalmannschaft: Kevin De Bruyne (li.) und Vincent Kompany.

Spielen seit 2010 gemeinsam in der belgischen Nationalmannschaft: Kevin De Bruyne (li.) und Vincent Kompany. imago

Nur 21.000 Zuschauer waren es, die Belgiens bislang größten Erfolg bei einem großen Turnier sahen. Ein Erfolg, der sich ja eigentlich gar nicht als Erfolg anfühlte. Immerhin kassierten die Roten Teufel um Torwart Jean-Marie Pfaff und Mittelfeldmann Enzo Scifo an jenem 28. Juni 1986 ein 2:4 in der Verlängerung gegen Frankreich. Die WM in Mexiko endete mit einer ernüchternden Niederlage in Puebla, also dort, wo die belgische Nationalelf erst fünf Tage zuvor das Tor zum Halbfinale durch einen 5:4-Sieg im Elfmeterschießen gegen Spanien überhaupt erst aufgestoßen hatte - vor 45.000 Zuschauern.

Die Generation ist eine goldene

32 Jahre lang galt der vierte Platz beim Turnier in Mexiko als der größte Erfolg in der Geschichte des belgischen Fußballs, neben der EM-Finalteilnahme 1980 und dem Olympiasieg 1920. Auch wenn das Turnier mit zwei Niederlagen endete - dem 2:4 gegen Frankreich war eine 0:2-Pleite gegen den späteren Weltmeister Argentinien vorausgegangen -, überstrahlte das Abschneiden viele Jahre die nachfolgenden Generationen. Angekommen im Jahr 2018 ist die belgische Nationalelf jedoch drauf und dran, den Erfolg von 1986 einzustellen, vielleicht sogar zu überflügeln. Die Generation ist eine goldene. Ausgestattet mit Offensivspielern wie Romelu Lukaku, Eden Hazard oder Kevin De Bruyne soll ihr am Dienstagabend der Sprung ins Finale gelingen - und wieder ist Frankreich der Gegner.

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De Bruyne sprach früh vom WM-Titel

"Ich bin voller Vorfreude", sagte De Bruyne einen Tag vor dem Halbfinale gegen die französische Nationalmannschaft in St. Petersburg. "Es ist das Halbfinale bei einer WM. Das sind die größten Spiele." Der 27-Jährige selbst hatte immer wieder vom Titelgewinn gesprochen, vom Triumph in Moskau. Dieser wäre die logische Krönung einer Geschichte, die aus De Bruynes Sicht vor 15 Jahren ihren Anfang genommen hatte, fernab des Erfolgs bei der WM 1986.

Nun werden viele Akteure aus unserem Land geholt. Und sie machen sich gut.

Kevin De Bruyne über belgische Spieler im Ausland

Zu Beginn des Jahrtausends lag der belgische Fußball am Boden. Für die EM 2000 hatten sich die Roten Teufel nur qualifiziert, weil sie gemeinsam mit den Niederlanden Gastgeber des Turniers waren. Sie scheiterten in der Vorrunde nach nur einem Sieg gegen Schweden. 2004 in Portugal, 2008 in Österreich und der Schweiz, sogar 2012 in Polen und der Ukraine gelang die Qualifikation nicht. Die Weltmeisterschaften 2006 und 2010 fanden ebenfalls ohne die Belgier statt. "Es gab viele Talente", betonte De Bruyne. "Doch damals spielte kaum ein Spieler im Ausland."

Der Startschuss: Kompany zum HSV

Dann kam das Jahr 2006 und mit ihm der Anstoß für eine Entwicklung, wie De Bruyne aus heutiger Sicht zurückblicke, die Belgien nur acht Jahre später vor den Turnieren in Brasilien und Frankreich den Titel "Geheimfavorit" einbrachte: Vincent Kompany wechselte von Anderlecht zum Hamburger SV in die Bundesliga. "Vincent ist ein Spieler, der etwas ganz Besonderes hat", schwärmte damals HSV-Sportchef Dietmar Beiersdorfer. "Das Besondere" war auch anderen nicht entgangen. 2008 ging es für den Verteidiger weiter zu Manchester City. Im selben Jahr verließ Marouane Fellaini Lüttich und schloss sich dem FC Everton an. Später landete er bei Manchester United. Beide Spieler machten Werbung für die belgische Schule. "Viele Verein haben sich vielleicht gefragt, ob es in Belgien mehr solcher Spieler gibt. Nun werden viele Akteure aus unserem Land geholt. Und sie machen sich gut", betonte der Offensivmann, der selbst bei Manchester City unter Vertrag steht.

Doch 2014 (Viertelfinal-Aus gegen Argentinien) und 2016 (Viertelfinal-Aus gegen Wales) scheiterten die Roten Teufel und wurden ihrem Ruf als Mitfavorit nur zum Teil gerecht. Wie so oft markierte das Scheitern den Startschuss für etwas Neues - diesmal auf der Trainerposition. Marc Wilmots gab sein Amt auf, es folgte Roberto Martinez, der zuvor in England trainiert und mit Wigan 2013 sensationell den FA-Cup gewonnen hatte.

"Er hat auf unser Potenzial gesetzt", erinnert sich De Bruyne. "Das Team spielt seit sieben oder acht Jahren zusammen. Er hat die Sachen zusammengebracht, mit dem großen Glauben, dass wir gewinnen. Wir haben Vertrauen, dass wir besser auftreten als zuvor."

Roberto Martinez

Feierte in 25 Spielen 19 Siege als belgischer Nationaltrainer: Roberto Martinez. Getty Images

Der spanische Coach selbst erkannte früh, welche Chance ihm die belgische Nationalmannschaft eröffnete. "Der belgische Fußball ist einzigartig", so Martinez, der Technik und Spielverständnis seiner Spieler hervorhob. Doch ganz besonders beeindruckte den 44-Jährigen die Mentalität, die sein Team auch in den zurückliegenden WM-Spielen in Russland unter Beweis stellte. "Eine Vision" motiviere die Mannschaft, der Wunsch, "den belgischen Fußball stolz zu machen".

Martinez kann von außen einwirken

Martinez, der in seiner Amtszeit erst eine Niederlage kassierte, gelingt es dabei, die vielen Individualisten unter einen Hut zu bekommen, sie in ein funktionierendes Mannschaftsgefüge einzubauen und ihnen trotzdem zu erlauben, "den Unterschied zu machen", wie er sagt. Dabei weiß der Coach, wie er von außen einwirken kann, zum Beispiel als im Achtelfinale gegen Japan der WM-Traum jäh zu platzen drohte. Er brachte mit Fellaini und Nacer Chadli zwei Akteure, die maßgeblich dazu beitrugen, dass aus einem 0:2-Rückstand noch ein 3:2 in der Nachspielzeit wurde. Gegen Belgien spielte das Team hochkonzentriert, nicht ohne Risiko, aber der Erfolg gab Trainer wie Mannschaft Recht - und pumpte Selbstvertrauen in das Team, das nach 2014 und 2016 nun endlich das Viertelfinale überstanden hatte und damit in die Runde der letzten Vier vorstieß - wie einst die Vorgänger vor 32 Jahren.

Wir sind hier, um bis zum Ende zu gehen - um die WM zu gewinnen.

Kevin De Bruyne

Nun wartet Frankreich. "Es ist eine einzigartige, spezielle Möglichkeit für das Team, sich für die harte Arbeit in den vergangenen Jahren zu belohnen", sagte Martinez und blickte dabei explizit nicht nur auf seine Amtszeit, sondern die vergangenen "zehn bis 15 Jahre Entwicklung".

Besonderen Druck verspürt De Bruyne trotzdem nicht. "Der Ausgang des Spiels ist schwer vorherzusagen. Wir haben zwei gute Teams mit guten Spielern, die wunderbaren Fußball spielen", sagte er. Aber: "Wir sind hier, um bis zum Ende zu gehen - um die WM zu gewinnen."

pau