Bundesliga

Bayer Leverkusen: Baumgartlinger und die Sensibilität der Bosz-Idee

Leverkusens Sechser liefert bemerkenswerte Analyse

Baumgartlinger und die Sensibilität der Bosz-Idee

Nach Nasenbeinbruch mit Maske unterwegs: Julian Baumgartlinger im Spiel gegen Bremen.

Nach Nasenbeinbruch mit Maske unterwegs: Julian Baumgartlinger im Spiel gegen Bremen. imago

Interviews direkt nach Spielschluss haben einen besonderen Stellenwert. Meist sind die Spieler noch hoch emotionalisiert und zudem körperlich erschöpft, so dass ab und an auch mal Aussagen getätigt werden, die man nicht unbedingt auf die Goldwaage legen sollte. Julian Baumgartlinger liefert am Sonntag nach Leverkusens 1:3 gegen Werder allerdings ein bemerkenswertes Kontrastprogramm dazu ab und direkt nach dem Gang in die Katakomben eine geschliffene Analyse, die die Sensibilität der Spielidee von Peter Bosz erklärt.

Der erste Part seiner Ausführungen war für alle Beobachter offensichtlich gewesen. "Wir haben zwei unterschiedliche Halbzeiten gespielt. Die erste Halbzeit war nicht genügend von uns", schrieb der Sechser sich und seinen Kollegen ein "Mangelhaft" ins Halbzeitzeugnis, "wir waren unkonzentriert und schlampig und haben im Umschalten zu viel zugelassen. Wir wussten, dass das eine der Bremer Stärken ist. Deswegen müssen wir uns selber diesen Vorwurf machen. Und die Bremer waren effizient, das muss man ihnen lassen."

"Sie überladen das Zentrum einfach gut, und dann spielen sie die Pässe in die ballentfernten Halbräume"

Bei der Ursachenforschung tippte der Kapitän der österreichischen Nationalelf nach zuletzt erfolgreichen wie überzeugenden Auftritten auf ein Zuviel an Leichtigkeit, das in Nachlässigkeit umschlug. "Es ist schwer zu sagen, woran es liegt. Wir waren vielleicht etwas zu unbedarft und dachten, wir spielen einfach in dem Flow weiter. In der ersten Halbzeit haben wir den Schalter nicht mehr umlegen können. Die Zweite war dann besser, aber immer noch nicht optimal, weil noch zu viel liegen geblieben ist. Deswegen haben wir das Spiel verloren."

Als es um die taktischen Abläufe ging, die dafür sorgten, dass Werder mit seinen drei allesamt eher zentral und nicht über außen angreifenden Stürmern vor der Pause wunderbare Kontersituationen erhielt, erklärte Baumgartlinger die Leverkusener Probleme mit der Präzision eines Spielanalysten. "Sie überladen das Zentrum einfach gut", lobte der 31-Jährige das eng gebündelte Bremer Sturmtrio, "und dann spielen sie die Pässe in die ballentfernten Halbräume. Das war bestimmt der Schlüssel. Nach jeder Balleroberung haben sie bewusst diese Pässe gespielt. Nicht blind, das wäre despektierlich, denn sie machen das mit Plan, dafür ist der Ball zu oft angekommen. Und da sind wir schwer ins Gegenpressing gekommen, haben aber auch den einen oder anderen Meter zu wenig gemacht."

"Das müssen wir uns eindeutig selber vorwerfen, dass wir da in beide Richtungen zu unkonzentriert waren"

Doch auch wenn Baumgartlinger die taktische Marschroute von Werder anerkannte ("Das war ein guter Matchplan von Bremen"), sah er die Gründe für die defensive Unordnung bis zum Seitenwechsel bei Bayer 04. Leverkusens Restverteidigung wirkte zum Teil hilflos gegen Bremens Konter und bekam bei beiden Gegentreffern vor der Pause keinen Zugriff. "Wir trainieren auch, defensiv solche Situationen zu verhindern, nicht solche Umschaltsituationen gegen uns zu bekommen. Aber wenn man den einen oder anderen Schritt verpasst, können solche unangenehmen oder übertrieben offene Szenen zustande kommen. Das müssen wir uns eindeutig selber vorwerfen, dass wir da in beide Richtungen zu unkonzentriert waren."

Die eigentliche Ursache für die Niederlage war das Defensivverhalten aber aus seiner Sicht nicht. "Ich glaube, dass es an ganz normalen messbaren Fakten liegt: Unserer Passquote war nicht unterirdisch, aber nicht gut genug, um unser System zu spielen. Da entstehen automatisch mehr Situationen, die man verteidigen muss, und man wird müder und vielleicht mal einen Schritt langsamer. Das Grundübel lag im nicht guten Ballbesitz in der ersten Halbzeit", urteilte Baumgartlinger abschließend. Kurzum: Boszs Idee ist genauso erfolgsversprechend wie anspruchsvoll. Wird sie konsequent und hochkonzentriert umgesetzt, verspricht sie Spektakel, Begeisterung und Erfolg. Wenn nicht, gerät Holland bzw. Bayer wie in der ersten Hälfte gegen Werder schnell in höchste Not.

Stephan von Nocks

Bilder zur Partie Bayer 04 Leverkusen - Werder Bremen