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kicker-Reportagereihe "Football Britannia": Teil 1, Swansea City

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Das "Liberty Stadium" bei der Premiere in der Premier League.

Das "Liberty Stadium" bei der Premiere in der Premier League. Stuart Roy Clarke

Wenn walisische Mannschaften englischen Rasen betreten, werden sie allzu häufig mit Schafslauten begrüßt. Dem unfreundlichen Empfang können Spieler wie Fans von Swansea City neuerdings mit stoischer Gelassenheit begegnen. Mögen ihre Gegner auch auf niedrigem Niveau blöken, die "Swans" sind im 20. Jahr der Premier League das erste Team aus Wales, das es auf die höchste Stufe geschafft hat.

Ein Aufstieg mit historischer Dimension. Vier Klubs dieser keltischen Nation gehörten einmal der englischen Football League an. Newport County schaffte es 1980 bis ins Viertelfinale des europäischen Pokalsiegerwettbewerbs, doch acht Jahre später wurde der Klub liquidiert. Wrexham, FA-Cup-Viertelfinalist 1974, 1978 und 1997, verabschiedete sich auf sportlichem Weg aus der vierten Profiliga. Cardiff City und Swansea City blieben zurück und mit ihnen die Rivalität in Südwales, wo die Zäune im Ninian Park und im Vetch Field Ground zu den letzten zählten, die aus britischen Stadien entfernt wurden, weil es in den Derbys immer wieder zu hässlichen Szenen kam.

Trainersteckbrief Rodgers
Rodgers

Rodgers Brendan

Spielersteckbrief Tremmel
Tremmel

Tremmel Gerhard

Swansea City - Vereinsdaten
Swansea City

Gründungsdatum

01.01.1912

mehr Infos
Swansea City - Die letzten Spiele
FC Millwall Millwall (H)
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Wales - ein kleines Land auf der Landkarte des großen Sports

Heute spielen Cardiff, das zuletzt zweimal in Folge erst in den Play-offs den Premier-League-Aufstieg verpasste und 2008 das FA-Cup-Finale erreichte, und Swansea in neuen Arenen. Im für die Rugby-WM 1999 gebauten Millennium Stadium in Cardiff wurden während des Baus des neuen Wembley-Stadions sechs Jahre lang die englischen Pokalendspiele ausgetragen. Das kleine Wales mit seinen knapp drei Millionen Einwohnern blieb somit dank weltweiter TV-Übertragungen auf der Landkarte des großen Sports, auf der die Nationalmannschaft allenfalls für einen Nebenschauplatz taugt. Mit dem ehemaligen Bayern-Stürmer Mark Hughes als Nationaltrainer kam sie im Oktober 2002 einer Sensation nahe, nach dem 2:1-Erfolg über Italien vor 70 000 Zuschauern träumte das Land mit dem roten Drachen in der Nationalflagge von der Teilnahme an der EM 2004 in Portugal. Doch die Waliser scheiterten wieder einmal, trotz der besten Elf seit Jahrzehnten mit Spielern wie Ryan Giggs, Gary Speed, Craig Bellamy oder Simon Davies. Das Erreichen des Viertelfinals bei der WM 1958 in Schweden blieb das herausragende Resultat des walisischen Fußballs, der als 117. der FIFA-Weltrangliste in die Länderspiel-Saison gestartet ist. Kein Wunder, dass ein gewisser Ivor Allchurch, der Star des damaligen Nationalteams aus Swansea, heute vor dem Liberty Stadium als Statue grüßt.

20. August 2011: Wigan gastiert zur Premier-League-Premiere

Dort zog der Swansea City Football Club 2005 ein, dort lief die aktuelle Mannschaft am 20. August 2011 zum Heimspiel gegen Wigan Athletic auf, zum ersten Match in der Geschichte der Premier League jenseits englischen Bodens - mein lieber Schwan! John Toshack war selbstverständlich live dabei. Die walisische Legende führte Swansea Ende der 70er und Anfang der 80er zu drei Aufstiegen in vier Jahren und somit von der vierten in die erste Division. Das war nach seiner Spielerkarriere in Cardiff und Liverpool und vor seinem Trainerjob bei Real Madrid.

Von ganz unten kam Swansea auch diesmal. Den Absturz in die Fünftklassigkeit wendete der Klub 2002/2003 erst am letzten Spieltag ab. Nun folgte der Aufstieg zur Elite durch ein dramatisches 4:2 in den Play-offs gegen Reading mit einem Hattrick von Scott Sinclair (22).

Swansea City: Von Hinterhof-Charme bis Premier-League-Glanz

Wartezeit 28 Jahre: Der Letzte war Latchford

Seit Toshacks Ära, mehr als 28 Jahre, mussten die Fans der Swans auf einen Torerfolg in Englands Top-Liga warten. Am 7. Mai 1983 traf Bob Latchford, ein englischer Nationalspieler, bei der 1:2-Niederlage gegen Manchester United. Jetzt dauerte es bis zum fünften Spieltag und 374 Minuten, ehe das Publikum auf den für die gesamte Saison bereits ausverkauften Plätzen der Heimfans das erste walisische Premier-League-Tor überhaupt bejubeln durfte: Sinclair erzielte beim 3:0 gegen West Bromwich Albion per Elfmeter den Führungstreffer. Es war ein historischer Tag, ein emotionaler dazu. Im Stadion wie in der gesamten Region trauerten die Menschen um vier bei einem Grubenunglück ums Leben gekommene Kumpel.

Eine andere Liga - Swanseas altes Stadion "The Vetch" 1994

Eine andere Liga - Swanseas altes Stadion "The Vetch" 1994. Stuart Roy Clarke

Sinclair, ein Engländer, kehrte am Samstag mit den Schwarz-Weißen nach Chelsea zurück, wo er den Durchbruch als Flügelstürmer unter José Mourinho nicht schaffte. Auch wenn es an der Stamford Bridge eine 1:4-Niederlage setzte, trotz einer Überzahl über weite Strecken der Partie, Swansea City wird auf der Insel zugetraut, das erste Jahr in der Premier League zu überstehen. Der gepflegte Kombinationsfußball, den der Spanier Roberto Martinez einführte, als er das Team 2007 übernahm und den Paulo Sousa fortführte, wurde vom aktuellen Trainer Brendan Rodgers (38) verfeinert. Selbst bei der 0:4-Niederlage gegen Manchester City, dessen Top-Einkauf Sergio Aguero (44 Millionen Euro) fast zehnmal so teuer war wie Stürmer Danny Graham (26), für den Swansea im Sommer die Rekord-Transfersumme von 5,2 Millionen nach Watford überwies, beeindruckte der Aufsteiger mit fast 70 Prozent Ballbesitz.

"Sie spielen guten Fußball", meinte City-Trainer Roberto Mancini. Auch Arsenal-Coach Arsene Wenger lobte nach dem glücklichen 1:0-Erfolg der "Gunners": "Sie sind technisch fast perfekt, stark in der Defensive. Sie werden nicht viele Tore zulassen."

Rodgers: "Wie die Verrückten um den Klassenerhalt kämpfen"

In den ersten drei Heimspielen blieb Swansea ohne Gegentreffer, und Brendan Rodgers kündigte an, dem Stil auf jeden Fall treu zu bleiben: "Wir werden wie die Verrückten um den Klassenerhalt kämpfen, aber dabei von unserer Philosophie ganz bestimmt nicht abrücken." Die jüngsten drei Play-off-Gewinner aus der Championship, Hull City, Burnley und Blackpool, haben alle ihr Premier-League-Heil in der Attacke gesucht. Vergeblich.

"Bei uns ist kein Einzelner so gut wie das Team. Alles ist auf das Kollektiv ausgerichtet, im Spiel mit wie im Spiel ohne Ball", sagt Brendan Rodgers. Gemeinsam stark sollen sie sein - sicher nicht die schlechteste Einstellung, wenn der Empfang mal wieder nicht die feine englische Art ist.

Lance Hardy

Tremmel: "Nicht soviel Neid wie bei uns"

kicker: Swansea in der Premier League, was löst das in Wales aus, Herr Tremmel?

Gerhard Tremmel: Eine unglaubliche Euphorie. Die Waliser an sich sind sehr stolz gegenüber den Engländern, das ist vergleichbar mit dem Verhältnis der Österreicher zu den Deutschen. Dass es nun ein Verein bis in die Premier League geschafft hat, hat hier für einen riesigen Hype gesorgt.

kicker: Ist der Klub konkurrenzfähig?

Tremmel: Swansea wie auch Cardiff spielen ja seit Jahren in England mit, haben mit der walisischen Liga nichts zu tun. Hier gibt es professionelle Strukturen, ein tolles Stadion und eine super Fangemeinschaft. Man weiß um seine Underdog-Rolle, aber meiner Meinung nach muss das gar nicht sein. Es gibt in der Premier League genügend Mannschaften, die nicht besser sind als wir.

kicker: Was zeichnet den Fußball von Swansea aus?

Tremmel: Der Stolz der Menschen spiegelt sich im Spiel wider. Swansea lauert nicht auf Konter, sondern will das Spiel machen. Als wir gegen Manchester City 0:4 verloren, hatten wir 65 Prozent Ballbesitz.

kicker: Was ist anders als in der Bundesliga?

Tremmel: Es gibt nicht so viel Neid wie bei uns, und in den Stadien herrscht ein ganz anderes Feeling. Die Fans pfeifen nie jemanden aus, die pushen einen ständig. Als Per Mertesacker vor zwei Wochen sein erstes Spiel mit Arsenal gegen uns machte, sagte er zu mir: Das ist noch mal eine ganz andere Hausnummer als die Bundesliga.

kicker: Wie schwer fällt es Ihnen, diese Atmosphäre nur von der Bank aus zu erleben?

Tremmel: Es ist natürlich eine Umstellung, auf der Bank zu sitzen. Aber ich bin sicher, dass ich meine Chance noch bekommen werde.

kicker: Wie sind Sie zu Swansea gekommen?

Tremmel: Ich wusste, dass sie einen Torhüter suchen, und ich wollte immer rüber in die Premier League. Als Swansea dann im Sommer in Österreich im Trainingslager war, habe ich gefragt, ob ich ein Probetraining absolvieren darf. Danach wollte mich der Trainer, sagte mir aber auch, dass sie noch einen Torhüter verpflichten werden. Dass das gleich Hollands Nummer zwei sein würde (Michel Vorm, zuvor FC Utrecht, Anm. d. Red.) , habe ich nicht geahnt.

Interview: Oliver Hartmann