Bundesliga

Rehmer: "Rechnen wäre die falsche Haltung"

Ex-Nationalspieler im Interview

Rehmer: "Rechnen wäre die falsche Haltung"

Einst gemeinsame Weggefährten: Pal Dardai und Marko Rehmer (re.).

Einst gemeinsame Weggefährten: Pal Dardai und Marko Rehmer (re.). imago

kicker: Herr Rehmer, was sagt Ihnen der Name Francis Kioyo? Rehmer: Da muss ich nachdenken.

kicker: Kioyo war ein Stürmer aus Kamerun, der in der Saison 2003/04 für 1860 München gespielt hat. Rehmer: Und was war mit ihm?

kicker: Hertha musste am 33. Spieltag jener Saison zu 1860 München, es stand in der 88. Minute 1:1, was Hertha zum Klassenerhalt genügt hätte. Rehmer: ... ach ja, und Kioyo verschießt einen Elfmeter. Ich erinnere mich. Durch das 1:1 damals haben wir die Klasse gehalten.

kicker: Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Abstiegskampf gemacht? Rehmer: Ich stand ja nicht nur mit Hertha im Abstiegskampf, sondern auch mit Rostock und mit Eintracht Frankfurt. Das war jeweils sehr aufreibend, man hat den Druck, etwas verlieren zu können. Es geht ja nicht nur um die eigene Karriere, sondern es hängt viel mehr dran. Nicht jeder kann damit umgehen. Das möchte man nicht alle Jahre.

kicker: Wie sehen Ihre speziellen Erinnerungen mit Hertha im Abstiegskampf aus? Rehmer: In der Saison 2003/04 hatte vom Potenzial unserer Mannschaft niemand damit gerechnet, dass wir gegen den Abstieg spielen. Wir haben ziemlich lange gebraucht, um den Schalter umzulegen und zu sagen: Jungs, wir stecken wirklich im Abstiegskampf. Bis zum vorletzten Spieltag hat es ja dann auch gedauert, bis der Klassenerhalt klar war. Ich hoffe, dass es für Hertha jetzt auch am vorletzten Spieltag geklärt wird.

kicker: Eine gute Überleitung zur Aktualität: Wie schätzen Sie die Ausgangslage gegen Eintracht Frankfurt ein? Rehmer: Es ist ein extrem wichtiges Spiel. Auf den letzten Spieltag zu hoffen, wäre der falsche Ansatz. Man sollte sich nicht darauf verlassen, dass der Klassenerhalt dann gelingt. Die Eintracht ist durch, und nach oben geht für sie auch nicht mehr viel. Hertha muss auf Sieg spielen, man muss sehen, dass die Mannschaft die Punkte braucht. Wichtig wäre es auch, den Fans, die die Mannschaft stark unterstützt haben, nach einer verkorksten Saison noch mal einen Dreier zu bieten.

Er kennt sich auch in Frankfurt aus: Marko Rehmer.

Er kennt sich auch in Frankfurt aus: Marko Rehmer. imago

kicker: Reicht auch ein Remis zum Klassenerhalt, weil die Klubs am Tabellenende auch noch gegeneinander spielen? Rehmer: Das ist, was ich meine. Wenn man mit Rechnen anfängt, geht man schon mit der falschen Haltung ins Spiel. Ich schätze Pal Dardai aber auch so ein, dass er die Mannschaft auf Sieg einstellt.

kicker: Glauben Sie, dass 34 oder 35 Punkte zum Klassenerhalt reichen? Oder braucht man mehr? Rehmer: Wenn es dumm läuft, gewinnen die Mannschaften hinten und man steht nach diesem Spieltag plötzlich auf dem Relegationsplatz. Ich denke, dass 35 Punkte am Ende reichen, aber dann müsste Hertha bis zum letzten Spieltag zittern. Das will keiner. Ich erinnere mich an die Saison 1998/99, als Eintracht Frankfurt durch das legendäre Tor von Jan-Aage Fjörtoft in letzter Minute mit 5:1 gegen Kaiserslautern gewinnt und drin bleibt. Wir haben mit Rostock in Bochum gespielt und mussten auch gewinnen. Wir haben gewonnen, und danach feierst du den Klassenerhalt wie eine Meisterschaft. Aber den Druck vorher, den möchte man nicht bis zum letzten Spieltag haben. Hertha sollte lieber jetzt alles klar machen, um dann entspannt nach Hoffenheim zu fahren.

kicker: Ob nun gegen Frankfurt oder am letzten Spieltag: Hält Hertha die Klasse? Rehmer: Ja. Taktisch hat sich die Mannschaft unter Pal Dardai sehr verbessert, speziell in der Defensive. In der Offensive fehlt es, da klappt wenig. Aber in der aktuellen Situation ist es wichtig, jeden einzelnen Punkt zusammenzuholen. Hertha macht es aber richtig, erst mal defensiv gut zu stehen und viel zu arbeiten. Ich bin davon überzeugt, dass Hertha das Potenzial hat, drin zu bleiben. Es gibt auf jeden Fall drei schlechtere Mannschaften.

kicker: Wie beurteilen Sie die Arbeit Ihres ehemaligen Teamkollegen Pal Dardai? Rehmer: Pal ist sehr engagiert und sehr ehrgeizig. Und er kennt die Situation, er weiß, was gefragt ist. In der jetzigen Situation macht er es sehr gut.

kicker: Vorausgesetzt, Hertha bleibt drin. Wie sehen Sie die Perspektive? Rehmer: Für die neue Saison müssen auf jeden Fall ein paar Spieler geholt werden. Speziell in der Offensive. Was Hertha aber richtig macht, dass darüber noch nicht diskutiert wird, sondern man sich auf den Abstiegskampf fokussiert.

kicker: Gesetzt den Fall, es geht schief. Welche Auswirkungen hätte der dritte Abstieg in fünf Jahren? Rehmer: Ein Abstieg wäre eine Katastrophe. Auch für die Reputation des Vereins. Man hat es aber noch selbst in der Hand, deswegen beschäftige ich mich momentan nicht damit.

kicker: Beim Gegner haben Sie auch gespielt. Haben Sie noch Kontakt zur Eintracht? Rehmer: Ja, zu Alex Meier habe ich noch ganz guten Kontakt. Ich hatte zwei sehr schöne Jahre in Frankfurt. Die Eintracht hat eine ordentliche Saison gespielt. Aber dennoch hoffe ich, dass Hertha gegen Frankfurt den nötigen Sieg holt. Heribert (Vorstandsboss Bruchhagen, Anm. d. Red.) wird's mir hoffentlich nachsehen (lacht).

Interview: Andreas Hunzinger