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Leicester City - wie konntest du nur?

Zur Entlassung von Meistertrainer Ranieri

Leicester City - wie konntest du nur?

Das Märchen ist aus: Leicester City hat Meistertrainer Claudio Ranieri entlassen.

Das Märchen ist aus: Leicester City hat Meistertrainer Claudio Ranieri entlassen. picture alliance

"Ranieri? Wirklich? Was für eine uninspirierte Entscheidung", twitterte Klublegende Gary Lineker. Er twitterte es im Sommer 2015, als Leicester City Claudio Ranieri als neuen Trainer verpflichtete. Jetzt hätte er es wieder twittern können: als Leicester City Claudio Ranieri rauswarf .

Vor neun Monaten hatte jener Ranieri einen Klub, der 1884 gegründet worden war und seitdem dreimal den Ligapokal gewonnen hatte und nichts weiter, zur ersten Meisterschaft geführt; ein Jahr nach dem Beinahe-Abstieg, zwei Jahre nach dem Aufstieg in die Premier League. Es war die Geschichte eines Kaders voller Außenseiter und Unbekannter, die an jenem 2. Mai 2016 plötzlich das Wohnzimmer von Torjäger Jamie Vardy mit Jubelschreiben füllten. Eine Geschichte, bei der man vom Feeling her einfach ein gutes Gefühl haben musste . Und Ranieri, dieser herrlich unprätentiöse und manchmal seltsame Italiener , war ihr Herausgeber.

Egal also, wie gut die Gründe für die spektakuläre Entlassung am Donnerstagabend waren: Grausam ist sie allemal.

Zwei Probleme sah Ranieri zuletzt: "Tore verhindern und Tore schießen"

Nur wie gut sind die Gründe überhaupt? Leicesters Eigentümer, das machte ihre fast entschuldigende Mitteilung deutlich, wollen einfach nicht absteigen, sondern Teil der lukrativen Premier League bleiben. Und sie haben der Mannschaft unter Ranieri, dem FIFA-Welttrainer 2016 , nicht mehr zugetraut, den einen Punkt zu verteidigen, der Leicester aktuell noch von den Abstiegsplätzen trennt.

Und es stimmt ja: Leicester hat 2017 noch kein Ligator geschossen, flog unter peinlichen Umständen aus dem FA Cup raus, war im Champions-League-Achtelfinalhinspiel beim FC Sevilla dem ansprechenden Ergebnis (1:2) zum Trotz hoffnungslos unterlegen. Natürlich war abzusehen, dass die "Füchse" die vergangene Saison nicht mal annähernd wiederholen, sich vielmehr wieder altbekannten Tabellenbereichen nähern würden. Der Klassenerhalt war das Ziel, genau wie ein Jahr zuvor. Doch so sehr Robert Huth & Co. 2015/16 auch über ihre Verhältnisse gespielt haben mögen - so schlecht wie in den letzten Wochen, so ängstlich, ja sogar lust- und leidenschaftslos hatte man sie auch davor nie gesehen. "Wir haben zwei Probleme", konstatierte Ranieri unlängst gewohnt simpel, "Tore verhindern und Tore schießen."

Ranieri ist auch eine Art Bauernopfer - siehe Mahrez

In England sagt man, was man dort meistens nach Entlassungen sagt: Der Trainer habe "die Umkleidekabine verloren", den Rückhalt seiner Mannschaft also. Ranieri, der schon mit seiner Transferpolitik im Sommer Fehler gemacht hatte , soll sie mit befremdlichen taktischen und personellen Entscheidungen gegen sich aufgebracht haben . Es war immer zu befürchten, dass sich seine warme, spielerfreundliche Art eines Tages gegen ihn wendet, und wer weiß, vielleicht hat der Titel ja auch Ranieri verändert. Trotzdem kommt sein Aus etwas plötzlich - 16 Tage, nachdem die Klubbesitzer ihm ihr "unerschütterliches Vertrauen" ausgesprochen hatten ; und einen Tag nach dem Sevilla-Spiel, das zumindest auf dem Papier Hoffnung aufs Viertelfinale in einem Wettbewerb macht, dessen Hymne in Leicester zuvor nur vernehmen konnte, wer Fernseher oder Konsole besaß.

Ich habe gestern Abend eine Träne verdrückt - für Claudio, für den Fußball und für meinen Klub.

Gary Lineker

Es drängt sich der Verdacht auf, dass Ranieri auch eine Art Bauernopfer ist. Ist es denn wirklich seine Schuld, wenn einer wie Riyad Mahrez, Spieler der Saison 2015/16 und Afrikas Fußballer des Jahres, nur noch gelangweilt über den Rasen schlendert? Oder wenn seine Profis in der Champions-League-Gruppenphase auftreten, als wären sie schon immer dabei, in der Liga aber, als wäre es das erste Mal?

Claudio Ranieri bei der Meisterfeier mit Fuchs, Schmeichel und Ulloa

Vor neun Monaten noch König: Claudio Ranieri bei der Meisterfeier mit Fuchs, Schmeichel und Ulloa. imago

"Ich habe gestern Abend eine Träne verdrückt", meldete sich Lineker nun wieder zu Wort, "für Claudio, für den Fußball und für meinen Klub." Die Entlassung sei "inakzeptabel, unverzeihlich und herzzerreißend traurig". Er, der so geschockt war von Ranieris Verpflichtung, gehört zu der Fraktion, die es für eine Sache des Anstands gehalten hätte, Ranieri die Chance zu geben, in den noch 13 ausstehenden Spielen die Wende zu schaffen. Die sogar vorsichtig fragt: Wäre ein Abstieg denn wirklich so schlimm im Licht der Meistersaison? Hätte er sie nicht vielleicht sogar noch legendärer gemacht, noch außergewöhnlicher? Hätte man Ranieri nicht alt werden lassen müssen in Leicester, so wie er sich das gewünscht hatte ?

Kein Märchen erscheint groß genug, um die Fußballgesetze außer Kraft zu setzen

Dass ausgerechnet Leicester zeigt, worum es im Fußball stattdessen heutzutage geht, tut besonders weh. Kein Märchen scheint groß genug zu sein, um seine abgebrühten Gesetze zumindest vorübergehend mal außer Kraft zu setzen. Schlechte Ergebnisse, Rückendeckung, Entlassung - dieser altbekannte Lauf der Dinge machte nicht einmal vor der größten Sensation der jüngsten Fußballgeschichte Halt. "Das", schrieb José Mourinho bei Instagram, "ist der neue Fußball, Claudio." Leicester City, wie konntest du nur?

Ranieri erzählte einmal, Aiyawatt Srivaddhanaprabha, Sohn und rechte Hand von Klubeigner Vichai Srivaddhanaprabha, habe ihm bei seiner Verpflichtung eine Frage gestellt: "Wenn alles schief geht, würdest du dann auch in der 2. Liga bei uns bleiben?" Und er habe gesagt: "Ja, ich werde bleiben."

Jörn Petersen