DFB-Pokal

Hansa-Rostock-Chef Robert Marien : "Die denken von der Tapete bis zur Wand"

Hansa-Chef Marien über die Ereignisse beim Pokalspiel

"Die denken von der Tapete bis zur Wand"

Plädiert für eine "gesamtgesellschaftliche Lösung" des Gewaltproblems: Hansas Vorstandsvorsitzender Robert Marien.

Plädiert für eine "gesamtgesellschaftliche Lösung" des Gewaltproblems: Hansas Vorstandsvorsitzender Robert Marien. imago

Frage: Herr Marien, wie haben Sie die Ereignisse gesehen, wie fällt Ihre Bewertung aus?

Robert Marien: Wir halten bis zur 75. Minute ein grandioses 0:0, unsere Mannschaft kommt wieder etwas mehr in Ballbesitz – und dann ist es 20 bis 50 Vollidioten anscheinend wichtiger, das eigene Wohnzimmer – das Ostseestadion – abzufackeln statt die Mannschaft zu unterstützen. Das zeigt, wie geistig minderbemittelt einige unterwegs sind.

Frage: Welche Handhabe hat man als Verein gegen dieses Problem, das gerade auch in Rostock nicht neu ist?

Marien: Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Wenn man sieht, dass hier über 1700 Polizisten und 300 Ordner im Einsatz waren, da wird natürlich im Bereich der Kontrolle alles getan, was getan werden kann. Die Leute (die Chaoten, Anm. d. Red.) sind unheimlich kreativ, die beschäftigen sich wochenlang damit, nur so was zu machen. Dazu fällt mir nichts mehr ein. Aber das kann man nur gesamtgesellschaftlich lösen und sicher nicht alleine als Drittligist. Man sieht ja auch, dass wir nicht die einzigen sind. Das soll keine Entschuldigung sein, es soll keine Ausrede sein. Aber wenn man das Problem ordentlich betrachten will, gehört das dazu.

Frage: Wie erschreckend ist es für Sie, dass diese Dinge passieren können, obwohl die Partie schon unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen ausgetragen wurde?

Marien: Es zeigt, dass man auch präventiv ansetzen muss, dass es nicht nur mit Kontrollen machbar ist. Wenn man überlegt, dass Sprengstoff-Spürhunde im Einsatz sind, dass HD-Kameras im Einsatz sind, dass wir Eins-zu-Eins-Kontrollen sowohl im Gästebereich als auch auf unserer Ultra-Tribüne durchgeführt haben, dann sieht man, dass man präventiv arbeiten muss. Prävention dauert – ich weiß, das möchte nie jemand hören. Ein Problem ist auch, dass der Teil der Leute, die man erreicht, irgendwann da rauswächst und andere nachkommen. Man sieht auch bei den Fällen beim G-20-Gipfel, wo es grundlosen Vandalismus in Hamburg gab, dass es ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Darauf müssen wir alle Antworten finden – und sicher nicht nur der Drittligist Hansa Rostock.

Frage: Ist es noch möglich, diese Leute zu erreichen und zu beeinflussen?

Marien: Aufgeben steht nicht zur Debatte. Man muss es immer wieder versuchen. Wir haben es mit einem offenen Brief versucht, wir versuchen es durch einen Dialog. Ich glaube, den darf man auch niemals aufgeben. Das ist immer noch die beste Handhabe, um überhaupt was zu erreichen. Aber es fällt natürlich nach solchen Ereignissen schwer, den Dialog wieder nach vorne zu schieben. Das kann ich verstehen, das geht mir auch so, aber er muss wieder anstehen, denn dadurch erreichen wir am meisten.

Frage: Gab es für den Verein während des Spiels Möglichkeiten, einzugreifen oder in anderer Weise auf die Unruhestifter einzuwirken, beispielsweise durch die Fanbetreuer?

Marien: Wir haben uns mit dem Einsatzführer der Polizei, mit unserem Veranstaltungsleiter und dem Sicherheitsbeauftragten über Maßnahmen unterhalten. Man muss aufpassen, was Öl ins Feuer gießt. Man kann eine Stadiondurchsage machen. Aber bringt die was oder ist es einfach nur ein Sturm im Wasserglas? Wir haben uns dazu entscheiden, uns darauf vorzubereiten, die Brände zu löschen. Das war für uns viel wichtiger. Die Brandmeister müssen natürlich abgesichert werden durch Polizeikräfte. Das stand für uns im Vordergrund.

Frage: Wie wollen Sie nun auf die Ereignisse beim Pokalspiel reagieren?

Marien: Bevor man jetzt irgendwelche Parolen vor den Mikros raushaut, sollte man sich zunächst mit dem Ordnungsdienst und mit der Polizei zusammensetzen und klären, wie das Ding (das Hertha-Banner, Anm. d. Red.) reingekommen ist, was wir da vielleicht auch verkehrt gemacht haben. Der Frage müssen wir uns stellen, ganz klar. Diese Dinge sollten zunächst im Vordergrund stehen – und nicht hier jetzt Pseudo-Strafen raushauen. Wir müssen uns mit dem DFB auseinandersetzen, es wird vor der Sportgerichtsbarkeit landen, das wird jetzt erstmal im Vordergrund stehen.

Frage: Das Stadiongelände soll schon zwei Tage vor dem Spiel bewacht worden sein. Wie kamen diese Gegenstände dennoch ins Stadion?

Marien: Ob das am Tag des Spiels oder vor einer Woche reingebracht wurde, kann ich noch nicht sagen. Es gab am Tag des Spiels mehrfache Durchsuchungen im Stadion. Es war ja im Vorfeld bekannt, dass ein Banner geklaut wurde. Entschuldigen Sie, dass ich kurz nach dem Spiel die Antwort noch nicht parat habe. Wir müssen es natürlich aufarbeiten, wie das Banner ins Stadion gekommen ist.

Hansa-Ultras stecken ein Hertha-Banner in Brand.

Hansa-Ultras stecken ein Hertha-Banner in Brand. Das Spiel stand vor dem Abbruch. imago

Frage: Wie bewerten Sie die Reaktion des Großteils der übrigen Zuschauer im Stadion auf die Vorkommnisse im Block der Hansa-Ultras?

Marien: Wenn 20.000 Zuschauer rufen, "Und ihr wollt Hansa Rostock sein", dann ist das positiv. Aber negativ ist, dass 20 bis 50 Chaoten ein Fußballspiel kaputtmachen können. So einfach muss man es sagen.

Frage: Wie nah war man an einem Spielabbruch?

Marien: Es war schon nah dran. Als der Schiedsrichter reingegangen ist, hat er deutlich gemacht, dass er erst wieder rauskommt, wenn der Brand gelöscht ist. Ich hatte ja gesagt, dass Wohnzimmer ist leicht in Brand geraten, da sind auch Sitzschalen in Brand geraten. Der Schiedsrichter hat zu verstehen gegeben, dass bei noch einer derartigen Aktion das Spiel abgebrochen wird. Als nach der Wiederaufnahme des Spiels noch drei, vier Böller als Reaktion von den Berlinern nachgezündet wurden, hat er es laufen lassen. Da können wir dem Schiedsrichter dankbar sein.

Frage: Wie bewerten Sie das Verhalten der Berliner Fans, die Urheber der Ausschreitungen waren und Raketen in den Block der Hansa-Ultras geschossen haben?

Marien: Wollen wir uns jetzt darüber streiten, wer der größere Vollidiot war? Die Berliner, die Raketen geschossen haben, oder die Jungs, die unser Wohnzimmer angezündet haben? Es tut mir leid, aber mir fällt dazu nichts mehr ein. Auch bei den Berlinern gibt es 20 bis 50 Vollchaoten, die von der Tapete bis zur Wand denken. Es tut mir leid, dass ich keine andere Wortwahl finden kann. Das möchte ich aber auch an diesem Abend nicht.

Aufgezeichnet in der Mixed Zone von Jan Reinold