Bundesliga

Was nun, Herr Favre?

Hertha: Angst vor dem Absturz

Was nun, Herr Favre?

Lucien Favre

Der Start in die Rückrunde ist gehörig missglückt: Lucien Favre, hinten Friedhelm Funkel. imago

Eine Stunde hatte er nur geschlafen in der Nacht nach dem Spiel, und am Morgen danach brodelte es noch immer in Jaroslav Drobny (28). "Ein Desaster" nannte Herthas Torhüter das tags zuvor Erlebte. Das im Januar für knapp acht Millionen Euro aufgemotzte Hauptstadt-Ensemble ist am Samstag in seine Einzelteile zerfallen - und war beim 0:3 gegen einen Mittelklasse-Klub wie Eintracht Frankfurt praktisch chancenlos.

"Das war ein katastrophaler Rückrundenstart", sagt Verteidiger Malik Fathi (24). "Wir sind wieder in die alten Muster verfallen." Die Defensive ein Torso, die Offensive harmlos, die Neuen ohne Bindung: Zu behaupten, gegen Frankfurt sei nur einiges schiefgelaufen, wäre so, als würde man eine Hinrichtung als gesundheitsschädlich bezeichnen. "Was wir alle gezeigt haben", gesteht Drobny, "war gar nichts."

Fünf Zugänge verpflichtete Hertha im Winter, mehr Geld investierte in der abgelaufenen Transferperiode einzig der FC Bayern. 13 Neue kamen seit dem Sommer, 16 Spieler gingen. Die Probleme sind geblieben. Die sportlichen Defizite, die sich durch alle Mannschaftsteile ziehen, gehen seit Monaten einher mit seltsam blutleeren Vorstellungen. Dem Team fehlt es zurzeit an Klasse und Seele. Seit dem 6. Spieltag, als Hertha für eine Nacht die Tabellenführung ergatterte, ist der Klub im freien Fall. Die Bilanz seither - acht Punkte aus zwölf Spielen - ist die eines potenziellen Absteigers. Vor dem schweren Gang zum Meister nach Stuttgart geht der Blick zwangsläufig nach unten. "Wir haben 20 Punkte", bilanzierte Lucien Favre am Sonntag ernüchtert. "Wir sind im Abstiegskampf." Der Trainer weiß: "Ich muss eine gute Lösung finden, eine Mischung - so schnell wie möglich."

Pantelic, Fathi, Bieler

Lange Gesichter: Pantelic, Fathi, Bieler (v.l.). imago

"Mehr Konzentration beim Spiel ohne Ball" fordert der Schweizer, "die Balleroberung ist der Schlüssel." Er hofft, dass sich die Neuen schnell freischwimmen. Er setzt auf die Rückkehr der gegen Frankfurt verletzten Abwehrkräfte Arne Friedrich (28) und Steve von Bergen (24).

Aber er spürt auch, dass der Druck auf ihn wächst. Mit Raffael (22/4,3 Mio. Ablöse) und Gojko Kacar (21/3 Mio.) präsentierte ihm der Manager im Januar zwei teure Wunschspieler. "Wir haben dem Trainer mehr Möglichkeiten gegeben, seine Vorstellungen umzusetzen", sagt Dieter Hoeneß. Ein halbes Jahr Eingewöhnungszeit billigten Berlins Bosse Favre (Vertrag bis 2010) zu, jetzt ist die Schonzeit vorbei. Aufsichtsrats-Chef Werner Gegenbauer sagte bereits Ende Dezember im kicker: "Ich erwarte mehr Stabilität in der Aufstellung. Das große Experimentieren sollte vorbei sein."

zum Thema

Ein Mittelfeld-Platz ist das Ziel für die laufende Saison, vor allem aber wollen die Granden eine Weiterentwicklung der Mannschaft sehen. Der Trainer soll dieser Elf sukzessive seinen Stempel aufdrücken. Aggressiv in der Balleroberung, blitzschnell im Umschalten, wenige Kontakte im Spiel nach vorn: Favres Vision vom modernen Fußball bekamen die Fans am Samstag durchaus geboten - allerdings von Eintracht Frankfurt. "Das 0:3 war hochverdient, aber ein Spiel lässt keinen Rückschluss auf die Gesamtsituation zu", beschwichtigt Manager Dieter Hoeneß. "Für uns hat sich nichts verändert. Wir wissen, dass wir viel Arbeit haben, aber ich glaube auch, dass wir relativ schnell die Kurve kriegen."

Zweifel scheinen angebracht. Der Kader wirkt nicht ausbalanciert. Im Sturm und im zentralen Mittelfeld hat Favre ein Überangebot, auf den Außenbahnen fehlen ihm dagegen Alternativen. Die Unerfahrenheit etlicher Profis und der eklatante Mangel an Führungsspielern könnten sich im Abstiegskampf als nur schwer zu kompensierende Handicaps erweisen. "Dieses 0:3 war eine böse Niederlage", sagt Pal Dardai (31) kämpferisch, "aber wir sind nicht zum Heulen hier, sondern zum Arbeiten. Es gibt keine Ausreden." Auch nicht für Lucien Favre, der ahnt: "Es wird bis Saisonende sehr, sehr eng." Keeper Drobny sagt: "Schlimmer als gegen Frankfurt kann es nicht mehr werden." Auch das ist eine Art, neue Hoffnung zu schöpfen.

Steffen Rohr