Europa League

Werder verpasst den Triumph

Wieder kein deutscher Sieger

Werder verpasst den Triumph

Enttäuschung pur: Sebastian Boenisch.

Enttäuschung pur: Sebastian Boenisch. picture alliance

Es war eine Quälerei. Für alle, für die Profis, die sich mehr schlecht als recht mühten, für die Fans beider Lager und für die neutralen Zuschauer aus der Türkei. Im Sükrü Saracoglu-Stadion lief ein Finale um den UEFA-Cup über die Bühne, das nicht zum erhofften Augenschmaus avancierte. Das 38. Endspiel geht als eine niveauarme Abschiedsvorstellung dieses seit l972 ausgetragenen Wettbewerbs in die Geschichte ein, der von der neuen Europa League abgelöst wird.

Am Ende stand nach Verlängerung zumindest der gerechte Sieger fest: Mit Schachtjor Donezk gewann die bessere Elf mit den größeren Spielanteilen und den meisten Tormöglichkeiten. Ein großer Triumph nach Toren der beiden herausragenden Solisten Luiz Adriano und Jadson für den aufstrebenden ukrainischen Fußball, dieser erste Europacup-Triumph beim 2:1-Sieg gegen eine Bremer Elf, die in dieser Formation nie ihre durchaus vorhandene spielerische Klasse nachweisen konnte. Ohne die arg vermissten Stützen Diego, Mertesacker und Almeida fehlte Werder trotz des Ehrentores von Naldo die Qualität, um den Osteuropäern entsprechende Gegenwehr bieten zu können. Gelegenheiten durch Pizarro und spät durch Tziolis blieben ungenutzt, als Werder alles auf eine Karte setzte.

"In einem Endspiel gibt es keine halben Sachen", hatte ein restlos enttäuschter Thomas Schaaf vor der erstmals auf asiatischem Boden ausgetragenen Partie betont. "Es gibt keine halbe Trauer." Frust bei den Hanseaten, die den ersten von zwei Matchbällen leichtfertig verstolperten. Es bleibt die zweite Chance, sich im deutschen Pokalfinale für das internationale Geschäft doch noch zu qualifizieren und somit eine nicht optimale Saison zu retten.

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Wieder kein deutscher Sieg in einem europäischen Wettbewerb. "Es ist schon lange her", hatte Marc Wilmots die deutschen Journalisten im Presseraum begrüßt. Der Belgier, damals einer der so genannten "Euro-Fighter", zählte zu der Schalker Mannschaft, die 1997 als letzte deutsche Vertretung den UEFA-Cup gewinnen konnte. Heute als beliebter Co-Kommentator für das belgische Fernsehen aktiv, drückte der ehemalige Gelsenkirchener den Norddeutschen kräftig die Daumen.

Als Wilmots zu seinem Übertragungsplatz eilte, warf er noch schnell einen Blick auf den Aufstellungsbogen. Er staunte wie auch alle anderen Kenner des ukrainischen Fußballs. Donezk-Coach Mircea Lucescu hatte die vollzählige "Samba-Fraktion" aufgeboten: Seine fünf Brasilianer von Beginn an, also neben dem wieder genesenden Jadson auch der eigentlich als Ersatz eingeplante Willian.

Anders, zumindest von der nominellen Besetzung her, hatte Thomas Schaaf aufgestellt. Das einzige Fragezeichen in der Startelf löste er auf mit dem Einsatz von Peter Niemeyer. "Er ist gut drauf, hat gut trainiert", begründete der Werder-Trainer diese Maßnahme, die sich als klug erwies. Der ehemalige Junioren-Nationalspieler, dessen Vorzüge eindeutig in der Spielzerstörung liegen, agierte solide und sehr aufmerksam. Ein Stabilisator im Zentrum, neben den Rotiniers Frings und Baumann.

Im Istanbuler Quartier, malerisch direkt am Bosporus gelegen, mit eigener Schiffsanlegestelle, hatte Schaaf sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Niemeyer anstelle von Tziolis oder auch dem offensiven Hunt, mit dem zuletzt als "Überraschungsgast" spekuliert worden war. Von der Grundordnung her ließ der 48-Jährige, wie zuletzt in der Lga erprobt, ein Mittelfeld-Trapez operieren: Frings vorgezogen neben Özil, Niemeyer zurückgezogen neben Baumann.

Donezk-Risiko kontra Werder-Sicherheit? Eine Strategie mit umgekehrten Vorzeichen? Denn die Erwartungshaltung basierte auf anderen Grundlagen: Werder sollte für Offensive, Schachtjor für Spielkontrolle stehen.

Nach dem Anpfiff von Luis Medina Cantalejo machten die "Bergarbeiter" aus der Ukraine zunächst Dampf. Werder in der Defensive, anfällig vor allem auf der linken Seite wo Boenisch oft zu sorglos agierte, Özil schlecht nach hinten arbeitete. Zum Glück behielt Naldo mit seiner Routine im Kombinationswirbel der Lateinamerikaner den Überblick, assistiert Baumann und Niemeyer. So überstand die Schaaf-Elf die nervöse Anfangsphase, eroberte sich Feldanteile und setzte erste Akzente im Vorwärtsspiel, weil Pizarro die gewohnte Ballsicherheit ausstrahlte, Özil seine technischen Finessen in "seinem Heimspiel" verriet. Dem Deutsch-Türken eröffnete sich die gefährlichste Aktion, als er an der Strafraumgrenze nach einem Duell mit Kucher fiel, jedoch keineswegs regelwidrig gebremst worden war.

In dieser Phase, in der der Bundesligist zu dominieren schien, erlebte er bei frischen 18 Grad an diesem windigen Abend eine eiskalte Dusche: Rats Dialogpass verwirrte Prödl, Luis Adriano auf und davon, Wiese vielleicht etwas zu früh aus dem Tor, ein sehenswerter Lupfer - der 0:1-Schock.

Die 5000 Werder-Fans auf der Südtribüne, die ein rotes Herz inmitten der Werder-Raute und dem UEFA-CUP mit dem Bekenntnis "Das 5. Element, das in unserem herzen brennt" präsentiert hatten, befürchteten Schlimmes. Naldo, Werders Bester vor der Pause, nahm ihnen die größten Sorgen. Als Freistoßschütze ist der Abwehrrecke gefürchtet. Viel zu wenig mache er aus diesen Qualitäten, rügt häufig Manager Klaus Allofs den Brasilianer. Diesmal war Verlass auf den Mann mit dem fulminanten Schuss. Unter kräftiger Mithilfe des Donezk-Keepers Pyatov, der Naldo strammen Knaller festhalten wollte statt zu fausten. Ehe er sich versah, landete der Ball zum 1:1 im Netz. Ein glücklicher Zwischenstand durch Naldos zweiten Treffer im laufenden Wettbewerb, zumal Wiese noch bei einem Lewandowski-Versuch retten musste und anfangs Jadson vergeben hatte.

"Wir haben nichts zu verlieren", hatte zuvor Werder-Geschäftsführer Klaus-Dieter Fischer, der schon beim Europacup-Sieg 1992 in der Führung aktiv gewesen ist, vollmundig verkündet. In der mit knapp 40.000 Zuschauern nicht ganz ausverkauften Arena vermochten die Spieler dies lange Zeit nicht umzusetzen. Mit gebremstem Schaum agierte die Schaaf-Truppe, so uninspiriert wie bei einigen Auftritten in der Champions League. Unter den Augen von Bundestrainer Joachim Löw fehlte einer, der den Taktstock in die Hand nahm. Frings bemühte sich, Özil war zeitweise überlastet. Kurzum: Der gesperrte Diego fehlte auf der ganzen Linie, eine nicht mehr so umwerfende Erkenntnis.

Anders die Faktenlage beim viermaligen Meister aus der Ukraine. Jadson und Luis Adriano glänzten durch Ballfertigkeit und Spielverständnis, immer wieder unterstützt durch die aus der Tiefe assistierenden Fernandinho und Lewandowski. Doch auch die gut entlohnten Fußball-Gastarbeiter aus der Donbass-Region gingen kein Risiko mehr ein, Werder erst recht nicht, zumal die entsprechenden Mittel und Personen fehlten, was Schaaf mit dem Tausch von Hunt gegen den blassen Rosenberg korrigieren wollte. Ein einziges Abtasten, das auch Bruno Labbadia, der eigens angereiste Leverkusener Sportlehrer erlebte, als er sich frische Eindrücke vor dem in zehn Tagen stattfindenden Finale um den DFB-Pokal verschaffen wollte. Das Niveau sank mit zunehmender Spieldauer, wie auch ein Ex-Werderaner freimütig bekannte. "Absolut enttäuschend", meinte Manfred Bockenfeld und zielte dabei auf beide Seiten.