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Schweinsteiger und Götze sollten spielen - trotz Zweifeln

kicker-Kolumne: Wenn ich Bundestrainer wäre

Schweinsteiger und Götze sollten spielen - trotz Zweifeln

Heute gegen Frankreich gemeinsam in der Startelf? Bastian Schweinsteiger und Mario Götze.

Heute gegen Frankreich gemeinsam in der Startelf? Bastian Schweinsteiger und Mario Götze. picture alliance

Aus Marseille berichtet kicker-Chefreporter Karlheinz Wild

Nach den Ausfällen der bisherigen EM-Stammkräfte Mats Hummels, Sami Khedira und Mario Gomez sind vor dem Halbfinale gegen Frankreich im 30 Grad heißen Marseille in allen drei Mannschaftsteilen Personalentscheidungen zu treffen. Zuvor aber gilt es, die Grundformation festzulegen. Dreier- oder Viererkette? 3-4-3 oder 4-3-3 oder 4-2-3-1? Dabei geht es vor allem darum, die starke französische Offensive zu stoppen.

Hinter dem Mittelstürmer Olivier Giroud (3 Tore), der immer wieder lange Bälle ablegt und Räume freiblockt, rücken aus der Tiefe variabel Antoine Griezmann (bisher bester EM-Schütze mit 4 Toren), Dimitri Payet (3) oder Paul Pogba (1) nach, sie müssen in einem Netzwerk mit deutschen Defensivkräften aufgefangen und darin verheddert werden, ob sie nun aus einem 4-2-3-1 oder einem 4-3-3 auftauchen. Zwischen beiden Systemen wechselte Didier Deschamps, der Trainer des Gastgebers, im bisherigen Turnierverlauf. Da muss also ein breiter Schutzwall errichtet werden.

Höwedes verdient jegliches Vertrauen

Das Fundament dafür bildet die Viererkette, die sich den Notwendigkeiten entsprechend am besten verschieben und zuordnen kann und muss. Jerome Boateng und Benedikt Höwedes werden im Zentrum den 1,92 Meter langen, wuchtigen Giroud unter sich je nach Situation aufteilen. Hummels mit seiner Kopfballstärke fehlt da sehr, aber Höwedes hat gegen Italiens Graziano Pelle, der mit seinen 1,94 m Körperlänge ein ähnlicher Typ wie Frankreichs Nummer 9 ist, sehr aufmerksam und effizient Widerstand geleistet: Er verdient jegliches Vertrauen.

Auf den Außen in der Viererabwehr sind Joshua Kimmich und Jonas Hector gesetzt. Kimmich muss sich zu dem über links anstürmenden Payet orientieren und sich da als Verteidiger bewähren. Hector gegenüber steht wohl vor der Auseinandersetzung mit Moussa Sissoko, der dort am ehesten zu erwarten ist, weil er mehr nach hinten läuft als Kingsley Coman oder Anthony Martial. Es ist zwar nicht völlig auszuschließen, dass Deschamps ein 4-3-3 verordnet; an der defensiven Aufgabenstellung würde sich für die deutsche Elf aber nichts Gravierendes ändern, weil Griezmann trotzdem aus seiner (halb)rechten Grundposition umtriebig unterwegs wäre und immer wieder die Richtung nach innen wählen würde, um in Girouds Windschatten aktiv zu werden. Genauso wird sich Payet von (halb)links nach vorne einbringen.

Schweinsteiger: Ist Erfahrung wesentlicher als jugendliche Frische?

Im Herzen des deutschen Mittelfelds ist nach Khediras Verletzung eine Planstelle frei. Ist Bastian Schweinsteiger dafür der richtige Mann? Kann der Routinier nach seiner monatelangen Verletzungspause in der ersten Hälfte des EM-Jahres und einem gut 100 Minuten währenden Einsatz gegen Italien ein zweites Topspiel bewältigen, nach nur 118 Stunden Erholungspause? Der Kapitän hat einen zähen Willen, aber einen fragilen Körper. Mit seiner global geachteten Persönlichkeit strahlt er Autorität aus, aber kann er das Tempo nonstop mitgehen? Ist Erfahrung in einem solchen K.-o.-Vergleich wesentlicher als jugendliche Frische, die ein Julian Weigl oder Emre Can mitbrächten?

Auf diese essentiellen Fragen gibt es keine definitiven Antworten, ein gewisses Risiko birgt Schweinsteigers Nominierung, der unerfahrene Weigl wäre mit Sicherheit ein hilfreicher Assistent und treuer Sicherheitsbeauftragter für den Gestalter Toni Kroos. Oder gar für beide? Also in einem Dreier-Mittelfeld?

In einem 4-3-3 müsste Özil auf den ungeliebten Flügel ausweichen

Es bliebe dann in einem 4-3-3 ein Drei-Mann-Angriff mit Thomas Müller in der mittigen Spitze, Mesut Özil müsste dann - von ihm ungeliebt - über rechts losstürmen und Julian Draxler - gewohnt - über links. Beide ziehen ohnehin oft nach innen und verlassen ihre Stammplätze, um Freiräume für die auf den Seiten heraneilenden Kimmich und Hector zu schaffen. Diese Strategie wird wichtig: Les Bleus haben außen in ihrer Viererkette zwei alternde Akteure, Bacary Sagna (33) rechts und Patrice Evra (35) links. Die ohnehin nicht so stabile französische Abwehr muss also generell und speziell über die Flanken beschäftigt werden. Mit drei Angreifern? Oder mit einer Spitze und drei offensiven Mittelfeldkräften dahinter?

Götze muss diesmal zeigen, dass er besser ist als sein Ruf

Da Müller und Özil nach vorne wie nach hinten auffällig laufstark sind, sich somit aus ihrer Mittelfeldposition in beide Richtungen am besten austoben können, bietet sich das 4-2-3-1 an. Mario Götze, seit dem Gruppenspiel gegen Nordirland aus der Wertung gefallen, muss dann vorne die Bälle halten, sich viel bewegen, in die Lücken stoßen und endlich seine Torchancen nutzen. Bei der Einwechslung im WM-Finale gegen Argentinien hat Bundestrainer Joachim Löw zu Götze gesagt: Zeig' der Welt, dass du besser bist als Messi! Heute Abend muss Götze zeigen, dass er besser ist als sein derzeitiger Ruf.

Das Talent dazu hat er und nun die beste Gelegenheit, alle Kritiker zu widerlegen und für sich zu werben. Bleibt er den Nachweis wieder schuldig, gibt es immer noch - wie auch bei Schweinsteiger - die Möglichkeit zum Austausch. Ein Leroy Sané mit seiner Schnelligkeit wäre, auch wenn er in der Ballverarbeitung noch Defizite verrät, bei sich bietenden Räumen eine spannende und mutige Alternative.

Fazit: 4-2-3-1 mit Schweinsteiger, Götze - und Zweifeln

Die Antworten auf die offenen, kniffligen Fragen lauten also: Im 4-2-3-1 mit Schweinsteiger und Götze. Aber leise Zweifel bleiben. Sie müssen einem virtuellen Bundestrainer gestattet sein, im Gegensatz zu Joachim Löw, der seine Wahl mit Überzeugung vertreten muss, intern wie extern, allerdings mit dem Vorteil der unmittelbaren Trainingseindrücke. Und wer weiß schon, wie es innen drin im wahren Bundestrainer wirklich aussieht? Auch seine Entscheidungen werden erst vom Spielgeschehen bestätigt oder widerlegt.