Bundesliga

Tausendsassa und Torwartlegende Sepp Maier wird 75

Keeper krönt Karriere mit dem Gewinn der Weltmeisterschaft

Tausendsassa und Torwartlegende Sepp Maier wird 75

Ein Kuss für die Trophäe: Sepp Maier und Franz Beckenbauer mit dem WM-Pokal.

Ein Kuss für die Trophäe: Sepp Maier und Franz Beckenbauer mit dem WM-Pokal. imago

Die Welt des früheren Torwarts Sepp Maier ist voller Überraschungen. Und wer sich in die Nähe des Weltmeisters begibt, der tut das natürlich gerne, denn schließlich ist der Mann als Sportler weltbekannt. Zudem genießt er den Ruf eines Alleinunterhalters. Und deshalb sollte man auf alles gefasst sein. Auf ernsthafte Analysen des Fußballspiels, auf spontane Sprüche, auf einige wunderbar erzählte Geschichten, die er selbst erlebt hat, und zuweilen sogar auf philosophische Hinterhältigkeiten. "Eigentlich hab ich von Fußball keine Ahnung", sagt er zum Beispiel zu Beginn der 90er bei einer Reportage des kicker an der Säbener Straße, als er gerade das Torwarttraining mit Raimond Aumann und Sven Scheuer beendet hat und in seinen VW-Bus einsteigt. "Denn ich bin ja Torwart."

Spielersteckbrief J. Maier
J. Maier

Maier Josef

Nicht alles daran ist Spaß. Schließlich ist dieser Maier kein Herdentier, sondern eher ein Einzelwesen, ein Torhüter halt. Die Fotos aus seiner Vergangenheit zeigen einen Menschen, der sich auf Fußball nicht beschränken mag. Es gibt keinen zweiten Spieler in der Bundesliga- Geschichte, der vergleichbares Material von sich bieten kann. Welcher Fußballprofi zeigt sich schon als Schlagzeuger, Clown, Filmemacher, Kellner, Popstar oder Zauberer? Böse Zungen behaupten, der Sepp, Seppe oder Seppi lässt sich nur so abbilden, weil er das Showgeschäft, das in den 70ern immer mehr um sich greift, schneller begriffen hat als andere. Kann schon sein, dass er vor Fotografen nur selten weggelaufen ist, aber: Das meiste davon hat er tatsächlich praktiziert.

Filmaufnahmen bei Turnieren

Sepp Maier an der Kamera.

Sepp Maier an der Kamera. imago

Ein Hobby ist zum Beispiel das Filmen. Maier nimmt als Spieler oder Torwarttrainer an acht (!) Weltmeisterschaften teil, da kommt selbst sein Freund Franz nicht mit. Und schon früh ist seine eigene Kamera dabei, er macht bei Turnieren Aufnahmen, selbst in der Kabine dreht er. Die Filme werden gezeigt, zum Beispiel in Berlin beim Fußballfilmfestival "11mm". Aber auch im Fernsehen. "Das Leben ist doch schön", sagt der Sepp-Dampf in allen Gassen.

Und es will voll ausgekostet werden. In sein Torwarttrikot hat er sich nie verkrochen, gerade im Stadion nicht. Es ist doch so: Wenn Zuschauer kommen und auch noch Eintritt zahlen, dann fühlt sich der geborene Volksschauspieler Maier sofort angesprochen, er kann gar nicht anders. Wärmt sich der Nationaltorwart vor den Auswärtsspielen auf, gleicht das einem Schauspiel, dann erinnert das irgendwie an Cirkus Roncalli.

Tausendsassa Maier

Maier begrüßt sein Publikum gerne wie ein Soldat, mit der ausgestreckten Hand an der Stirn, nur dass er dabei auf einem Ball steht. Die Zuschauer sind von dieser Urkomik schnell begeistert, lachen, jubeln, er hat sie zu sich rübergezogen. Keiner ist dem Sepp böse, wenn er im Spiel danach die Bälle fängt, die fanatische Gegnerschaft ist jetzt aufgebrochen, sie mögen ihn: "Da, schau, der Sepp!" Maiers Spielereien auch abseits des Rasens sind speziell, allein, ein reiner Witzbold will er nicht sein, und er ist es auch nie gewesen; Kollegen, mit denen er spielt, berichten schließlich auch von seinen Wutausbrüchen, das Granteln soll er bestens beherrschen. Er selbst behauptet von sich, er sei halt ein Tausendsassa. Das ist ein schönes, aber seltsames Wort, und es bedeutet: vielseitig begabter Mensch. Fast könnte man glauben, der große Fußball war für ihn nur eine Art Einstieg in die Schauspielerei, von der er schon als Kind geträumt hat. Mit der Besonderheit, dass seine wichtigste Bühne das Stadion ist. Und dass bei ihm nicht ein paar Hundert Platz nehmen, sondern Abertausende, ja, vor den Fernsehgeräten Millionen.

Die Krönung: 1974 wird Sepp Maier Weltmeister.

Die Krönung: 1974 wird Sepp Maier Weltmeister. imago

Nicht jeder mag diesen Sepp Maier, einigen geht er regelrecht auf die Nerven mit seinen Späßen, Sprüchen und Clownerien. Doch das sind die wenigsten. Obwohl? Da gibt es zum Beispiel diesen altgedienten Physiotherapeuten der Nationalmannschaft, Adolf Katzenmaier, dem kurz vor der WM 1990 übel mitgespielt wird, sodass er während des Turniers kein einziges Wort mehr mit dem Torwarttrainer spricht. Maier hatte urplötzlich die Idee, ein knuddliges und lebendiges Tierchen in die Physio-Tasche zu schmuggeln. Im Trainingslager am Kalterer See fragt der große Lausbub Maier deshalb den Hotelier, ob er nicht einen Hasen besorgen könne. Was der falsch versteht: "Wieso, Sepp, ihr seid doch erst fünf Tage da?" Doch Maier denkt nicht an eine Frau, sondern an einen Streich. Kurzum: Irgendwann befindet sich das putzige Schlappohr dort, wo es nicht sein wollte, umgeben von Salben, Eiswürfeln und Binden.

"Karl Valentin des Fußballs"

Andy Brehme, der spätere Schütze des WM-Siegtores gegen Argentinien, wird eingeweiht, simuliert während des Trainings lautstark eine Verletzung. Der Physio stürmt sogleich los, öffnet die Tasche - und der Hase hoppelt heraus. Alles lacht, nur Katzenmaier nicht. War wohl das falsche Tier... Früh schon wird der Keeper der Bayern als "Karl Valentin des Fußballs" bezeichnet. Und der junge Sepp spielt anfangs diese Rolle beherzt mit, er sieht in jungen Jahren ja auch ein wenig aus wie die hagere Kabarettisten- Legende aus München, die 1948 verstarb. So steht Maier eines Tages mit Schlagerstar Peter Kraus auf der Bühne, verkleidet als Valentin, mit schwarzer Melone auf dem Kopf. Irgendwann, so der Sepp, habe er sich mit dem geistreichen Komiker näher beschäftigt und keinen Gefallen mehr an ihm gefunden, "er war cholerisch, boshaft, als Mensch nicht mein Fall". Dabei ist das Hintersinnige schon auch Maiers Metier. "Alle meine Gegentore", sagt er zum Beispiel, "waren unhaltbar. Denn sonst hätte ich sie ja gehalten..."

Privat sehnt er sich nach Ruhe

Sepp Maier während eines Zaubertricks.

Sepp Maier während eines Zaubertricks. imago

Der Sepp spielte nicht nur beim FC Bayern, er liebt das Bayerische durch und durch. Sein Deutsch-Stichelhaar, der auf den kuriosen Namen "Batzenhofer" hörte und zuweilen grimmig dreinblickte, lebt nicht mehr. Derzeit wohnt das Ehepaar Maier ohne Hund, das soll sich aber ändern, wenn die Reisen in alle Welt im Alter weniger werden. Dann soll ein Dackel in das schöne Reiheneckhaus einziehen. Dort, in Hohenlinden, ist die Welt doch sehr traditionell. Wer noch nie Wollwürste probiert hat, kann sie im Gasthof zur Post für 6,50 Euro testen. Sie sehen aus wie Weißwürste, sind aber keine, sollen aber trotzdem schmecken. Doch Sepp Maier ist kein Wirtshausgänger. Der Mann, der 50 Jahre in der Öffentlichkeit stand, meidet sie auch. Privat sehnt er sich nach Ruhe, das Oktoberfest in München ist ihm ein Gräuel. Wenn er auf seiner Terrasse sitzt und Kaffee trinkt, ist er ein Mensch wie du und ich: "Wir Bayern", sagt er, "waren stets einfache Leute, und wir sind es bis heute."

Vom Fußball so ziemlich verabschiedet

Als er mit 35 seine Tätigkeit im Tor nach einem Autounfall einstellen muss, ist er fassungslos. Gerne hätte er noch länger gespielt, vielleicht so lange wie sein Vorbild, die 1990 verstorbene russische Torwartlegende Lev Yashin, der erst mit 41 seine aktive Zeit beendet. Oder wie Dino Zoff, der mit 40 noch Weltmeister wird, 1982 in Spanien. Der große Italiener ist zwei Jahre älter als Maier, hat aber am gleichen Tag Geburtstag, am 28. Februar, ist also wie der Münchner vom Sternzeichen Fisch. Der große Sepp kommt um 19.37 Uhr zur Welt. "Das ist der Grund", betont er, "warum ich ein Nachtmensch geworden bin." Auch vom Rummel in den Stadien hält er sich fern. Heute stehen ja andere auf der Bühne, und er ist kein Gucker, sondern ein Macher. Vom Fußball hat er sich ziemlich verabschiedet, nach fast 50 Jahren im Profizirkus mehr als verständlich.

Die "Katze von Anzing": Sepp Maier posiert auf dem Tennisplatz.

Die "Katze von Anzing": Sepp Maier posiert auf dem Tennisplatz. imago

Paraden und Pokale waren ein halbes Jahrhundert sein Leben, eigenwillig war er dabei immer. Er liebte knallhart aufgepumpte Bälle, seine Trikots ließ er sich eigens anfertigen, selbst beim WM-Finale 1974 ziert nicht mal der DFB-Adler sein hellblaues Torwarttrikot. Große Organisationen sind ihm irgendwie suspekt. Sepp Maier geht immer schon einen eigenen Weg, so fühlt er sich wohl. In der Kindheit ist er ein begabter Turner, dann Fußballer, dann Tennisspieler mit eigener Anlage, bis heute Golfspieler. Das alles betreibt er mit Ehrgeiz. Was nur wenige wissen: Als Jungsenior wird er mit dem TC Hasenbergl viermal Deutscher Meister - im Tennis.

"Torwart des Jahrhunderts"

Vor fast zehn Jahren ging die berühmte Katze von Anzing 48 Tage lang auf Tournee. Seinen 65. Geburtstag erlebt er dabei mit Fernsehstar Florian Silbereisen im "Überraschungsfest der Volksmusik". Dabei singt er mit Wencke Myhre den Hit "Er steht im Tor", und als Hobby-Zauberer lässt er Frauen und - kein Zufall - eine Ente verschwinden. Die Legende, die eine ganze Torwart-Generation in vielen Ländern beeindruckt hat, wird in Deutschland zum "Torwart des Jahrhunderts" gewählt. Die Liebe der Deutschen zu ihren Torhütern lebt ja immer noch, die Männer zwischen den Pfosten stehen für Verlässlichkeit - wie einst VW. Das ist immer noch so, trotz allem. Auch auf Maier kann sich jeder verlassen, wenn er von diesem überzeugt ist. Und wenn es für ihn selbst mal ernst wurde, hat ihm sein Humor geholfen. Der Sepp weiß: Einen besseren wird man kaum finden können als diesen speziellen Freund, tief innen drin.

Günter Wiese

Sepp Maier: Die Karriere der Torwartlegende