Bundesliga

"Titel mit 96? Schwierig, aber nicht unmöglich"

Hannover: Interview mit Trainer Mirko Slomka

"Titel mit 96? Schwierig, aber nicht unmöglich"

Fühlt sich rundum wohl in Hannover: 96-Trainer Mirko Slomka.

Fühlt sich rundum wohl in Hannover: 96-Trainer Mirko Slomka. picture alliance

kicker: Samstag geht es zum Niedersachsen-Rivalen nach Wolfsburg. Sind Sie eigentlich froh, nicht - was schon möglich war - dort als Trainer gelandet zu sein, Herr Slomka?

Mirko Slomka: Froh bin ich, in Hannover gelandet zu sein. Wolfsburg ist nach wie vor eine echte Top-Adresse der Liga. Momentan läuft's nicht ganz so gut dort. Der VfL hat sicherlich einen höheren Anspruch als auf Rang 13 zu stehen.

kicker: Spüren Sie Derby-Fieber? Oder überwiegt eher die bittere Erinnerung an den Februar 2007, als sie beim 2:2 nach 2:0-Führung mit ihrem Ex-Klub Schalke begannen, die Meisterschaft zu verspielen?

"Wolfsburg gegen Hannover ist traditionell nicht so brisant"

Slomka: Natürlich habe ich das noch in Erinnerung, es ist negativ haften geblieben. Und Derby-Fieber? So richtiges Säbelrasseln, wie es zwischen Dortmund und Schalke, HSV und Bremen oder Kaiserslautern und Frankfurt gibt - diese Atmosphäre sehe ich hier nicht. Wolfsburg gegen Hannover ist traditionell nicht so brisant, nicht so emotional.

kicker: Warum stürzte Hannover nicht wie andere Klubs, die überraschend im Europacup landeten, ab?

Slomka: Für mich ist das eine Frage unserer Vereinspolitik. Es gibt zum Beispiel keine Leihspieler. Wenn ich mit Leihspielern arbeite, habe ich grundsätzlich zur Folgesaison die Diskussion: Bleiben oder gehen? Behalten oder loslassen? Wir hatten einen Großteil der Spieler unter Vertrag - Planungssicherheit, von der aus wir vorausschauend handeln konnten. Das ist ein großer Unterschied etwa zu Nürnberg, um ein Beispiel zu nennen, wo man aber im vergangenen Jahr unter finanziellen Zwängen immerhin die Chance nutzte, gute Ergebnisse zu erzielen. Aber es ist doch frustrierend, wenn ich einen Spieler ausleihe, ihn weiterentwickle und dann nicht an einer Wertsteigerung partizipieren darf.

kicker: Viel Geld gibt es auch in Hannover nicht . . .

Slomka: Wir sagen bei 96: Okay, wenn wir nicht die ganz großen Sprünge machen können, dann versuchen wir Spieler, die uns gehören, so auszubilden, dass wir einmal an einem Transferplus teilhaben. Das schafft Stabilität bis hin zu einem Punkt, an dem sich Zufriedenheit einstellt, eine Entwicklung stagniert und wieder frischer Wind rein muss, Veränderungen nötig werden.

kicker: Stabilität ist das eine - was verblüfft sie noch an Ihrem Team?

Slomka: Das selbstbewusste, mutige Auftreten. Die Mannschaft hat gelernt, Gefühle zu zeigen - deutliche Zeichen der Enttäuschung und der Freude. Typen wie Lars Stindl, der vor einem Jahr zu 96 kam, und Manuel Schmiedebach zeigen noch mal eine Steigerung, lassen nicht locker und lernen, auch mit taktischem Geschick zu spielen.

kicker: Hinzu kommt die schon sprichwörtliche Leidenschaft.

Slomka: Die ist aus der vorigen Saison schon da. Aber wir haben es auch geschafft, mit strategischen Entscheidungen gegen große Gegner zu bestehen, sogar eindrucksvoll zu gewinnen. Und es kommt ein ganz wesentlicher Aspekt hinzu.

kicker: Welcher?

". . . dann spricht man über einen Stindl, einen Schmiedebach"

Slomka: Die Spieler haben gemerkt: Wenn wir als Mannschaft erfolgreich spielen, geraten auch die Einzelnen in den Fokus. Dann spricht man über einen Stindl, einen Schmiedebach. Über Schlaudraff sowieso. Plötzlich kommt ein Abdellaoue dazu, dann wieder ein Schulz, Pogatetz oder Haggui, der jetzt nach längerer Pause wieder für Tunesien berufen wurde. Das muss ein Zeichen sein für weitere junge, aufstrebende Spieler: Hier hat man die Chance, sich zu präsentieren.

kicker: Was fehlt aktuell noch?

Slomka: Gegen Schalke etwa war zu sehen, dass wir im taktischen Geschick noch zulegen können. Ein 2:1 muss man einfach auch mal runterspielen, ohne zu Hause noch den Konter zum 2:2 zu kriegen.

kicker: Im Schalke-Spiel gab es erneut auch strittige Schiedsrichterentscheidungen gegen 96. Sie aber blieben ruhig. War die Geldstrafe im letzten Jahr so schmerzlich?

Slomka: Nein! Ich spüre da bei mir eher einen Prozess der Reife, merke es an meinem Verhalten an der Linie und am Umgang mit den Menschen, die mit mir zusammenarbeiten. Wenn man sich zu sehr echauffiert, verliert man die Kontrolle über sich selbst, aber auch über das Spiel. Viel wichtiger ist es in solchen Momenten, den Blick der Spieler, die sich ja auch ärgern, wieder auf das eigentliche Geschehen zu lenken. Schwierig, denn manchmal gibt es einfach auch Entscheidungen, bei denen du aus der Haut fahren möchtest.

kicker: Durchlebt diesen Lernprozess gerade auch Ihr Mainzer Kollege Thomas Tuchel?

Tuchel war im vergangenen Jahr nicht anders. Nur eben deutlich erfolgreicher.

Mirko Slomka

Slomka: Nein, ich denke, dass Thomas ziemlich eng am Spielgeschehen ist, besonnen und konzentriert arbeitet. Dieser Wirbel zuletzt wurde eher mit ihm gemacht als dass er ihn selbst veranstaltet hätte. Thomas war im vergangenen Jahr nicht anders. Nur eben deutlich erfolgreicher.

kicker: Sie sind auch jetzt wieder erfolgreich, werden zu Recht gelobt. Trotzdem werden Sie als 96-Coach mutmaßlich niemals "Trainer des Jahres" werden, wenn sie nicht unerwartet einen Titel holen. Wurmt Sie diese Ungerechtigkeit?

Slomka: Titel will ja jeder holen! Das ist wahrscheinlich in Hannover schwieriger, aber nicht unmöglich. Für mich ist die Weiterentwicklung einer Mannschaft, unser hervorragender Platz vier voriges Jahr eine große Sache. Klar, Fans haben am liebsten eine Trophäe, die man in den Himmel streckt. Ich kann nichts hochhalten. Aber wieder unter den ersten Sechs zu landen, wäre unglaublich. Ein gefühlter Titel.

kicker: Welcher Wunsch ist größer: Nochmal für einen berühmten Klub wie Schalke zu arbeiten oder in Hannover etwas nach dem großen Vorbild Bremen aufzubauen?

"Ich bin absolut optimistisch, was 96 angeht. Ich fühle mich rundum wohl hier."

Slomka: Wenn wir in Hannover nicht dauerhaft erfolgreich arbeiten und gute Platzierungen erreichen, mit mir als Trainer, dann halte ich es angesichts mehrerer Faktoren hier kaum für möglich, ein zweites Werder zu schaffen, im positiven Sinne, also mit Festhalten am Trainer, am Konzept und so weiter. Thomas Schaaf hatte eine kritische Saison. Man hat aber an ihm festgehalten und steht nun wieder in der Spitzengruppe der Liga. Das wird vermutlich in Hannover nicht möglich sein. Insofern denke ich nicht, dass ich hier für zehn Jahre Trainer sein werde. Aber gucken wir einfach, wie unser Weg weiter geht. Ich bin absolut optimistisch, was 96 angeht. Ich fühle mich rundum wohl hier.

kicker: Geht Ihnen das Bekenntnis auch leichter über die Lippen, weil Sie mit Familie in Hannover zu Hause sind und, wie sie sagen, "zum Stadtbild gehören"?

Slomka: Gemeint ist damit, dass ich durch die Stadt gehe und das für die Menschen in Hannover normal ist. Es kommt nicht gleich jeder auf mich zu, es ist einfach normal. Ich gehöre halt irgendwie dazu.

kicker: Normalität als ein Stück Lebensqualität?

Slomka: Auf jeden Fall. Ich genieße es.

kicker: Als etwas, das Sie an Hannover bindet und den Blick nicht in die Ferne, zu anderen Klubs, schweifen lässt?

Slomka: Es motiviert mich unglaublich, unsere Mannschaft weiterzuentwickeln und auch dieses Gefühl zu haben, für die Stadt etwas tun zu können.

Nationaltrainer? Das wird igrendwann ein Ziel sein, ja.

Mirko Slomka

kicker: Sie schauen gerne und oft Länderspiele. Weil Nationaltrainer Ihr Berufsziel ist?

Slomka: Das wird irgendwann ein Ziel sein, ganz bestimmt, ja.

kicker: Wo liegt für Sie der Reiz?

Slomka: Es ist schon noch einmal eine andere Herausforderung, Jungs auszuwählen, die für ihr Land alles geben. Als Vereinstrainer leben wir mit dem täglichen Druck, wollen jedes Wochenende siegen. Als Nationaltrainer ändert sich der Rhythmus und das Berufsfeld in einer auch spannenden Weise. Doch das ist bei mir noch ganz weit weg.

kicker: Und es müsste auch nicht die deutsche Nationalelf sein . . .?

Slomka: . . . die deutsche Nationalmannschaft ist die Beste! Aber um Trainer einer großen Nation zu werden, muss man wohl eben auch Titel holen.

Interview: Michael Richter