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"Die Klubs könnten eine ganze Generation verlieren"

Kevin Miles (Football Supporters Federation) im kicker-Interview

"Die Klubs könnten eine ganze Generation verlieren"

Mit Herz bei der Sache: Fans von Newcastle United.

Mit Herz bei der Sache: Fans von Newcastle United. Getty Images

Mr. Miles schauen Sie manchmal neidisch Richtung Deutschland?

Miles: Ja, durchaus. Englische Fans lieben Deutschland aus drei Gründen: Die Tickets sind vergleichsweise günstig. Und die Atmosphäre ist richtig cool, man kann im Stadion stehen und Bier trinken.

Und drittens?

Miles: Das Wort der Fans hat mehr Gewicht, es gibt keinen Alleinbesitzer, der alles bestimmt. Durch die 50 plus 1 Regel und auch das Grundkonstrukt der Vereine, das wir in England ja so gar nicht kennen, haben viel mehr Leute Mitspracherecht. In der Premier League gibt es nur einen Klub, bei dem die Anhänger einigermaßen mitreden dürfen, das ist Swansea.

Neigen Sie zur Nostalgie?

Wir wollen's wissen!

Miles: Tun wir das nicht alle? Aber früher war auch vieles schlechter. Die Stadien waren oft richtig gefährliche Bruchbuden, die Toiletten ein Graus, wir haben uns gegenseitig auf die Füße gepinkelt, der Gestank war nicht auszuhalten. Damen- oder auch Behinderten-WC gab es gar nicht. Und vor allem: Massenweise Hooligans und Rassisten gingen damals zum Fußball.

Die Stadien waren oft richtig gefährliche Bruchbuden, die Toiletten ein Graus, wir haben uns gegenseitig auf die Füße gepinkelt, der Gestank war nicht auszuhalten.

Kevin Miles über die "alten Zeiten"

Moderne Stadien lassen sich bauen, aber wie wird man Hooligans und Rassisten los?

Miles: Die Gesetze wurden härter und zugleich greift die Polizei seit rund 15 Jahren nicht mehr kollektiv gegen ganze Gruppen durch, sondern geht viel individueller vor, auch wegen der ständigen Kamera-Überwachung. Dadurch kam auch ein Selbstreinigungsprozess in Gang. Denn die Mehrzahl der Fans will mit Hooligans oder Rassisten nichts zu tun haben.

Und diese Übermacht vertrieb die üblen Jungs weitgehend?

Miles: Es gab und gibt das klare Bekenntnis der Fan-Leader: Wir wollen nicht, dass diese Minderheit uns neue Repressionen aufzwingt oder unseren Ruf beschmutzt. Also, haut ab! Klar ist aber auch, dass sich das Problem nur verlagerte. Es gibt nun in den Städten noch mehr gewalttätige Gangs.

Verschärfte Sicherheitsmaßnahmen: Kameras im Stadion sind inzwischen die Regel.

Verschärfte Sicherheitsmaßnahmen: Kameras im Stadion sind inzwischen die Regel. Getty Images

Wurde es auch friedlicher, weil in den Stadien immer mehr reiche Leute sitzen, die sich die Preise leisten können?

Miles: So einfach ist es nicht. Denn das würde ja bedeuten: Reiche Leute sind keine Rassisten. Was für ein Schwachsinn! Auch sind viele Jungs aus den besten Häusern oder mit hochbezahlten Jobs notorische Hooligans. Ich wehre mich gegen diesen Zusammenhang zwischen Einkommen und Gewalt.

Aber Fakt ist, dass immer weniger Anhänger aus der Working Class in die Stadien kommen können.

Miles: Das stimmt. Auch, weil so viele Touristen kommen und bereit sind, für ein Spiel samt Einkauf im Shop viel Geld zu zahlen, bei Chelsea oder Arsenal zum Beispiel. Das Problem für uns jedoch ist, dass sich vor allem viele Leute zwischen 18 und 25 Jahren oft keine Tickets leisten können. Damit könnten die Klubs mittelfristig eine ganze Generation von Fans verlieren.

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Immerhin wurden die Auswärtstickets für die kommenden zwei Jahre auf maximal 30 Pfund beschränkt.

Miles: Der Away Ticket Cap war ein großer Erfolg für uns - aber erst ein Anfang. Auch die Dauerkartenpreise für Heimfans müssen billiger werden. Ich zahle zum Beispiel in Newcastle 720 Euro für meine Saisonkarte. Im Vergleich zu den Klubs in London oder Manchester ist das günstig.

Die Hillsborough-Katastrophe mit 96 Toten jährt sich am 15. April zum 27. Mal. Was hat Sie neben dem Verbot der Stehplätze verändert?

Miles: Das Bewusstsein insgesamt ist ein völlig anderes geworden, auch der Umgang mit Menschenmassen. Die Polizei sowie die Stewards sind nun besser ausgebildet, reagieren viel sensibler.

Fährt ein Fanbus zu einem Fußballspiel, ist Alkohol verboten. Fährt der gleiche Bus mit den gleichen Leuten ins gleiche Stadion zu einem Rugbyspiel, dürfen die Leute saufen so viel sie wollen!

Kevin Miles

Ihre Organisation FSF will mit ihrer Kampagne Safe standing aber wieder Stehplätze einführen.

Miles: Ja, das läuft schon eine Zeit lang. In Schottland lässt Celtic ab Sommer testweise wieder Stehplätze zu, das wollen wir in England auch erreichen. In Sunderland zum Beispiel gibt es eine Singing Area. Da stehen die Leute, aber einmal pro Spiel gehen die Stewards durch und ermahnen. Eher symbolisch. Danach steht wieder alles. So könnte es überall sein.

Eine andere Kampagne lautet: Watching Football is not a crime. Was hat es damit auf sich?

Miles: Seit einigen Jahren gibt es zahlreiche Gesetze, die sich pur gegen eine Sportart richten. Fährt zum Beispiel ein Fanbus zu einem Fußballspiel, ist Alkohol verboten. Fährt der gleiche Bus mit den gleichen Leuten ins gleiche Stadion zu einem Rugbyspiel, dürfen die Leute saufen, so viel sie wollen. Das kann doch nicht sein.

Der Transport zu den Spielen gestaltet sich ohnehin manchmal schwierig.

Miles: Schwierig ist gut... Der öffentliche Verkehr in England ist ein Albtraum! 13 private Bahnfirmen bekämpfen sich gegenseitig, nichts ist aufeinander abgestimmt. Außerdem ändern sich oft noch die Anstoßzeiten. Auch deshalb fahren bei uns seit Jahren immer weniger Fans zu Auswärtsspielen.

Interview: Martin Gruener

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