Champions League

Illgner: "Auch Real ist auf einer Mission"

Der Champions-League-Sieger im großen kicker-Interview

Illgner: "Auch Real ist auf einer Mission"

1998 mit dem Henkelpott: Bodo Illgner, damals Torwart von Real Madrid.

1998 mit dem Henkelpott: Bodo Illgner, damals Torwart von Real Madrid. picture alliance

kicker: Herr Illgner, muss Zinedine Zidane um seinen Job fürchten, falls er das Champions-League-Finale verlieren sollte, weil es dann eine titellose Saison wäre?
Bodo Illgner: Prinzipiell passiert bei Real Madrid sicher schon einiges, da sind die Trainer nie auf der sicheren Seite. Aber ich glaube, dass das bei Zinedine Zidane anders sein würde. Denn er ist die Gallionsfigur des Klubs, nach Alfredo di Stefano, die der Präsident Florentino Perez aufgebaut hat. Daran würde auch ein verlorenes Endspiel nichts ändern, denn seit er für Rafa Benitez übernommen hat, ist die Stimmung in der Mannschaft besser geworden. Zidane dürfte bleiben.

Die Spieler sind gut, aber als Mannschaft, als Kollektiv sind sie noch stärker.

Bodo Illgner über Atletico Madrid
Champions League - Finale in Mailand
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Atletico Madrid - Vereinsdaten
Atletico Madrid

Gründungsdatum

26.04.1903

Vereinsfarben

Rot-Weiß

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Real Madrid - Vereinsdaten
Real Madrid

Gründungsdatum

06.03.1902

Vereinsfarben

Weiß-Blau

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kicker: Bayern hat die Halbfinal-Duelle gegen Atletico über drei Halbzeiten dominiert. Ist Atleticos Ruf besser als die Mannschaft?
Illgner: Atletico Madrid ist sicher keine spielerisch tolle Fußballmannschaft. Aber Fußball ist eben nicht nur "Fußball spielen", sondern auch Punkte sammeln, verteidigen, kämpfen. Und in all diesen Punkten ist Atletico natürlich absolut spitze. Christoph Daum hat mal gesagt, die Summe der Mannschaftsleistung ist mehr als die Leistung der Summe der einzelnen Spieler. Und das trifft auf Atletico zu. Die Spieler sind gut, aber als Mannschaft, als Kollektiv sind sie noch stärker. Sie spielen, was verlangt ist: Mal pressen sie vorne, mal stehen sie sehr tief. In Spanien sagt man: Was der Körper verlangt, wird gemacht. In dem Fall eben: was das Spiel verlangt. Von daher ist Atletico für fast jede andere Mannschaft ein unbequemer Gegner, weil sie sich sehr gut auf ihren Kontrahenten einstellen können. Gegen Barca zum Beispiel haben sie es sehr, sehr offensiv gemacht. Sie haben Barca früh im Spielaufbau gestört, gegen andere haben sie sich hinten reingestellt und sehr, sehr gut verteidigt.

Für beide Mannschaften liegt in der Konterstärke des Gegners die Gefahr.

kicker: Was wird entscheidend sein am Samstag, worin liegt jeweils die Gefahr für die Finalisten?
Illgner: Für den Fall, dass sich das Spiel ganz normal entwickelt, es also weder ein frühes Tor noch einen frühen Platzverweis zu sehen gibt, liegt für beide Mannschaften in der Konterstärke des Gegners die Gefahr. Da wird es entscheidend sein, wie die Räume zugestellt werden, wie viele Bälle wo verloren werden, um erst gar keine Gelegenheiten zu Gegenstößen anzubieten. Daher erwarte ich auch - leider - kein tolles Spiel. Aber es wird ein taktisch geprägtes Spiel sein, mit viel Ballbesitz und wenig Risiko.

kicker: Also wird eher die feine Klinge von Kroos und Modric gefragt sein als die rustikalere Spielweise von Atletico.
Illgner: Genau. Denn da wird gefragt sein, den Ball zu halten, um dann die Lücken zu finden und den entscheidenden Pass anzubringen gegen dicht gestaffelte Defensivreihen. Schon das Mittelfeld Atleticos ist ja quasi ein Spinnennetz. Übrigens ein Vorteil Atleticos, da sie gegen den Ball viele Spieler ins Mittelfeld ziehen. Zum Beispiel auch Antoine Griezmann aus vorderster Reihe. Das wird schwierig für Real.

kicker: Wie kann Atletico "CR7" bremsen?
Illgner: Indem sie ihn doppelt im Auge behalten und auch bewachen. Juanfran wird meistens mit ihm zu tun haben. Und dann werden sicher auch die Innenverteidiger dazukommen. Godin, Savic, der eher gehandelt wird als der junge Gimenez.

Bodo Illgner

Wurde 1992 mit der deutschen Nationalmannschaft Vize-Europameister: Bodo Illgner. Getty Images

kicker: Alle sechs Titel, dieses Finale inklusive, in CL und EL gehen nach Spanien seit 2014. Warum? Sevillas Coach Emery schreibt es der besonderen Vorliebe spanischer Klubs für K.-o.-Wettbewerbe zu. Gehen Sie da mit?
Illgner: Die Spanier haben ein unglaubliches Selbstvertrauen gewonnen in den letzten zehn Jahren, ausgehend vom EM-Titel 2008. Es waren immer gute Fußballer, die sind dann aber auch als Einheit zusammengewachsen. Über die Nationalmannschaft ging es in die U-Teams, wo sich die Spieler von Real und Barca frühzeitig kennen- und schätzengelernt haben. Und das hat sich dann auch in die Vereine übertragen. Als ich bei Real war, herrschte immer großer Respekt vor den anderen Mannschaften. Den kannten wir als Deutsche gar nicht so, weil wir immer die Selbstverständlichkeit des Gewinnens in uns trugen. Und genau diese Mentalität hat sich mehr und mehr in Spanien durchgesetzt. Natürlich legen die Spanier auch großen Wert auf die europäischen Wettbewerbe, gerade auf die Europa League, die ja in manchen Ländern wie England oder Italien doch vernachlässigt wird. Besonders Sevilla hat sich darauf spezialisiert, denn ihnen ist klar, dass sie in der Champions League gegen viele große Mannschaften nicht die herausragende Rolle spielen können. Ich denke, es ist eher die Wichtigkeit der Wettbewerbe als eine konkrete Vorliebe, die mit ausschlaggebend für die zahlreichen Titelgewinne ist.

...und er ist wieder Zuhause.

Bodo Illgner auf die Frage, warum Fernando Torres bei Atletico funktioniert

kicker: Was fehlt Bayern im Vergleich zu den Spaniern, wenn man doch eigentlich den besten Kader in der Breite aller Teams hat?
Illgner: Tja, was fehlt? Sie haben eine tolle Mannschaft, tolle Einzelspieler, einen tollen Trainer. Der Fußball, der gespielt wurde, war ebenfalls prima. Manchmal fehlt auch das Quäntchen Glück. Diese Frage stellen sich auch andere große Vereine. Verletzungen tun dann manchmal ihr Übriges.

kicker: Warum funktioniert Fernando Torres, bei Chelsea enttäuschend, nach mehreren Monaten ohne Tor zuletzt wieder bei Atletico?
Illgner: Er funktioniert jetzt, weil er jetzt die richtige Fitness hat, die er für das, vor allem in dieser Hinsicht, enorm anspruchsvolle Spiel Atleticos braucht. Und er ist wieder Zuhause. Dieses Gefühl, dieses Selbstvertrauen, plus das Physische sind die ausschlaggebenden Punkte für seine Leistungssteigerung in den vergangenen Monaten.

Bodo Illgner, 2015

Bodo Illgner in Aktion während eines Charity-Freundschaftsspiels am 28.08.2015. picture alliance

kicker: Ist mit der Decima der ganz große Druck abgefallen bei Real oder ist er nun erst recht da, weil ausgerechnet Barca das Double holte und es schlimmer wäre, gegen den Stadtrivalen zu verlieren?
Illgner: Ich denke, der Druck bei Real war und ist immer so groß, so extrem, dass er selbst mit der Decima nicht weg ist. Gerade im Europacup wird sich das aufgrund der Historie niemals ändern. Diese früh gewonnenen ersten sechs Titel, dann der lang ersehnte siebte, mittlerweile sind wir bei zehn - all das verpflichtet. Diese Titel gehören zu Real wie der Dom zu Köln. So war es, als ich zu Real ging. 1996 war man nicht mal im UEFA-Cup vertreten, sprach aber schon vom Europacup als Ziel, das musste dann auf zwei Jahre angelegt sein. Und so kam es ja dann auch, 1998.

Ich sehe eher bei Real den leichten Vorteil, zumal man mit einem Sieg am Samstag die bisher titellose Saison retten könnte.

kicker: Marcel Reif meinte neulich im kicker, Atletico werde gewinnen, weil es auf einer Mission sei seit dem verlorenen Finale 2014, ähnlich wie Bayern zwischen 1999 und 2001. Sehen Sie das auch so?
Illgner: Stimmt, ja. Aber: Real ist ebenso auf einer Mission. Es ist eine Obsession, diesen Titel erneut zu gewinnen, zum elften Mal dann. Von daher glaube ich nicht, dass es ein Vorteil für Atletico wird. Real hat oft bewiesen, dass es über sich hinauswachsen kann in Finals. Ich sehe eher bei Real den leichten Vorteil, zumal man mit einem Sieg am Samstag die bisher titellose Saison retten könnte.

kicker: Ihr Tipp?
Illgner: Es wird ein langweiliges Spiel, das lange 0:0 stehen wird. Vielleicht geht es sogar in die Verlängerung. Aber mein "weißes Herz" lässt natürlich keinen anderen Tipp zu, als den, dass Real als Sieger aus dem Match hervorgehen wird. Wie auch immer, notfalls im Elfmeterschießen.

Interview: Thomas Böker

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