Bundesliga

Marco Reus: Das Original

Gladbach: Die neueste Entdeckung

Marco Reus: Das Original

Marco Reus, im Sommer aus Ahlen zur Borussia gekommen, erzielte in 15 Bundesligaspielen bereits drei Tore.

Marco Reus, im Sommer aus Ahlen zur Borussia gekommen, erzielte in 15 Bundesligaspielen bereits drei Tore. imago

Als im Sommer die ersten Schlagzeilen vom "neuen Marko Marin" fabriziert wurden, da war das Unbehagen noch allenthalben spürbar: Ob bei Marco Reus selbst, seinem Umfeld oder auch den Gladbacher Verantwortlichen. Die Befürchtung schien schließlich absolut nachvollziehbar: Das gerade vom Zweitliga-Kellerkind Ahlen für eine Million Euro verpflichtete Greenhorn Reus könnte einem Vergleich mit Nationalspieler Marin, soeben für einen mehr als achtfachen Betrag nach Bremen transferiert, unmöglich auf Anhieb gewachsen sein. Doch die regelrecht ins Auge springenden Parallelen zwischen Marco und Marko wirkten einfach zu verlockend.

Beides schmächtige Flügelflitzer mit spektakulären technischen Qualitäten im Dribbling, rasend schnell, unbekümmert und leichtfüßig, mit ähnlicher Frisur und sogar derselben Rückennummer 11, die Reus von Marin übernahm. Das Bild vom "Marin-Double" war da natürlich schnell gezeichnet. Doch was ihn anfangs noch störte, kommentiert Reus mittlerweile ganz gelassen: "Vergleiche mit Marko nerven mich überhaupt nicht. Er ist ein super junger, deutscher Spieler. Ich habe Marko bei der U 21 kennengelernt, wir haben uns super verstanden."

Marco verkörpert einen Mix, den es nicht allzu oft gibt.

Michael Frontzeck, Trainer

Souveränität im Umgang mit dem öffentlichen Klischee, die folgerichtig einhergeht mit Reus persönlicher Profilierung auf den Plätzen der Bundesliga. Wer seine Entwicklung auch nur ein wenig intensiver beobachtet, der kommt längst zu dem Schluss: Gladbachs Trikot mit der Nummer 11 trägt keine Marko-Marin-Kopie. Sondern das Original: Marco Reus. Einer, der am Ball nicht so verliebt in Spielgerät und Dribbling wirkt wie Marin, sondern zielstrebiger und bislang auch torgefährlicher. Und vor allem einer, der ein für einen Offensivkünstler höchst ausgeprägtes taktisches Verständnis in der Rückwärtsbewegung mitbringt - und die nötige Laufbereitschaft, dieses auch für die Mannschaft einzubringen.

Gerade diese Komponente seiner Spielweise versetzt Fachleute aktuell so in Begeisterung. Reus verkörpert einen Mix, "den es nicht allzu oft gibt", streicht Trainer Michael Frontzeck (45) heraus. "Man merkt ihm an, dass er mit Ahlen den Existenzkampf in der 2. Liga verinnerlicht hat." DFB-Sportdirektor Matthias Sammer (42) schwärmte nach dem Gladbacher 1:2 in München: "Imponierend, wie er auch am Spiel- ende äußerst diszipliniert und mit hoher Laufbereitschaft seine taktischen Aufgaben in der Defensive erfüllt hat." Ob Gladbachs Ex-Trainer Hans Meyer (67) dieselben Diskussionen wie über den defensiv oft nachlässigen Marin auch über Reus geführt hätte? "Kein einziges Mal!", versichert Borussen-Manager Max Eberl (36) und bringt Reus Qualität am prägnantesten auf den Punkt: "Dass ein Spieler auch defensiv voll mitmacht, ist heute im Fußball elementar. Etwas anderes kann sich keine Mannschaft der Welt mehr erlauben. Denn es entscheidet darüber, ob man am Ende ein Spiel gewinnt oder verliert."

Größer kann das Lob durch einen Vorgesetzten nicht ausfallen. Dabei betrachtet Reus seine Einsatzfreude als Selbstverständlichkeit: "Ich will gewinnen, deshalb macht mir alles Spaß, was der Mannschaft hilft. Außerdem bin ich ein Typ, der erst seine Zweikämpfe gewinnen muss, um richtig ins Spiel zu kommen. Das war schon immer so." Reus gelingt es, kein Aufhebens um seine Person zu machen, ohne dabei kokett zu wirken. Auch beim Thema Nationalmannschaft, mit dem er seit Sammers Lobeshymnen nach dem 1:0 gegen Schalke vor vier Wochen konfrontiert wird. "Es freut mich natürlich, so viel Positives zu hören. Aber es verändert mich nicht."

Der BVB ist für mich inzwischen ein Verein wie jeder andere auch.

Marco Reus, gebürtiger Dortmunder

Eine bemerkenswerte Gelassenheit hat auch Frontzeck bei seinem jüngsten Shootingstar ausgemacht. "Es ist ja nicht so, dass bei Marco von Beginn an alles rund gelaufen wäre", skizziert der Fußballlehrer die Entwicklung seit Saisonstart. Zunächst kam Reus über Kurzeinsätze nicht hinaus, und beim Startelf-Debüt (0:3 in Freiburg am siebten Spieltag) folgte die Auswechslung schon zur Pause. "Andere stecken das in dem Alter nicht so ohne weiteres weg", weiß Frontzeck aus Erfahrung. "Aber Marco ist relativ stabil im Kopf, auch wenn mal etwas nicht so funktioniert. Mir gefällt seine Entschlossenheit, immer die nächste Chance beim Schopf zu packen." Realismus also zählt offenbar ebenfalls zu Reus Stärken. Im Sommer kündigte er an, "nicht gleich einen Stammplatz" zu erwarten. Und nahm Widrigkeiten dementsprechend gefasst an. Auch jetzt, nach neun Partien hintereinander in der Startformation, will er nicht von einem festen Platz in der Elf reden. "Ich schaue lieber von Spiel zu Spiel. Ich weiß, es kann schnell rauf und runter gehen."

Nachwuchsmann Marco Reus mit Urgestein Oliver Neuville.

Nachwuchsmann Marco Reus mit "Urgestein" Oliver Neuville. picture-alliance

Was wie eine Plattitüde klingt, ist für Reus prägende Erfahrung. Nach der B-Jugend wurde er bei Borussia Dortmund aussortiert, bei seinem Lieblingsklub, in seiner Heimatstadt. Die Begründung: Reus sei körperlich zu schwach. Ein herber Rückschlag auf dem Weg zum Fußballprofi, dem Reus gleichwohl professionell begegnete: "Es war gar nicht so emotional. Ich habe mir gedacht, dann probierst du es eben anderswo. Ich wusste ja, dass ich die entsprechenden Fähigkeiten habe." Der vermeintliche Rückschritt nach Ahlen entpuppte sich als Karrierebeschleuniger. Ausgerechnet in Mönchengladbach machte er sich so nämlich schon 2006/07 einen Namen. "In einem Heimspiel unserer A-Jugend gegen Ahlen schoss er unsere Jungs ganz alleine ab", erinnert sich Gladbachs damaliger Nachwuchsleiter Eberl. "Seitdem hatte ich Marco Reus auf dem Schirm und habe seine Entwicklung verfolgt."

Wirkliche Überredungskünste brauchte es vergangenen Sommer dann nicht, um den Kandidaten zu überzeugen. "Ich wusste sofort, dass ich in Gladbach die besten Perspektiven haben würde", berichtet Reus, der bis 2013 unterschrieb. Bessere als bei den Ruhr-Rivalen Schalke und Dortmund, die ebenfalls lockten. Überhaupt: Jugendidol Tomas Rosicky (29), einstiger Spielmacher der Schwarz-Gelben, fasziniert Reus zwar immer noch. "Aber insgesamt ist der BVB für mich inzwischen ein Verein wie jeder andere auch." Gladbachs Slogan "es gibt nur eine Borussia", lächelt Reus, "könnte ich also jederzeit unterschreiben". Der junge Mann fühlt sich offenbar angekommen. Aus seiner Sicht sozusagen beim "Original".

Jan Lustig, Thiemo Müller