Noch am Freitag war die Hoffnung beim VfB Stuttgart groß. "Der erste gewonnene Zweikampf, der erste gute Pass, den Gegner unter Druck setzen - das sind alles kleine Siege. Von der ersten Minute an muss im Stadion spürbar sein, dass wir die drei Punkte mehr wollen als der Gegner", hatte Coach Jürgen Kramny an seine Mannschaft appelliert. Was zudem Zuversicht brachte: Kevin Großkreutz (Muskelbündelriss) und Kapitän Christian Gentner (Wadenprobleme) feierten ihr Comeback von Beginn an.
Speziell die Rückkehr von Gentner zahlte sich unmittelbar aus, weil der Anführer nach nur sechs Minuten zur emotionalen Führung traf. Danach kam aber direkt ein Bruch ins Spiel, den die Gäste aus Mainz noch in der ersten Hälfte zu nutzen wussten. Yunus Malli besorgte das 1:1, im zweiten Abschnitt trugen dann Jhon Cordoba und Karim Onisiwo dazu bei, dass sich die VfB-Mienen auf und neben dem Platz merklich verdunkelten.
Kramny: "Das 1:2 hat uns sehr getroffen"
Am Ende stand die fünfte Pleite in Folge, so instabil und erfolglos hatten sich die Stuttgarter zuletzt unter Ex-Trainer Zorniger präsentiert. Dessen Nachfolger analysierte: "Wir sind gut reingekommen, danach waren wir eine Phase gut dabei. Beim 1:1 hatten wir keine Zuordnung. Das hat Wirkung gezeigt. Wir wollten was nach vorne investieren. Das 1:2 hat uns dann aber sehr getroffen. Danach hat Mainz uns ein paar Mal ausgekontert", so Kramny.
Erschreckende Szenen: Die Fans des VfB stürmten nach Spielschluss den Platz. Getty Images
Durch die Erstliga-Reifeprüfung war seine Mannschaft, die er auf gleich sechs Positionen im Vergleich zum Bremen-Spiel geändert hatte , einmal mehr krachend gefallen. Einzig der erstmals für den VfB in der Bundesliga aufgelaufene Schlussmann Mitchell Langerak wusste zu überzeugen. Nach den 90 enttäuschenden Minuten suchte aber auch er ungewohnt schnell den Weg in die Kabine.
"Außer Großkreutz könnt' ihr alle gehen"
Spielbericht
Grund: Eine größere Gruppe VfB-Fans stürmte den Rasen, suchte den Dialog mit einer in großen Teilen flüchtenden Kramny-Elf. Als einer der wenigen Spieler verharrte Weltmeister Großkreutz, der daraufhin von den Anhängern in Schutz genommen wurde. "Außer Großkreutz könnt' ihr alle gehen", skandierte die wütende Menge als die restliche Mannschaft sich vorsichtig durch den Spielertunnel vorwagte.
Dass die teils verstörenden Szenen aber ihre Wirkung nicht verfehlt hatten, zeigte ein Interview von Großkreutz bei Bezahlsender Sky. Der Ex-Dortmunder trat bereits mit Tränen in den Augen vor die Kamera, erklärte mit zitternder Stimme: "Ich kann die Fans verstehen. Wir sind verantwortlich dafür. Ich bin sprachlos. Es tut mir unglaublich leid für die Fans."
Wir sind verantwortlich dafür. Ich bin sprachlos.
Weltmeister Kevin Großkreutz unter Tränen
Warum der 27-Jährige trotz seiner kurzen Zeit im Schwabenland derart emotional reagierte? "Ich glaube, alle haben mich super aufgenommen. Ich habe dem Verein viel zu verdanken", gestand Großkreutz mit bebender Stimme: "Realistisch ist es noch möglich. Dafür sollten wir alles geben."
Nur in der Abstiegssaison 1974/75 noch mehr Gegentore
Das Prinzip Hoffnung wählte auch Kramny. "Für uns ist das natürlich eine brutale Geschichte, sehr bitter", sagte der 44-Jährige und fügte an: "Aber es ist noch nicht vorbei. Es fühlt sich schwer an. Wir brauchen das Wunder, wir müssen bis zum letzten Tropfen kämpfen." Aktuell fällt es freilich schwer, an einen Dreier beim VfL Wolfsburg am kommenden Samstag (15.30 Uhr, LIVE! bei kicker.de) zu glauben. Gerade auch weil ein weiterer Negativrekord (vier Heimpleiten in Serie) eingestellt wurde und der VfB nur in der Abstiegssaison 1974/75 noch mehr Gegentreffer kassiert hatte (damals 79, heute 72). Mit Tränen in den Augen wollte Kramny auf der PK aber noch nicht an dieses Szenario denken: "Solange rechnerisch noch etwas möglich ist, muss man die Chance suchen."