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Aufstieg auf Umwegen

Jungstars der EURO: Frankreichs William Gallas

Aufstieg auf Umwegen

Stark am Mann: Chelseas William Gallas setzt sich hier gegen Stuttgarts Imre Szabics durch.

Stark am Mann: Chelseas William Gallas setzt sich hier gegen Stuttgarts Imre Szabics durch. Kicker

Still, leise und eher unscheinbar - in der Equipe tricolore, dem bunten Ensemble der Weltstars, steht William Gallas meist im Hintergrund. Trotz seines sportlichen Erfolgswegs ist er nicht der Typ, der in der Öffentlichkeit nach vorn drängt. Viel eher ist der mittlerweile 26-jährige Gallas der stille Beobachter, der zuverlässig seinen Job erledigt und danach seine Ruhe haben will.

"William ist nicht der Typ, der seine Persönlichkeit öffnet", sagt beispielsweise Pape Diouf, sein Berater, "er beobachtet sehr genau. Wenn er den Eindruck gewinnt, dass er von seinem Gegenüber als Mensch respektiert wird, dann erst entdeckt man, welch vielseitiger Typ hinter dieser Maske steckt."

William Gallas - der Mann mit der Maske. Dass dem so ist, hängt mit der Entwicklung des Innenverteidigers vom FC Chelsea zusammen. Gallas gehörte in der Jugend keineswegs zu den Privilegierten. Im Gegenteil: Geboren und aufgewachsen in Asnières, einer dieser kalten und eher hässlichen Trabantenstädte in der Umgebung von Paris, wurde dem jungen William als Sohn der aus Guadeloupe eingewanderten Eltern nichts geschenkt. Sein Talent als Fußballer war nicht so beeindruckend, dass die Späher - zum Beispiel von Paris St. Germain - auf ihn aufmerksam wurden. Dennoch wollte sich Gallas den großen Traum einer Fußball-Karriere erfüllen.


Stichworte für Gallas: Der Pierre Richard der Equipe triclore

William Gallas in Zahlen


So bewarb er sich 14-jährig in Clairefontaine beim Institut National Français (INF), der Fußball- Schule des französischen Verbandes. Er bestand die Eingangs-Tests und wurde in die hoch angesehene "Kaderschule" aufgenommen. Nur: Die Qualitäten des jungen Gallas, der damals noch als Stürmer spielte, reichten gerade für die zweite Reihe der Supertalente. Einem gewissen Thierry Henry (heute FC Arsenal) oder einem Jérome Rothen (heute AS Monaco) konnte er nicht das Wasser reichen.

In Anbetracht dieser hochkarätigen Konkurrenz ist es kein Wunder, dass ihn der Direktor des INF nach einem Jahr feuern wollte - zu wenig überzeugte ihn das Talent. "Ich spielte damals noch als Stürmer und muss gestehen", weiß Gallas in der Rückschau, "mit eher bescheidenem Erfolg. Aber meine beiden Trainer haben sich für mich stark gemacht, so dass ich in Clairefontaine bleiben durfte."

Die Bedingung allerdings, die die Trainer stellten: Gallas sollte zum Verteidiger umschulen. Eine Forderung, die William Gallas damals nicht unbedingt Recht war, die er aber zähneknirschend hinnahm. "Meine Eltern waren wegen der schwierigen sozialen Situation in die Karibik nach Guadeloupe zurückgegangen und mein Vater hatte mir den Verbleib bei meinem Onkel in Paris nur unter der Prämisse erlaubt, dass ich den Durchbruch als Fußballer schaffe", erinnert sich Gallas heute, "es war für mich keine leichte Entscheidung."

Und er krempelte die Ärmel hoch, biss sich durch. Ansonsten hätte Gallas seinen Eltern folgen müssen. Eine Situation, die den jungen Fußballer geprägt hat. Gallas konnte sich aber der Akzeptanz in der Fußball-Schule von Clairefontaine sicher sein. "Er hat diese schwierige Lage gut weggesteckt", sagt sein Wegbegleiter Thierry Henry, "der eigentlich verschlossen wirkende Gallas gehörte sogar zu den Spaßvögeln. Wenn er erst mal anfing zu reden und zu witzeln, dann hörte es gar nicht mehr auf", erinnert sich der heutige Star der Equipe tricolore.

Am Ende seiner dreijährigen Ausbildung war Gallas zum konterstarken Außenverteidiger umgeschult, allerdings mit Schwächen in der Defensivarbeit, so dass die Profiklubs in Frankreich nicht gerade Schlange standen, um ihn anzuheuern. Monaco klopfte zwar kurz an, aber der 18-jährige Gallas landete bei SM Caen in der Provinz der Normandie, einem Zweitligisten, wo er gerade mal die Hälfte der Spiele absolvieren durfte.

Kaum besser ging es ihm zunächst bei Olympique Marseille. Dort hatte ihn sein Berater Pape Diouf im Sommer 1997 untergebracht. "Es gab kaum Interessenten für William", gibt Diouf offen zu, aber dank seiner guten Verbindungen zum Kultklub von der Côte, wo er im Sommer den Manager-Posten übernimmt, wechselte Gallas für 750 000 Euro. Doch auch unter der Mittelmeer-Sonne von Marseille war das Erklimmen der Karriere-Leiter keineswegs ein Spaziergang. Da Olympique zu viele Profis im Kader hatte, wurde Gallas zum Amateur abgestuft, machte so im ersten Jahr nur drei Spiele.

Dennoch trieb ihn sein sprichwörtlicher Ehrgeiz voran. In der Saison 1998/99 wurde er vor dem deutschen Torhüter Andreas Köpke zum Stammspieler. "Damals war er noch sehr jung. Wenn ich ihn heute bei Chelsea sehe, muss ich sagen, dass er eine sensationelle Entwicklung genommen hat", urteilt Köpke. Schlussendlich etablierte er sich als Innenverteidiger, nach dem der sonst stille Gallas dies öffentlich gefordert hatte. "Das war auch ein Zeichen seines gewachsenen Selbstvertrauens", deutet Berater Diouf heute.

Das war der Durchbruch für Gallas.

Vier Jahre erlebte er in dem Stahlbad des Stade Velodrome, dort wo die fanatischsten Fans in Frankreich einen immensen Druck auf die Profis ausüben, dort wo keine Platzierungen zählen, sondern nur Titel. Dort wo Passion und Leidenschaft der Anhänger zartbesaitete Spieler zu erdrücken scheinen, entwickelte sich der athletische Verteidiger Gallas zum Mann der internationalen Klasse. UEFA- Cup-Endspiel 1999 gegen Parma (0:3), danach die Champions League. "Es war eine tolle Zeit in Marseille, eine Erfahrung, die ich nie missen möchte. Auch wenn wir das Trainingsgelände ab und zu schon mal unter Polizeischutz verlassen mussten", schmunzelt Gallas.

Seit 2001 nun steht der gestählte Gallas beim FC Chelsea in London unter Vertrag. Zehn Millionen Euro zahlten die "Blues" schon vor der Abramovich-Ära. Und im Südwesten Londons entwickelte sich Gallas an der Seite von Marcel Desailly, dem französischen Rekord- Nationalspieler, ebenfalls zum Auswahlspieler in der Equipe tricolore. Am 12. Oktober 2002, unmittelbar nach dem Debakel bei der WM 2002, absolvierte William Gallas, mittlerweile 25-jährig, unter Jacques Santini sein erstes Länderspiel gegen Slowenien. Längst gehört er beim amtierenden Europameister zum Stammpersonal und will nach dem Confed-Cup 2003 endlich was Richtiges gewinnen. "Es wird höchste Zeit, einen großen Titel zu holen. Nur das zählt am Ende einer Karriere", weiß William Gallas. Ob er nach erst 13 Länderspielen für die EURO gesetzt ist, dazu schweigt Santini noch. Doch er schätzt ihn wegen seiner Persönlichkeit. "Er ist keineswegs der schüchterne Typ. Er ist ein toller Kollege und hat immer gute Laune."

Elie Barth/Hardy Hasselbruch