Man kann sicherlich geteilter Meinung darüber sein, ob es ein Grund zur Freude ist, wenn man sich als Top-Ten-Verein Europas mit einem entsprechenden Anspruch an sich selbst mit lediglich zwei mickrigen Pünktchen aus der Gruppenphase der Champions League in die Europa League verabschiedet. Auch beim BVB stieß die wenig schmeichelhafte Bestmarke nicht auf ungeteilte Begeisterung. Und doch überwog am Mittwoch nach der abschließenden 2:3-Niederlage in Madrid die Erleichterung, nach einer völlig missglückten Gruppenphase doch noch im Europapokal überwintern zu dürfen. Das absolute Minimalziel war erreicht - auch wenn der erhoffte Befreiungsschlag abermals ausgeblieben war.
Und doch war die Niederlage eine, mit der die Schwarz-Gelben verhältnismäßig gut leben konnten in einer Phase, in der ihnen nichts leicht von der Hand geht und jeder Strohhalm, an den sie sich klammern können, gerade recht kommt.
Doppelpack von Aubameyang
Bereits früh, nach lediglich zwölf Minuten, hatten sie mit 0:2 zurückgelegen und bei den 2000 mitgereisten Anhängern für Schnappatmung gesorgt. Dann aber wirkte es, als habe BVB-Boss Hans-Joachim Watzke seinem Freund Florentino Perez, dem Präsidenten von Real, auf der Ehrentribüne das Versprechen abgerungen, auf eine Demütigung der Gäste zu verzichten. Real nahm zwei Gänge heraus - und ermöglichte Dortmund so doch noch, in ein Spiel zu kommen, das bereits verloren schien. Per Doppelpack glich Pierre-Emerick Aubameyang (43., 48.) die frühen Real-Tore durch Borja Mayoral (8.) und Cristiano Ronaldo (12.) aus, bevor Lucas Vasquez (81.) erst in der drangvollen Schlussphase der Gastgeber für den Madrider Sieg sorgte.
"Es hätte sehr böse werden können nach den ersten zwölf Minuten. Aber es spricht für unseren Charakter, dass wir trotz des frühen Rückstands zurückgekommen sind und nach dem Ausgleich sogar noch das 3:2 auf dem Fuß hatten", bilanzierte Dortmunds Mittelfeldspieler Nuri Sahin anschließend, bevor er fast entschuldigend vortrug: "Auch wenn es vielleicht blöd klingt nach einer Niederlage: Aber das war wieder ein Schritt nach vorne. Ich glaube, dass der Weg nicht mehr so weit ist, bis wir wieder gewinnen."
Cannavaro und Kaka bestätigen Sahin
Die Absolution für diese Aussage hatte sich Sahin zuvor von zwei ehemaligen Größen des Weltfußballs geholt: Die als TV-Experten anwesenden Fabio Cannavaro und Kaka bestätigten ihn im persönlichen Gespräch in seiner Meinung. "Und die", sagte Sahin, "haben Ahnung von Fußball."
Auch ohne den Zuspruch der beiden Ex-Königlichen hätte Sahin am Mittwochabend allerdings nicht alleine dagestanden. Auch seine Teamkollegen werteten den Auftritt als Fortschritt auf dem Weg raus aus der Krise. "Wir müssen uns für unsere Leistung nicht schämen, sondern können teilweise stolz sein", sagte etwa Neven Subotic, während Kapitän Marcel Schmelzer erklärte, aus der Partie einiges für die nahe Zukunft mitnehmen zu können. Etwa "unseren Mut und die Idee unseres Fußballs".
Fruchtbare Sitzung nach dem 4:4 im Derby gegen Schalke
Den Ursprung des leichten Aufwärtstrends, der am vergangenen Samstag gegen Leverkusen (1:1) und am Mittwoch in Madrid zu beobachten war, sah Sahin in der ausführlichen Teamsitzung nach dem irrsinnigen 4:4 nach 4:0-Führung im Derby gegen Schalke. "Seitdem", sagte er, "hat sich einiges geändert bei uns. Ich weiß nicht, ob wir in Madrid nach dem 0:2 auch dann zurückgekommen wären, wenn wir in dieser Sitzung nicht so ehrlich und deutlich gewesen wären."
Endlich wieder mit vereinten Kräften
Über die konkreten Inhalte schwieg sich der Mittelfeldspieler aus. Doch es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, dass es in dem Gespräch unter anderem um das richtige Miteinander auf dem Platz ging. Darum, "dass es Dinge gibt, die akzeptabel sind, und manche, die es nicht sind", wie es Subotic ausdrückte, ohne ins Detail zu gehen. In Madrid standen dann auch elf Spieler auf dem Feld, die allesamt defensiv mitarbeiteten, sich auch fürs Doppeln nicht zu schade waren und sich mit allem, was nach an den Nerven zehrenden Wochen noch an Kraft und Vertrauen übriggeblieben ist, gegen die Krise stemmten.
Den Vorwurf, die Mannschaft würde gegen ihren in der Kritik stehenden Trainer Peter Bosz spielen, mussten sich die Borussen daher trotz der vierten Niederlage im sechsten Champions-League-Spiel der Saison nicht erneut anhören. Wie sie sich auch nach dem 0:2-Rückstand an den Spielplan des Niederländers hielten und sich eigene Chancen erspielten, sprach eher für das genaue Gegenteil.
Dennoch: Der BVB steht weiter extrem unter Druck. Im kommenden Heimspiel gegen Werder Bremen sind Bosz und seine Spieler fast schon zum Siegen verdammt - und das wissen sie: "Wir hatten zuletzt viele Wenns und Abers", sagte Sahin, bevor er sich am Mittwochabend gen Mannschaftsbus verabschiedete, "aber am Samstag gibt es kein Wenn und kein Aber. Da müssen drei Punkte her."