Bundesliga

Bayer Leverkusens Routinier Stefan Kießling nach dem 1:4 gegen Schalke: "Wir stecken ganz tief im Schlamassel"

Mittelstürmer sieht Bayer in Ingolstadt vor "absolutem Endspiel"

Kießling: "Wir stecken ganz tief im Schlamassel"

"Jeder muss sich an die eigene Nase fassen": Stefan Kießling (r.) klagt die Mannschaft an.

"Jeder muss sich an die eigene Nase fassen": Stefan Kießling (r.) klagt die Mannschaft an. imago

Kurz vor halb zwölf mussten sie zur Aussprache: Stefan Kießling, Ömer Toprak, Kevin Kampl, Kevin Volland, Jonathan Tah und Tin Jedvaj stellten sich den etwa 200 Fans, die bereits während der Partie eine Sitzblockade vor der Bay-Arena initiiert hatten. Beim harten Kern der Bayer-Anhänger wie bei den Profis geht die Angst um, dass die Werkself in dieser Saison den GAU, den Abstieg, erleben könnte.

Tah: "Zehn Minuten komplett gepennt"

Die 90 Minuten gegen Schalke hatten dazu auch jeden Anlass gegeben. Nach einem guten Start mit einer Großchance von Julian Brandt und einer vermeintlichen Abseitsposition von Karim Bellarabi, der ebenfalls allein vor Ralf Fährmann gestanden hätte, präsentierte sich die Elf von Tayfun Korkut völlig ungeordnet und orientierungslos. "Wir haben gut angefangen und dann zehn Minuten gehabt, wo wir komplett gepennt haben und Tore gekriegt haben, die man nicht kriegen darf", analysierte Jonathan Tah treffend, der nach dem 0:3 für den verletzten Ömer Toprak eingewechselt worden war und im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen eine gute Leistung abgeliefert hatte.

Spielersteckbrief Kießling
Kießling

Kießling Stefan

Das Comeback des Innenverteidigers nach fast dreimonatiger Pause war neben dem Fakt, dass sich die Werkself trotz des Rückstands nicht hängenließ, der einzige positive Ansatzpunkt an diesem Abend. Die Mängelliste hingegen war um ein Vielfaches länger. Korkut ordnete den Auftritt aufgrund des Spielverlaufs als "bitteren Abend" ein. Zu diesem hatte die Werkself genauso wie der Trainer entscheidend beigetragen.

Jeder muss sich an die eigene Nase fassen. Da ist kein Trainer schuld, da sind keine Fans schuld. Das sind wir, wir die auf dem Platz stehen, wir sind schuld daran. Wir müssen Gas geben und jeder einzelne muss sich den Arsch aufreißen.

Stefan Kießlings Appell ans Team

Kießling klagte die Mannschaft an, und forderte in einer Mischung aus Verzweiflung und Wut: "Jeder muss sich an die eigene Nase fassen. Da ist kein Trainer schuld, da sind keine Fans schuld. Das sind wir, wir die auf dem Platz stehen, wir sind schuld daran. Wir müssen Gas geben und jeder einzelne muss sich den Arsch aufreißen", sagte der Mittelstürmer, der den Ernst der Lage offenbar anders als einige seiner Kollegen erkannt hat: "Jetzt muss langsam mal definitiv in alle Köpfe rein, dass wir in Ingolstadt ein absolutes Endspiel haben. Hier stehen Jobs und Existenzen auf dem Spiel. Das sollte jeder wissen." Erklärungen für den desolaten Auftritt konnte Kießling nicht benennen, dessen Auswirkungen jedoch sehr genau: "Mir fehlen die Worte, ich kann‘s nicht erklären. Ich weiß nur, dass wir ganz tief im Schlamassel stecken."

Korkuts taktisches Konzept geht nicht auf

Mit maximaler Naivität war Bayer in der ersten Hälfte in den Untergang gestürmt. Korkut hatte offenbar den Plan, Schalke zu überrennen. Der Trainer, bislang immer auf eine gute Balance bedacht, hatte (zu) offensiv aufgestellt und erstmals auf die Doppelsechs mit Kevin Kampl und Charles Aranguiz gesetzt und im Gegenzug dafür auf den taktisch disziplinierten Julian Baumgartlinger verzichtet. Mit der Folge, dass Schalkes Leon Goretzka zwischen der Leverkusener Viererkette und den nach hinten viel zu sorglos und fahrlässig agierenden Sechsern einen Entfaltungsspielraum fand, den ein Offensivakteur im modernen Fußball eigentlich nicht mehr vorfinden kann. Goretzka und der ebenfalls ungestört aufspielen dürfende Nabil Bentaleb nutzten den fehlenden Widerstand, um Leverkusens Defensive zu filetieren.

Völler: Keine Trainerdiskussion

Nach der Pleite wächst die Angst rund um die Bay-Arena. "Jetzt darf eins nicht passieren. Wir dürfen uns nicht kaputt reden lassen. Das ist das Allerwichtigste. Bei aller Kritik, die berechtigt ist. Es war eine verdiente Klatsche. Da müssen wir durch", sagte Sportdirektor Rudi Völler, der einen erneuten Trainerwechsel trotz der rasanten Talfahrt unter Korkut mit sechs Punkten aus acht Ligaspielen nicht als Lösung sieht. Auf die Frage, ob er ausschließen könne, nochmal die Trainerfrage zu stellen und den Trainer nochmal zu wechseln, antwortete Völler ohne Hintertürchen: "Absolut!" Eine Aussage, die "für den Rest der Saison" gelte.

Nächstes Wochenende müssen die Spieler spielen, die mit dem Druck umgehen können und, wenn du ein Gegentor kriegst, nicht gleich umkippen.

Rudi Völler

Die Lage ist prekär und trifft den Klub unvorbereitet. Korkut sprach von "Verunsicherung" und merkte mit Blick nach vorne weit entfernt vom sonst zur Schau gestellten Optimismus an: "Wir wollen nichts schönreden: Wenn du vier Gegentore bekommst, war es zu wenig. Wir müssen schauen, dass wir das wegstecken. Die Mannschaft hat keine Erfahrung im Abstiegskampf, aber trotzdem müssen wir uns alle der Situation stellen." Dass nicht alle Profis dazu in der Lage sind, sieht auch Völler so, wenn er anmerkt: "Nächstes Wochenende müssen die Spieler spielen, die mit dem Druck umgehen können und, wenn du ein Gegentor kriegst, nicht gleich umkippen."

Toprak: Sprunggelenkverletzung

Ob Ömer Toprak bei der Partie in Ingolstadt zu diesen Akteuren zählen kann, ist fraglich. Der Kapitän verließ aufgrund einer Sprunggelenkverletzung die Katakomben an Krücken. "Ich habe Schmerzen", hatte der türkische Nationalspieler erklärt. Eine Kernspin-Tomographie ergab am Samstag die exakte Diagnose: Der Innenverteidiger hat sich einen Bänder-Teilanriss im linken Sprunggelenk zugezogen, sein Einsatz in Ingolstadt am kommenden Wochenende ist somit stark gefährdet.

Stephan von Nocks

Bilder zur Partie Bayer 04 Leverkusen - FC Schalke 04