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Das Startup - Wie Atlanta United mit Julian Gressel die MLS revolutioniert

Gressel & Co. gehen als Favorit in die Play-offs

Das Startup - Wie Atlanta United die MLS revolutioniert

Vom Studenten zum Fußball-Profi: Julian Gressel und Atlanta United erobern die MLS.

Vom Studenten zum Fußball-Profi: Julian Gressel und Atlanta United erobern die MLS. imago

Da saßen sie also beim Abendessen, ein bisschen wie beim ersten Kennenlernen im Ferienlager. Zwei Deutsche, zwei Paraguayer, ein Venezolaner und viele Amerikaner, auch Iren oder Ghanaer waren anwesend. Ein älterer Argentinier hatte das Sagen und stellte sich vor, ihn kannte man, die meisten anderen nur mit Zugang zu südamerikanischem Pay-TV. Etwas ausführlicher als Franz Beckenbauer ("Geht's raus und spielt's Fußball") wird er dabei wohl geworden sein, denn Gerardo Martino hatte vor sich zwei Dutzend Spieler, die er nicht kannte und die sich nicht kannten.

Es war der erste Trainingstag in der Geschichte des neuen MLS-Klubs Atlanta United, und Trainer Martino versammelte die komplett neu zusammengestellte Mannschaft gleich im Trainingslager. Was er ihr dort sagte, weiß Julian Gressel nicht mehr so genau, "aber es wurde viel Spanisch gesprochen".

Atlanta United FC - Vereinsdaten
Atlanta United FC

Gründungsdatum

16.04.2014

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MLS Play-offs - Conference Semifinal
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Spielersteckbrief Gressel
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Rooney Wayne

Gressel war einer von zwei Deutschen im Team und im MLS-Superdraft, der College-Spieler-Lotterie, an Position acht von Atlanta ausgewählt worden. Er hätte genauso gut in Minnesota oder Salt Lake City landen können, aber "Atlanta stand schon ganz oben auf meiner Liste". Sportvereine aus Georgias Hauptstadt hatten bis dato nicht mit Erfolg geglänzt. Die Braves waren das MLB-Team der 90er Jahre, gewannen aber nur eine Meisterschaft. Die Hawks hatten ihren einzigen NBA-Titel geholt, als sie noch in St. Louis spielten. Und die Falcons sollte wenige Wochen nach Uniteds Trainingsstart eine der bittersten Super-Bowl-Pleiten der NFL-Geschichte kassieren. Warum also ausgerechnet "Soccer"?

Warum "der Riesenmarkt" Atlanta genau der richtige Standort ist

Gründer und Besitzer Arthur Blank (zugleich Eigentümer der Falcons) hatte sieben Jahre lang um das "Go" für ein MLS-Franchise gekämpft und es 2014 endlich bekommen. "Atlanta", lobt Gressel den Instinkt des Milliardärs, "war ein Riesenmarkt, der noch kein Fußball-Team in der Nähe hatte. Der Verein hat es geschafft, den Menschen das zu geben, wonach sie sich gesehnt haben."

Wie er das geschafft hat, grenzt beinahe an eine Liga-Revolution. Präsident Darren Eales, studierter Anwalt und zuvor vier Jahre bei den Tottenham Hotspur verantwortlich, hatte Blank mit der Idee überzeugt, einen anderen Weg einzuschlagen als viele andere MLS-Klubs: Er wollte keinen alternden Superstar holen , um Zuschauer anzulocken und Trikots zu verkaufen. Das hatte er gar nicht nötig. "Die Fans waren sowieso schon an Bord", erklärt Eales und muss es wissen. Vor der Premierensaison verbrachte er teilweise fünf Tage in der Woche mit Fußballfans in den örtlichen Sportsbars. Er überzeugte sie vom Projekt Atlanta United. "Wir mussten deshalb nicht nach Namen einkaufen, sondern haben uns darauf fokussiert, junge und talentierte Spieler für uns zu gewinnen."

Zum ersten Mal überhaupt bekam die Major League Soccer ein richtiges Gegenstück zu David Beckham und den Los Angeles Galaxy; zu New York City und Andrea Pirlo; zu Chicago Fire und Bastian Schweinsteiger. Blank, Gründer der Baumarktkette "Home Depot", gefiel die Idee, sein selbst ernanntes "Startup" geduldig aufzubauen. "Ich wusste, dass Fußball ein globales Spiel ist, in dem die MLS versucht, mitzuhalten. Also musste ich Talent aus der ganzen Welt ranschaffen." Mit ca. 4,5 Milliarden Dollar Kapital ein Luxus, den wohl kein anderes Startup weltweit genießt.

Lieber 4:3 als 1:0 - "Wir sind in der Entertainment-Branche"

Bei der Kaderzusammenstellung kam Tata Martino erstmals ins Spiel. Als ehemaliger Barça-Trainer und Coach der argentinischen Nationalmannschaft reichte sein Name auf dem Handy-Display oft aus, um zahlreichen Südamerikanern einen Klub schmackhaft zu machen, von dem noch niemand wusste, wo er steht. Immerhin sollte es ja auch Martinos Team sein, dazu imstande, seine Idee vom Hochgeschwindigkeitsfußball, vom schnellen Umschaltspiel und frühen Gegenpressing umzusetzen. "Wir sind in der Entertainment-Branche", vertraute Präsident Eales der Philosophie des Trainers. "Also können wir auch ein Team aufstellen, das Spaß macht. Wenn wir ein enges Spiel gewinnen, dann lieber 4:3 als 1:0."

Der Klub holte mit Miguel Almiron (22, CA Lanus, 7,5 Millionen Euro), Josef Martinez (23, FC Turin, 4,5), Hector Villalba (21, San Lorenzo, 2,5) und Yamil Asad (22, Velez Sarsfield, Leihe) vier Südamerikaner, die sofort eine der besten Offensivreihen der Liga bilden sollten. Auch Gressel spielte in Martinos Stammelf eine zentrale Rolle, wurde später sogar zum Rookie des Jahres gewählt.

Zuschauerboom: Atlanta hat mehr Zuschauer als 14 Bundesligisten

United erzielte in den ersten drei Spielen zehn Tore, war auf Anhieb voll da - und die Fans sowieso. Vor dem Saisonstart waren bereits über 22.000 Dauerkarten verkauft worden, der Verein avancierte zum sechstbest besuchten MLS-Team, ohne jemals ein Spiel absolviert zu haben. Als das neue Mercedes Benz Stadium mit Verzögerung endlich fertig war, wurden in schöner Regelmäßigkeit neue Besucherrekorde aufgestellt, jeweils mit über 70.000 Zuschauern. In diesem Jahr kamen im Schnitt über 50.000, Atlanta hat damit den im Vorjahr selbst aufgestellten Bestwert übertroffen und wäre selbst im Bundesliga-Ranking auf Platz fünf.

Mercedes Benz Stadium

Hypermodernes Prunkstück: Das Mercedes Benz Stadium in Atlanta. Getty Images

Eine starke Debütsaison - United schaffte es als erst viertes MLS-Team im Debütjahr in die Play-offs - endete 2017 unglücklich. In diesem Jahr haben Gressel & Co. sogar den Punkterekord vom FC Toronto ein- und beinahe einen neuen aufgestellt. Doch ausgerechnet beim Vorjahres-Meister geriet Atlanta am letzten Spieltag der Regular Season unter die Räder (1:4) und verpasste damit den Supporters Shield, den Titel für das beste Team der regulären Spielzeit und gleichzeitig das durchgehende Heimrecht für die Play-offs.

Martino geht am Ende der Saison - nur wann endet die?

Ein Rückschlag zur Unzeit, und nicht der einzige. Tata Martino hat erst vor rund einer Woche angekündigt, den Verein nach Saisonende zu verlassen. Inwieweit beeinflusst seine Entscheidung die Mannschaft? Immerhin war er es, der aus einem Konzept innerhalb von zwei Jahren ein Team geformt hat, das um die Meisterschaft spielt. Er war es, der das Vertrauen der Eigentümer und Verantwortlichen bekam, um einem Franchise ein Gesicht zu verpassen.

"Play-offs sind Play-offs", sagt Gressel, bemüht den Fokus aufs Wesentliche zu wahren. Für Atlanta immerhin das zweite Mal im zweiten Jahr. Das darf schon als Erfolg gewertet werden, auch wenn United nicht nur bei Buchmachern als Top-Favorit ins Rennen geht. Im neuen Jahr wird ohne Martino vieles anders sein, aber das ist bei Startups eben so.

Mario Krischel

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