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Unterwegs in Russland: Zaubertrank für die Roten Teufel - Belgische Fans hoffen auf den großen Wurf in Russland

Unterwegs in Russland

Zaubertrank für die Roten Teufel

Können historisches erleben: Bertrand (Mi.), eingerahmt von den beiden Oliviers.

Können historisches erleben: Bertrand (Mi.), eingerahmt von den beiden Oliviers. kicker

In Russland unterwegs: kicker-Reporter Jörg Wolfrum

Sie sind Fans des RFC Lüttich, nicht des großen Standard Lüttich, RWD Molenbeek als RSC Anderlecht, es geht ihnen um das Pure am Fußball, lieber nur ein paar hundert Zuschauer dabei, als tausendfach die falschen. Sie waren oft fast die einzigen Anhänger im Stadion, aber wenn die Hütte voll ist, habe das schon auch was. So wie heute Abend: Da werden Oliver, Bertrand und nochmal Oliver Schulter an Schulter mit Zigtausenden in St. Petersburg stehen. Sie haben dutzende Spiele der Roten Teufel gesehen, live vor Ort. Sollte es heute gegen Frankreich tatsächlich ins WM-Finale gehen, dann wäre das historisch, für Belgien, aber auch für Olivier, Bertrand und Olivier.

Weltmeisterschaft - Halbfinale
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Belgien - Vereinsdaten
Belgien

Gründungsdatum

01.01.1895

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Frankreich - Vereinsdaten
Frankreich

Gründungsdatum

01.01.1919

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Im bislang einzigen Halbfinale, vor 32 Jahren, stoppte Diego Maradona bei der WM 1986 die Helden Jean-Marie Pfaff, Erik Gerets, Jan Ceulemans, Enzo Scifo "und Leo van der Elst", sagt einer der beiden Oliviers. Er hat ein van-der-Elst-Trikot an, sieht man auch nicht mehr oft. Sie lieben authentischen Fußball, und bei einer WM, trotz allem Kommerz, gibt es noch viele authentische Fußball-Erlebnisse. Etwa dann, wenn man Olivier, Bertrand und Olivier aus Molenbeek trifft. Hinter ihnen hängt eine belgische Flagge mit dem Schriftzug "A uniao faz a forca". Belgiens Wahlspruch: "Einheit macht stark", aufgetragen vor vier Jahren bei der WM in Brasilien, deshalb auf Portugiesisch. Seither ist das Ding auf jeder Reise dabei.

Zu acht in Bosnien, 16 in Aserbaidschan

Und Olivier, Bertrand und Oliver machen jedes Spiel, Betonung auf "jedes". Vor über einem Jahrzehnt, damals flog noch keiner der Nationalmannschaft hinterher, waren sie in Bosnien dabei. Heiße Atmosphäre, acht Belgier, rund 100 KFOR-Soldaten. "Vor Spielbeginn hieß es, wir sollten aus Sicherheitsgründen das Stadion verlassen. Zwei gingen tatsächlich, da waren wir nur noch sechs", erinnert sich Bertrand.

Jörg Wolfrum unter Belgiern

kicker-Redakteur Jörg Wolfrum (l.) unter Belgiern. kicker

Oder 2007 in Aserbaidschan, Belgien gewann 1:0, aus der damaligen Startelf sind noch Marouane Fellaini und Jan Vertonghen dabei. Unter den Augen von 16 Fans. Als sie beim belgischen Verband Karten angefragt hatten, habe ein Sachbearbeiter nur ungläubig zurückgefragt: "Seid ihr verrückt?" Sie machten sich dennoch auf den Weg, kauften Tickets vor Ort, "für umgerechnet zwei Euro", erzählt Bertrand und knipst ein Foto, draußen am Zugfenster zieht eine Sumpflandschaft vorbei.

EM-Finale 1980 und WM-Halbfinale 1986 - die großen Zeiten liegen lange zurück

Fast versunken war ja auch der einstige Vize-Europameister. 1980 hatte Horst Hrubesch im Finale von Rom beim 2:1 für Deutschland doppelt getroffen und Belgien den Triumph verwehrt. Im Jahr 2000 dann schied Co-Gastgeber Belgien bei der EM im eigenen Land und den Niederlanden in der Gruppenphase aus. 1986, das Halbfinale gegen Maradona, das war das Highlight, noch heute. Am Ende stand Platz 4 nach der Niederlage im Spiel um Platz 3 gegen Frankreich, just Frankreich, wie jetzt wieder. Soll kein schlechtes Omen sein. Einer der beiden Oliviers hat auf seiner Facebook-Seite vorsichtshalber einen Cartoon: Zaubertrank, aber nicht für die Gallier. Diesmal für die Roten Teufel.

Seit Jahren gelten die als Geheimfavorit, zunächst unter Marc Wilmots, doch bei der WM 2014 dann die Niederlage gegen Argentinien im Viertelfinale. Spätestens bei der EM 2016 in Frankreich wurde Großes erwartet, es setzte dann aber ein fast klägliches Aus, wieder im Viertelfinale, gegen Wales, vor der Haustür, in Lille, nur wenige Kilometer von der belgischen Grenze. "Wir waren da oben", zeigt Bertrand, "und stürzten ab."

Vor einem Jahr, beim 3:3 im Testspiel in Sotschi gegen Russland: "Wir waren genau 34", sagt Bertrand. Sotschi war ein Ausschlag nach unten, Testspiel. Das Hinterherreisen als Massenphänomen, kramen sie im Gedächtnis, habe 2010/11 begonnen. 2011, das EM-Quali-Spiel in Wien gegen Österreich werfen sie als Anker aus, ein 2:0-Sieg, zu Spielbeginn hatte es eine Schweigeminute für die Opfer von Fukushima gegeben. An so etwas erinnert man sich.

Ausgelöst worden war das massenhafte Reisen, die "new wave", wie sie sagen, durch den mittlerweile verstorbenen Erik Reynaerts, der die Fans rund um die Nationalmannschaft organisierte. Es kam zur Zusammenarbeit mit dem Verband, der setzte die Spieler in Sachen Marketing ein. Wie das halt so sei. Reynaerts starb während des 4:0 im Achtelfinale der EM 2016 gegen Ungarn, sein Werk lebt tausendfach fort.

Nur eine Handvoll oder Massen? - Beides macht Spaß

Vermissen Olivier, Bertrand und Olivier nicht die alten Abenteuerzeiten? "Manchmal, manchmal wäre man gerne wieder nur eine Handvoll." Aber auch das massive Anfeuern mache Spaß. "Zehntausend Belgier 2013 beim 2:0 im Hampden Park gegen Schottland, das war vielleicht eine verrückte Atmosphäre. Oder in Wembley, wieder Zehntausend." Gegen England, das könnte nun das Finale werden. Darauf trinken sie einen Wodka.