kicker

Im Mercato geht selbst Sestak

Kolumne von Oliver Birkner

Im Mercato geht selbst Sestak


Meine Gute-Nacht-Geschichten, während die Frau mich vor einigen Wochen in Richtung Heimat, Bogotá, verlassen hat. Die wollte endlich mal wieder nach Hause. Während der Flugplanung schritt ich jedoch ein: "Moment, am 30. Juli spielt Florenz gegen Barcelona, da kann ich doch nicht in Urlaub! Und dann ist doch bald Champions-League-Quali!" Sie sagte: "Am 11. 8. bist du spätestens in Kolumbien."

Ich fliege am 11., man muss eben Kompromisse eingehen in einer Beziehung - vor allem in einer kolumbianischen. Wie auch immer, ich verpasse zwar Juventus gegen Artmedia und den Bundesligastart, genieße jedoch bis zum 11. 8. noch als nur ein bisschen Verheirateter den phänomenalen Ferienbeginn in einer italienischen Stadt.

Und der ist besonders am Wochenende charmant. Am Samstag brachen die Italiener auf 150 Kilometer Staus in die Ferien auf, das nennt man hier "esodo", den Exodus. Dabei geht es in die inner-italienischen Ferien (die Grenzen mag verständlicherweise kaum jemand übertreten) zum Strand, wo der Fußballfan dann die "Gazzetta" und nebenher braungebrannte, schlanke Frauenkörper studiert. In der Stadt kann man dabei schon einmal neidisch werden, denn hier laufen höchstens noch 20 Einheimische herum, die von der Arbeit dazu verdonnert wurden, und auch keinen Bikinistring tragen. Der Rest der urbanen Übergangs-Diaspora besteht aus Touristenfamilien, die sich in der Ofenhitze schwitzend hysterisch angiften, weil sie auch lieber am Strand und auch lieber nicht verheiratet wären. Die Kinder machen meist auch nicht den Eindruck, als seien sie gerne deren Kinder.

Wir Einheimische haben morgens als Ausgleich damit zu kämpfen, dass man erst einmal eine offene Bar für den Cappuccino und eine offene "edicola" (Kiosk) für die Sportzeitungen finden muss. Denn deren Besitzer standen natürlich auch im 150-Kilometer-Exodus.

Stanislav Sestak

Robinho, Messi - oder doch Bochums Stanislav Sestak? Im italienischen Mercato wird wild spekuliert. imago

Die 20 Zurückgebliebenen kennen sich nach einer Weile zumindest alle und flüstern nach einigen Tagen Abtasten irgendwann verschwörerisch: "Schon was gefunden, das offen hat?"

So hatte Michele gestern eine "edicola" entdeckt, ich im Tausch am Samstag einen offenen Bäcker. Und abends schauen wir auf dem Bezahlsender Sky nun aus Solidarität immer zusammen die tägliche 1-Stunden-Show ohne seriösen Inhalt "Calciomercato". Das haben wir uns verdient. Dort wird lustig mit Dutzenden Spielern für Vereine jongliert, die sie nie bekommen werden. Über ein paar Gläser Chianti hörten wir zuletzt, wie der dorthin geht, und morgen dann aber doch wieder nicht. Und das ist genau das, was wir gerade brauchen - Futter für die öde Zeit, bis die Serie A wieder startet.

"Hast du gehört, geil, Robinho vielleicht zur Roma" (Michele) "Neee, wenn die Amerikaner uns doch noch kaufen, kommt der zu Bologna!" "Und wir kriegen irgendwann Messi!" (Michele) "Dann holen wir eben, na ja, Sestak!" "Wer ist denn der?" "Wirst du dann schon sehen, der schenkt deiner Roma Dinger ohne Ende ein!" Michele, mit erheblichen Verpflichtungen für die Roma und einigen für die Familie, schaut eben nicht so oft Bochumer Freitagspartien.

Das, was ich an Italien besonders liebe ist, dass im Sommer alles geht. Der Mercato ist ein Spiel, das alle verstehen, und niemand ernst nimmt. Und genau deshalb ist er ungemein sexy. Fernsehen und Zeitungen sind voll von Phantasmagorien, die meist auch nicht die winzigste Wirklichkeit besitzen. Die Zeitungen muss man im urbanen August-Dschungelwochenende natürlich erst einmal irgendwo finden.

Schade, dass bald alles wieder vorbei ist, und Bologna mit einer realistisch mittelmäßigen Truppe ohne amerikanische Übernahme den Klassenerhalt in Angriff nehmen wird. Micheles Frau ist ebenfalls schon im Urlaub, er fährt in einigen Tagen nach, ich wurde erst am 11. August wegbefohlen – aber bis dahin verpflichten wir für die Roma und Bologna noch jeden Megastar. Soviel ist mal sicher. Vielleicht bekomme ich ja noch einen für Bochum – doch das klappt wohl nicht einmal in Italien.

Oliver Birkner lebte bereits von 1993 bis 1999 in Bologna. Nach seiner Zeit beim kicker in Deutschland (2004 - 2007) entschloss er sich aus Nostalgie wieder auf die Halbinsel zurückzukehren. Nun berichtet er als Korrespondent für kicker Print und Online aus seiner neuen Heimat Florenz.