Bundesliga

"Für Dortmund zählt nicht der Titel"

FCB - BVB: Michael Rummenigge im großen kicker-Interview

"Für Dortmund zählt nicht der Titel"

Freut sich auf das Spitzenspiel: Michael Rummenigge wünscht sich ein 1:1.

Freut sich auf das Spitzenspiel: Michael Rummenigge wünscht sich ein 1:1. imago

kicker: Herr Rummenigge, Bayern führt mit vier Punkten vor Dortmund die Tabelle an. Wäre ein Sieg der Münchner bereits eine Vorentscheidung im Titelrennen oder nur ein erster Wegweiser?

Rummenigge: Es ist erst der achte Spieltag. Bisher verlor keines der beiden Teams. Schalke und Wolfsburg sind in diesem Jahr nicht die großen Konkurrenten. Der BVB aber hat vier Punkte verschenkt - in Hoffenheim und gegen Darmstadt -, das wäre den Bayern nicht passiert. Sie sind einen Tick weiter.

kicker: Wie meinen Sie das?

Rummenigge: Mich freut, dass der FCB so gut gestartet ist, schließlich hatten sie am Anfang noch nicht in ihren Rhythmus gefunden und gegen Wolfsburg im Supercup verloren. Die Saison ist lang, aber aktuell spielen sie sehr souverän. Um zurückzukommen zur vorherigen Frage: Gewinnt Bayern am Sonntag, könnte eine Vorentscheidung fallen, dann wären es sieben Punkte.

kicker: Trotz Brisanz, bisher flogen keine Giftpfeile - nicht von Ihrem Bruder, nicht von Dortmunder Seite.

Rummenigge: Das finde ich ehrlich gesagt auch gut so. Die Parteien haben sich angenähert. Kalle ist vergangene Woche 60 geworden und damit reifer, weiser und ruhiger (lacht). Er tut sich den Stress nicht mehr an. Und Tuchel ist nicht der Medien-Mensch wie Jürgen Klopp. Zudem denke ich, dass die Bayern über die Dortmunder Leistungen erfreut sind. Deutschland braucht eine zweite Spitzenmannschaft.

Zagreb brauchte wahrscheinlich einen Kompass, um aus der Arena zu finden.

Michael Rummenigge über das 5:0 der Bayern in der Champions League

kicker: Was für ein Spiel erwarten Sie?

Rummenigge: Beide Teams respektieren sich. Der FC Bayern wird wie gewohnt mehr Ballbesitz haben, und die Borussen sind gut beraten, wenn sie nicht zu weit vorne angreifen und auf Konter warten. Es treffen die beiden besten Mannschaften Deutschlands aufeinander, ein absolutes Spitzenspiel. Ich freue mich darauf.

kicker: Die Münchner haben zwei Tage mehr zur Regeneration. Ein Vorteil?

Rummenigge: Ein marginaler Vorteil. Viel anstrengender als das Spiel ist das Reisen. Während Bayern zu Hause gegen Zagreb ein Vorgeplänkel hatte - die brauchten wahrscheinlich einen Kompass, um aus der Arena zu finden -, musste Dortmund nach Griechenland.

Pep Guardiola und Thomas Tuchel

Das Taktik-Duell: Thomas Tuchel trifft am Sonntag zum ersten Mal als BVB-Coach auf Bayerns Trainer Pep Guardiola. imago

kicker: Es kommt auch zum Duell zweier von Taktik besessener Trainer, zwischen Pep Guardiola und Thomas Tuchel. Was hat sich unter dem neuen BVB-Coach gegenüber dem vergangenen Jahr unter Jürgen Klopp geändert?

Rummenigge: Zum einen fehlte vielen Spielern in der abgelaufenen Saison die Form. Zum anderen nimmt Tuchel jeden Spieler mit. Henrikh Mkhitaryan lief in den vergangenen beiden Jahren wie Falschgeld rum und trumpft jetzt riesig auf. Außerdem spielt das Team jetzt cleverer.

kicker: Inwiefern?

Rummenigge: Ein gutes Beispiel ist, wenn man einen Blick auf die Laufleistung wirft. Sie rennen nicht mehr nur mit einhundert Prozent an; sie warten auf Schnittstellen - das ist taktisch insgesamt klüger. Im vergangenen Jahr spulte das Team rund 118 Kilometer pro Partie ab, in diesem Jahr sind es nur noch rund 111.

Bayern verfügt über 18 Top-Spieler - man kann nicht jeden dieser Einzelkönner ausschalten.

Michael Rummenigge über die Qualität des Bayern-Kaders

kicker: Wie können Tuchel und seine Mannschaft den FC Bayern ärgern?

Rummenigge: Wichtig wird eine kompakte Abwehrleistung sein - ähnlich wie es Wolfsburg in der ersten Hälfte spielte. Bayern verfügt über 18 Top-Spieler, man kann nicht jeden dieser Einzelkönner ausschalten - da muss Dortmund im Verbund verteidigen.

kicker: Ebenfalls treffen sich die beiden aktuellen Top-Torjäger Robert Lewandowski und Pierre-Emerick Aubameyang.

Rummenigge: Oh ja. Sie sind völlig unterschiedliche Spieler. Lewandowski hat sein Spiel in München umgestellt und findet sich immer besser zurecht. Damals in Dortmund brauchte er auch ein Jahr, er war nur die Nummer zwei hinter Lucas Barrios. Und Aubameyang: Auch er hat sich weiterentwickelt. Er lebt zwar weiterhin von seiner Schnelligkeit, zeigt sich aber immer mehr als Strafraumstürmer - wie zuletzt gegen Darmstadt.

Michael Rummenigge als aktiver Profi

Trikottausch: Michael Rummenigge spielte vor seinem Wechsel 1988 zu Dortmund (links) auch für die Bayern. imago

kicker: Wer begeistert Sie noch?

Rummenigge: Beim BVB vor allem Julian Weigl. Wie er das Spiel auf der Sechs als 20-Jähriger bereits versteht, ist schlau. Ich bin gespannt, wie es ihm als altem Sechziger in der Allianz-Arena ergeht. Und bei Bayern: natürlich Douglas Costa. Man kann nur den Hut vor demjenigen ziehen, der ihn gescoutet und verpflichtet hat.

kicker: Sie wirken von beiden Klubs sehr angetan. Hand aufs Herz - wem drücken Sie am Sonntag die Daumen?

Rummenigge: Wir, mein Bruder und ich, sind waschechte Westfalen. Am besten wäre ein 1:1, aber vor allem will ich ein gutes Spiel sehen. Dortmund geht als leichter Außenseiter in die Partie. In München zu gewinnen ist schwer. Sie müssen das Spiel lange offenhalten - ein Remis wäre doch gut ...

kicker: ... damit bliebe es bei vier Punkten Differenz ...

Rummenigge: ... für Dortmund zählt in diesem Jahr nicht der Titel, sondern die Champions League - da muss der Klub wieder hin. Wir in dieser Region wollen wieder die großen Vereine Europas sehen - Manchester, Madrid, Barcelona.

Falls ich geblieben wäre - Uli Hoeneß hatte mir bereits einen Platz für die Spiele reserviert: Block 17, Reihe 12, Platz 9 (lacht)

Michael Rummenigge über den Grund seines Wechsels

kicker: Sie selbst wählten, anders als Götze und Lewandowski, den Weg von München nach Dortmund. Warum?

Rummenigge: Der Grund war ganz einfach: Wir wurden mit Bayern nur Vizemeister, es lief nicht so rund, obwohl wir eine eingeschworene Truppe waren. Anstatt sich vom Trainer zu trennen, trennte man sich von Spielern und entschied sich für einen Neuanfang.

kicker: Und Sie wollten zurück in die Heimat?

Rummenigge: Nein, das hatte damit nichts zu tun. Passen Sie auf: Uli Hoeneß beorderte mich in sein Büro, ich war 24. Er sagte damals, er habe einen neuen Verein für mich. Mein Vertrag beim FC Bayern lief aber noch ein Jahr. Dazu meinte Hoeneß nur, ich könne gerne mit der Mannschaft trainieren und hierbleiben - für die Spiele aber habe man mir schon einen Platz reserviert: Block 17, Reihe 12, Platz 9 (lacht). Das war Uli Hoeneß. Fairerweise muss man dazusagen, er hatte für jeden Spieler den nächsten Schritt parat.

Michael Rummenigge

Gern gesehener Gast: Hin und wieder nimmt Michael Rummenigge an All-Star-Spielen teil. imago

kicker: Dann wechselten Sie nach Dortmund.

Rummenigge: Genau. Ich hatte aber weitere Angebote von Inter Mailand und vom Hamburger SV.

kicker: Wieso dann Dortmund?

Rummenigge: Ursprünglich wollte ich zum Hamburger SV, das war damals der renommiertere Klub mit Ernst Happel als Trainer und Felix Magath als Manager. Magath versprach mir, die Ablösesumme zu zahlen, wir waren uns einig. Als in München aber die verabredete Bankbürgschaft des HSV nicht ankam, fragte ich bei Magath nach. Er sagte, er sei selbst gerade entlassen worden (lacht).

kicker: Das heißt: Magaths Entlassung entschied über Ihre Karriere.

Rummenigge: So in etwa, ja. Seitdem wohne ich in Dortmund. Ich fühle mich heute und fühlte mich damals schon sehr wohl. Der Klub aber erlangte erst durch Ottmar Hitzfeld - einen der größten Trainer, die es je gab - die große Aufmerksamkeit. Davor war es noch ruhig.

Ich bin stolz darauf, dass ich es gemeinsam mit meinem Bruder zum FC Bayern geschafft habe. Er war Weltklasse - wie Cristiano Ronaldo.

Michael Rummenigge blickt zurück auf seine Karriere

kicker: Wie ordnen Sie die beiden Karrierestationen ein?

Rummenigge: In München wuchs ich als Lehrling, und in Dortmund wurde ich erwachsen.

kicker: Wenn Sie den Fußball heute betrachten, wären Sie gerne nochmals Profi?

Rummenigge: Alles zu seiner Zeit. Es waren wunderschöne Jahre. Mittlerweile haben sich das Spiel, die Ernährung, das Training und die Medienlandschaft verändert. Da hatten wir es damals besser. Aber, klar würde ich gerne nochmals spielen: das Spektakel und die Gehälter. Aber das gönne ich den Jungs, denn sie müssen mehr leisten.

kicker: Wenn Sie auf Ihre Karriere zurückblicken - worauf sind Sie stolz?

Rummenigge: Dass ich es gemeinsam mit meinem Bruder zum FC Bayern geschafft habe. Zwei Brüder im Spitzenfußball bei einem großen Verein, das ist außergewöhnlich. Um es in kicker-Worten zu sagen: Kalle war "Weltklasse" - wie Cristiano Ronaldo - und ich "Internationale Klasse".

Interview: Georg Holzner

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