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Der Klub der Fans

kicker-Reportagereihe "Football Britannia", Teil 2: AFC Wimbledon

Der Klub der Fans

We are Wimbledon: Die Fans gründeten den Verein AFC Wimbledon im Jahr 2002 neu und kehrten so zu den Wurzeln zurück

We are Wimbledon: Die Fans gründeten den Verein AFC Wimbledon im Jahr 2002 neu und kehrten so zu den Wurzeln zurück Stuart Roy Clarke

"Neun Jahre, es dauerte nur neun Jahre." So lautet einer der populärsten Sprechchöre dieser Saison in der englischen Football League. Ein Ruf, in dem ein verrücktes Kapitel Fußball-Geschichte anklingt, in dem jahrelange Entschlossenheit und Zuversicht nachhallen. Der Wimbledon Football Club benötigte gera­de mal neun Jahre, um seinem Aufstieg in den bezahlten Fußball 1977 bereits 1986 den Sprung in die Eliteliga, damals die First Division, folgen zu lassen. Und der Nachfolgeverein Association Football Club Wimbledon brauchte nur neun Jahre, um nach seiner abenteuerlichen Grün­dung 2002 schon im Frühjahr 2011 den Aufstieg in den Profifußball zu schaffen, in die League 2, die vierthöchste englische Spielklasse.

Diese Symmetrie ist natürlich nicht verborgen geblieben in Wimbledon Common; dort, wo der Wimbledon Old Central FC 1889 ins Leben gerufen wurde; dort, wo sich schon vor dem sensationellen FA-Cup-Triumph gegen Liverpool 1988 beim Get-together im "Fox and Grapes"-Pub legendäre Szenen abspielten; dort, wo sich vor neun kurzen Sommern bei improvisierten Sichtungen auf viel zu hohem Gras 500 Amateurkicker aus dem ganzen Land um einen Platz im Kader des AFC bewarben, bei diesem neuen Verein mit dem alten und schmerzenden Herzen.

Wimbledon FC: Erst heimatlos, dann vollends entwurzelt

Der AFC Wimbledon wurde im Juni 2002 im "Fox and Grapes" gegründet, nachdem eine drei­köpfige Kommission der FA dem Wimbledon FC die Erlaubnis erteilt hatte, ins 90 Kilometer ent­fernte Milton Keynes umzusiedeln, in eine Re­tortenstadt ohne Fußballverein, ohne Fußball-Historie. Der Wimbledon FC war damit vollends entwurzelt, heimatlos war er da schon lange, hat­te seit mehr als zehn Jahren nicht mehr in einem eigenen Stadion gespielt. Die Plough Lane - einst das Revier der berühmt-berüchtigten "Crazy Gang" von Dave Beasant, John Fashanu, Vinnie Jones, Dennis Wise und Co. - war nach den Ergebnissen des "Taylor Report" infolge der Zuschauer-Tragödie von Hillsborough 1989 nicht mehr erstligatauglich.

Wimbledons Fußball fand sich im Selhurst Park wieder, musste seine Heimspiele beim Lon­doner Nachbarn Crystal Palace austragen. Der Selhurst Park war zwar der Schauplatz eines der größten Spiele des Wimbledon FC gewesen, als dieser noch ein Amateurklub war - 1975 das Wiederholungsspiel in der vierten FA-Cup-Runde gegen den Landesmeister-Finalisten Leeds Uni­ted -, den treuen Fans war er aber dennoch ein Dorn im Auge. Sie wollten, wenn schon nicht an der Plough Lane, so doch zumindest in ihrem Londoner Bezirk Merton bleiben.

Unter dem verwegenen Präsidenten Sam Hammam und mit dem scharfsinnigen Trainer Joe Kinnear schlug sich der Klub über seinen Verhältnissen tapfer, wurde 1993/94 Sechster der Premier League, zahlte 1999 die Rekord-Ablösesumme von 7,5 Millionen Pfund für den West-Ham-Stürmer John Hartson. Doch die Stadion­situation blieb das Kernpro­blem.

AFC Wimbledon: Der basisdemokratische Verein

Als die Anforderungen immer höher und die Alter­nativen immer weniger wur­den, erwog man sogar, über die Irische See hinweg nach Dublin überzusiedeln. Mit dem Abstieg aus der Premier League 2000 implodierte der Klub. Ham­mam hatte seine Anteile bereits an ein norwegi­sches Konsortium verkauft, als Geschäftsführer Charles Koppel den Umzug nach Milton Keynes anstrebte. Der Aufschrei der Basis war, kaum überraschend, riesengroß. Das Abgleiten in die Bedeutungslosigkeit begann: Fans wendeten sich ab, der Zuschauerschnitt sank, auch sportlich lief es nicht mehr rund. Den letzten Sargnagel schließlich schlug die FA-Kommission mit ihrer Entscheidung ein, es werde keine Rückkehr nach Merton geben.

Dann, zwei Jahre nachdem sie ihren Klub noch in der Premier League gesehen hatten, beschlossen die Treuesten, zu den Wur­zeln des Wimbledon FC zurückzukehren. Sie gründeten quasi aus dem Nichts den AFC, spiel­ten nebenan in Kingston-upon-Thames, traten in der "Combined Counties League" fünf Klassen unterhalb der Football League an, acht Ligen unter der Premier League.

Für eine Weile existier­ten nun zwei Klubs namens "Wimbledon". Die Mehrheit der "Dons"-Fans wandte sich der basisdemokrati­schen Neugründung zu, bei der bis heute über den "Dons Trust" jedes Mitglied über einen Stimmanteil verfügt. Mit nur noch kleinem Anhang und Heimspielen in einem Hockey-Stadion weit weg von Zuhause war das Ende für den Wimbledon FC dagegen abzusehen. Nach einem erneuten Ab­stieg, diesmal in die Drittklassigkeit am Ende der Saison 2003/2004, wurde er, mittlerweile von dem Musikunternehmer Pete Winkelman aufgekauft, in Milton Keynes Dons umgetauft.

Der Sympathieträger als Vorbild

Die Namensänderung stieß in England auf wenig Gegenliebe, die Sympathien aus dem ganzen Land galten dem AFC Wimbledon. Er wurde zu einer Bewegung: Holt die Trophäen, die der Wimbledon FC einst gewann, aus Milton Keynes zurück nach Merton! 2007 war die Mission erfüllt, nicht zuletzt dank der Unterstüzung der alten "Crazy Gang"-Mitglieder. Jones, Spitzname "die Axt", etwa spendete seine Pokalsiegermedaille.

Der AFC Wimbledon entwickelte sich phäno­menal, gewann die Combined Counties League 2003/04, ließ weitere drei Aufstiege folgen, führte 2010 das Vollprofitum ein, wurde 2011 Zweiter der Conference Premier League, schlug anschließend Luton Town im Elfmeterschießen des Play­off- Finales in Manchester vor 18.195 Zuschauern und wurde somit der 137. Klub in der Geschichte der Football League. Die Symmetrie hatte sich damit fortgesetzt: Der Wimbledon FC hatte auf dem Weg zu seinem größten Erfolg 1988 auch Luton im Pokal-Halbfinale geschlagen.

Nur neun Jahre: Der AFC Wimbledon ist zurück

Das alte Wimbledon mit dem (wohlwollend formuliert) kompromisslosen Stil der "Crazy Gang" war national nie so populär wie der AFC heute. Der Schnappschuss, der die Handgreif­lichkeit von Jones in Paul Gascoignes Gemächt dokumentiert, ist berühmter als jedes Foto von Elfmeterkiller Beasant mit dem FA-Cup. Wimbledon war der "Public Enemy" im Fußball-England der 80er und 90er Jahre. Ironie des Schicksals: Diesen Schuh müssen sich heute die MK Dons anziehen - nicht wegen ihres Fußballs, sondern wegen ihrer Entstehung.

Der Erfolg des AFC Wimbledon hat den Weg geebnet für verärgerte Anhänger auch andern­orts: Der AFC Telford und Chester FC sind aus den Ruinen von Telford United und Chester City auferstanden, der FC United of Manchester - von Manchester-United-Fans als Protest gegen die Übernahme des Klubs durch den amerikani­schen Unternehmer Malcolm Glazer gegrün­det - wurde zum bekanntesten Amateurverein weltweit.

Der AFC Wimbledon hat in der laufenden Saison, stabil im Mittelfeld, im vereinseigenen Stadion einen Schnitt von knapp 4500 Zuschau­ern, mehr als die 3000, die vor 34 Spielzeiten der Wimbledon FC in seinem ersten Jahr im Profifuß­ball hatte, deutlich weniger freilich als die 18.235 in den späten 90ern. Derlei Statistiken erinnern Trainer Terry Brown an die Reise, die noch vor ihm liegt. "Die Erwartungen sind lächerlich", sagt er. Brown soll ähnlich Großes erreichen wie Dave Bassett, der Wimbledon vor 25 Jahren in die First Division führte.

"Wer auch nur einen von uns be­kämpft, bekämpft uns alle. Wir haben eine Le­gende geschaffen, haltet die Legende am Leben."

Klub-Legende Vinnie "die Axt" Jones

Brown hat den Job seit vierein­halb Jahren, sein Namensvetter Seb Brown war der Held im Play-off-Endspiel, so wie es Beasant 1988 im Pokalfinale war. Der Torhüter wehrte im Shoot-out zwei Elfmeter ab. In der Hinrunde der League 2 ließ er nun gute Leistungen folgen, wie auch Stürmer Jack Midson, einer der Top-Scorer der Klasse. Der AFC trägt königsblaue Trikots wie einst der Wimbledon FC, das Sai­soneröffnungsspiel bestritt er in weißen Shirts, zur Erinnerung an das Football-League-Debüt 1977.

In der Stadionzeitung sind alle Erfolge des Wimbledon FC gelistet, Präsident des AFC ist Dickie Guy, der Torhüter beim Höhenflug im Pokal 1975. Das neue Wappen ist eine clevere Überarbeitung des alten Klub-Emblems, in dem ein schwarzer zweiköpfiger den gelben zweiköpfigen Adler ersetzt. Back to the roots: Immer mehr Reporter verzichten darauf, das "AFC" zu nennen, die Spuren zum Wimble­don FC werden niemals verwischen. Zumal die Botschaft zum Debüt in der vierten Liga nicht eindeutiger hätte sein können. Aus Hollywood ließ Vinnie Jones, heute ein Action-Schauspieler, grüßen: "Wer auch nur einen von uns be­kämpft, bekämpft uns alle. Wir haben eine Le­gende geschaffen, haltet die Legende am Leben." Lance Hardy