Junioren

Die Traumfabrik

Der kicker begleitete das Talent Luca Waldschmidt (15)

Die Traumfabrik

Einblick in das Leben eines Fußballtalents: Der kicker begleitete Luca Waldschmidt von Eintracht Frankfurt.

Einblick in das Leben eines Fußballtalents: Der kicker begleitete Luca Waldschmidt von Eintracht Frankfurt. imago

Die Morgendämmerung ist gerade angebrochen, noch liegen die von Raureif bedeckten Trainings­plätze am Frankfurter Riederwald still und verlassen da. Nur das Rauschen der nahe liegenden Autobahn ist zu hören. Es ist sieben Uhr. Der Wecker klingelt. Für Luca Waldschmidt beginnt im Jugendinternat eine neue Woche. Betreuer Ingo Eichenauer ist wie jeden Morgen schon seit 5.30 Uhr auf den Beinen und hat den Frühstückstisch im Aufenthaltsraum für die acht Internatsspieler gedeckt. Die Wände sind mit Eintracht-Fahnen dekoriert, große Wimpel von den vier siegreichen DFB-Pokalendspielen erinnern an die besseren Zeiten des Zweitligisten. Auf dem Esstisch laden Weiß- und Schwarzbrot, Käse, Salami-Stangen, Nutella, Säfte und vieles mehr zu einem ausgiebigen Frühstück ein. Doch daran ist nicht zu denken. Der Tagesplan ist straff.

Der Vormittag gehört der Schule

Um 7.30 Uhr geht’s aus dem Haus zur nur wenige Hundert Meter entfernten U-Bahn-Station. Neun Minuten dauert die Fahrt bis zur Klingerschule, einem Wirtschaftsgymnasium, in dem Waldschmidt die 11. Klasse besucht. In den ersten beiden Stunden steht Wirtschafts­lehre auf dem Stundenplan. Claudia Sterzel, die Lehrerin, teilt korrigierte Klausuren aus. Schnell zeigt sich, dass der Frankfurter Nachwuchs­stürmer nicht nur auf dem Platz Ehrgeiz hat. Zehn Punkte, eine Zwei minus, hat er bekommen. Aber gut ist nicht gut genug. Die Fehlersuche beginnt. Wo könnte die Lehrerin etwas falsch beurteilt haben? Wenige Minuten später sind aus den zehn Punkten elf geworden, eine glatte Zwei. Waldschmidt, ein ruhiger, fast schüchterner Zeitgenosse, lächelt zufrieden.

"Luca ist ein guter Schüler", sagt Karl Rotter (36) – und der muss es schließlich wissen. Morgens unterrichtet er an einer Grundschule, nachmittags sorgt er im Internat dafür, dass die Schule neben dem Fußball nicht zu kurz kommt. Leis­tungssport und Schule zu vereinen, das ist eine der größten Herausforderungen. Den Sprung zu den Profis packen die meisten schließlich nicht. Umso wichtiger ist eine gute schulische Ausbildung. So besteht Rotters Alltag aus Telefonaten mit Lehrern und Eltern, aus Einzelgesprächen mit den Spielern, Nachhilfeunterricht, aber auch aus Berufsberatung, bevor er am späten Nachmittag die U 13 der Eintracht trainiert.

Mittag im Leistungszentrum

Um 13 Uhr ist die Schule aus. Kurze Zeit später sitzt Waldschmidt in der "Diva", dem ins Leistungszentrum integrierten Restaurant, und bestellt eine Penne-Gemüsepfanne. Massives dunkles Holz und lila Neonlicht erinnern mehr an eine exklusive Lounge im Frankfurter Westend als an eine Vereinsgaststätte. Die gesalzenen Preise müssen die Nachwuchsspieler nicht interessieren, sie speisen kostenlos. Beim Essen plaudert der in Siegen geborene Waldschmidt über seine ersten Gehversuche im Fußball. "Ich habe mit vier Jahren angefangen zu spielen." Über seinen Heimatverein SSV Oranien Frohnhausen, den SSC Juno Burg und die TSG Wieseck landete der Mittelhesse im Sommer 2010 bei der Eintracht.

"Ich wurde bei einem Bezirksauswahlspiel gesichtet." Im ersten Jahr musste er noch zum Training pendeln, kam erst spät abends nach Hause. "Mein Opa Klaus Graf macht ehrenamtlich zusammen mit einem Taxifahrer noch immer einen Fahrdienst für andere Spieler", berichtet Waldschmidt, der seit dem vergangenen Sommer im Internat lebt und nur alle zwei Wochen einen kurzen Abstecher nach Hause machen kann. "Heimweh habe ich aber nicht", sagt er – was auch daran liegen könnte, dass es ohnehin kaum Freizeit gibt. Mittags bleibt nur wenig Zeit zum Ausruhen, an mehreren Tagen ist bis um 15 Uhr Schule. Nach dem Mittagessen stehen diesmal ab 14.30 Uhr die Hausaufgaben auf dem Programm. Karl Rotter passt auf, dass nicht geschlampt wird, und hilft, wo er kann. Bei Problemen bestellt er Nachhilfelehrer.

Leistungszentrum Frankfurt

Das Sportleistungszentrum am Frankfurter Riederwald. picture alliance

Am späten Nachmittag rollt der Ball

Erst um 18 Uhr rückt der Fußball in den Mittelpunkt. In der Regel trainiert Waldschmidt viermal 90 Minuten pro Woche. Am Wochenende kämpft er in der B-Junioren-Bundesliga Süd/Süd­west um die Meisterschaft. Die Titelchancen stehen nicht schlecht. Zuletzt war die Eintracht 2009/10 Deutscher B-Junioren-Meister. Sonny Kittel (19), der damals dabei war, spielt inzwischen bei den Pro­fis. So weit ist Waldschmidt noch nicht. Allerdings hat er in dieser Saison schon 16 Tore in 16 Einsät­zen (bis zum 20. Spieltag) erzielt. Und es wären wohl einige mehr, wenn er im vergangenen Herbst nicht am Pfeifferschen Drüsenfie­ber erkrankt und von November bis Januar ausgefallen wäre. Sein Trainer, Eintracht-Idol Uwe Bin­dewald (43), beschreibt seinen Schützling als "Instinktfußballer mit einer riesigen Begabung". Der 1,80 Meter große Mittelstürmer habe eine "gute linke Klebe" und spiele "sehr mannschaftsdienlich". Der Lohn: Am 16. September 2011 stand Waldschmidt erstmals für die U-16-Nationalmannschaft Deutschlands auf dem Platz – und steuerte bei seinem Debüt prompt zwei Tore zum 5:1 über Schottland bei.

Kein Wunder, dass Nachwuchskoordinator Holger Müller sagt: "Ohne das neue Leistungs­zentrum wäre einer wie Luca nach Hoffenheim oder woandershin gegangen." Am 1. November 2010 ist die 14 Millionen Euro teure drei­stöckige Ausbildungsstätte eröffnet worden.

Die Bedingungen sind nahezu perfekt. Zwei Rasen- und zwei Kunstrasenplätze sowie zwei Kleinspielfelder stehen ebenso zur Verfügung wie die angebau­te multifunktionale Wolfgang-Steubing-Halle. Sportlicher Leiter des Leistungszentrums ist Armin Kraaz (47), früher selbst Eintracht-Profi und seit 1996 in die Jugendar­beit involviert. "Damals gab es nur zwei hauptberuflich Beschäftigte. Heute haben wir 50 Mitarbeiter", sagt Kraaz, der mit einem Jahres­etat von zwei Millionen Euro planen kann. "Damit bewegen wir uns im unteren Drittel der Bundesliga."

Zertifizierung der Leistungszentren

Für die Infrastruktur gilt das nicht. Vor wenigen Wochen ist das Leistungszentrum mit drei Sternen zertifiziert worden. Ein zweistöckiger Kraftraum mit Blick auf das Riederwald-Stadion gehört ebenso zur Einrichtung wie eine Sauna mit Kaltwasserbecken sowie ein Whirlpool zum Relaxen.

Auch am Abend regiert der Fußball

Abends, nach dem Training, finden regelmäßig Kräftemessen der anderen Art statt. Dann wird im Aufenthaltsraum, in dem die Jungs selbst für die Ordnung sorgen müssen, an der Playstation gezockt. Fußball natürlich. Bis 22 Uhr ha­ben die Spieler Ausgang, eine Stun­de später muss jeder auf seinem Zimmer sein. Dort darf geträumt werden. Von der großen Fußball­bühne. Auf Waldschmidts Bett liegt ein Buch von Luca Caioli. Der Titel: "Messi. Ein Junge wird zur Legende." Keine schlechte Nachtlektüre.

JULIAN FRANZKE