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Eine Schale im Revier für die "Meisterschaft des Herzens"

1994/95 - Hohn und Spott für Schauspieler Möller

Eine Schale im Revier für die "Meisterschaft des Herzens"

Stolz: BVB-Antreiber Andreas Möller präsentiert die Schale. Der Nationalspieler erlebte aber auch eine schwarze Sekunde.

Stolz: BVB-Antreiber Andreas Möller präsentiert die Schale. Der Nationalspieler erlebte aber auch eine schwarze Sekunde. picture alliance

Schweizer Pokalsieger 1985, 1989 und 1990. Schweizer Meister 1990. Im Land des löchrigen Käses und der guten Schokolade etabliert sich Ottmar Hitzfeld als erfolgshungriger Übungsleiter beim FC Aarau und den Grasshoppers aus Zürich. Doch die Fußballwelt interessiert sich nur marginal für das kleine Land inmitten der Alpen. Was der Zahnarzt-Sohn aus Lörrach in der Schweiz leistet, lässt die millionenschwere deutsche Bundesliga so kalt, wie die schneebedeckten Berge ihres kleinen Nachbarn. Einem fällt dieser 42-jährige Hitzfeld dennoch auf: Dortmunds Präsident Dr. Gerd Niebaum stellt der staunenden Bundesliga 1991 Ottmar Hitzfeld als Nachfolger von Horst Köppel vor.

Als der Lehrer für Mathematik und Sport die Dortmunder Borussen übernimmt, hat sie einen enttäuschenden zehnten Platz im Niemandsland der Tabelle hinter sich. Welch ein Glücksgriff der Pädagoge sein wird, wird den Dortmundern nach der Vizemeisterschaft 1992, punktgleich mit dem Meister VfB Stuttgart, schnell klar. Doch selbst ein Goalgetter wie Stephane Chapuisat und 35 Millionen von den BVB-Bossen bewilligte Mark reichen (noch) nicht, um den Gipfel des deutschen Oberhauses zu stürmen: Zwei Mal undankbarer Vierter wird Dortmund unter Hitzfeld in den Folgejahren - bis die Saison 1994/95 am 19. August ihren Spielbetrieb startet.

Bundesliga - Tabelle
Pl. Verein Punkte
1
Borussia Dortmund Borussia Dortmund
49
2
Werder Bremen Werder Bremen
48
3
SC Freiburg SC Freiburg
46

Der Tisch ist gedeckt für das große BVB-Mahl

Riedle, Chapuisat, Franck und Zorc fegen mit ihren Toren die Münchner Löwen 4:0 aus ihrem Westfalenstadion. Der Startschuss ist gefallen. Ottmar Hitzfeld, der ehemalige deutsche Nationalstürmer der Olympischen Spiele 1972, hat Dank der vielen Millionen des BVB, aber auch Dank seiner Fachkompetenz und Führungsqualität, nun die Top-Mannschaft am Start, die das Zeug zum Meister hat: Matthias Sammer, der Libero, der Chef, organisiert zusammen mit Julio Cesar die Abwehr. Im Mittelfeld agiert Heimkehrer Andreas Möller neben Kapitän Michael Zorc. Im Sturm wirbeln Stephane Chapuisat und Karlheinz "Air" Riedle. Der Tisch ist gedeckt für das große BVB-Mahl.

Möllers Schwalbe - "König Otto" tritt ab

Vier Punkte Vorsprung auf Werder Bremen als Tabellenführer, Dortmund kann ein entspanntes Weihnachtsfest feiern. Alles läuft nach Plan - bis sich die beiden Edel-Knipser Chapuisat und Riedle in der Rückrunde die Kreuzbänder reißen. Dazu der Ausfall von Flemming Povlsen, der seine Sportinvalidität bekanntgeben muss. Die "Meisterschaft des Herzens" (BVB-Boss Niebaum) gerät in Gefahr. Ottmar Hitzfeld, der Stratege, der kühle Denker, der sich "einer Mannschaft nicht zu erkennen gibt", ist gefordert. Marc Arnold, Andy Möller, Ibrahim Tanko, René Tretschok und Lars Ricken müssen abwechselnd die klaffende Lücke im Dortmunder Sturmzentrum füllen. Dass der Defensiv-Mann Michael Zorc 15 Tore beisteuern kann, ist einer der kleinen Bausteine, die die Borussen ganz am Ende dann doch jubeln lassen.

FCB leistet der Borussia Schützenhilfe

Die Ausfälle der Stammkräfte lässt die Borussen aber im Schlussspurt wackeln: Verfolger Bremen hält Schritt und thront seit dem 29. Spieltag auf Platz eins. Einen Punkt trennt am letzten Spieltag die Hitzfeld-Elf vom großen Traum. Werder gastiert im Finale bei den schwächelnden Bayern, Dortmund empfängt den ebenfalls schlagbaren HSV. Die Münchner leisten den Schwarz-Gelben unerwartet Schützenhilfe: Drei Mal legt Mehmet Scholl vor, zwei Mal bedankt sich Alexander Zickler, ein Mal Christian Ziege. Die Bayern beenden eine enttäuschende Saison mit einem 3:1-Sieg und Platz sechs.

Was macht Dortmund? Möllers 1:0 in seinem "Wohnzimmer" mit einem direkten Freistoß und Rickens 2:0 nach einer knappen halben Stunde lassen den schwarz-gelben Traum wahr werden: Die erste Deutsche Meisterschaft der Borussia in der Bundesliga. Der 28-jährige Matthias Sammer und sein Chef-Anweiser Ottmar Hitzfeld liegen sich in den Armen. So fühlt sich also die Deutsche Meisterschaft an. Es ist die erste für Hitzfeld, die zweite für Sammer.

Der Torschützenkönig

Zum dritten Mal in Folge übergibt der kicker zwei Spielern die Kanone: 20 Tore für Mario Basler und Heiko Herrlich. "Super-Marios" Tore und die 70 Gesamt-Treffer der Bremer Mannschaft als treffsicherstes Team reichen am Ende dennoch nicht gegen ausgeglichene Dortmunder. Die angeln sich den Gladbacher Torjäger Herrlich in der nächsten Saison nach den Ausfällen von Riedle und Chapuisat. Bester Schütze der Dortmunder wird ein Jahr später erneut ihr Mister Zuverlässig: Michael Zorc - wieder mit 15 Toren.

Was sonst noch geschah

Zwei Dortmunder Spieler stehen im Fokus: Nach seinem halbjährigen Gastspiel bei Inter Mailand kehrt der zweimalige DDR-Meister Matthias Sammer 1993 nach Deutschland zurück. Als zweikampfstarker und vorausdenkender Libero wird der nun zweifache Deutsche Meister erstmals Fußballer des Jahres.

Hohn und Spott für Schauspieler Möller

Teamkollege Andreas Möller erlangt dagegen traurige Berühmtheit: Am Gründonnerstag spielt der Karlsruher SC im Westfalenstadion. 1:0 führt der Gast gegen den Tabellenführer, als sich Andreas Möller eine Viertelstunde vor Schluss zu einer Schwalbe im Strafraum hinreißen lässt. Gegenspieler Dirk Schuster, weit weg vom Dortmunder, muss mit ansehen, wie Schiri Günther Habermann auf den Punkt zeigt. Zorc verwandelt den Elfmeter, und Sammers Tor vier Minuten vor dem Ende drehen die Partie. Möller wird vom DFB-Sportgericht zu einer Geldstrafe von 20.000 DM und zwei Spielen Sperre verdonnert. Beleidigt ("An mir wurde ein Exempel statuiert") muss er fortwährend als Schauspieler verschrien viel Hohn und Spott über sich ergehen lassen.

Freiburg wird zur großen Überraschung

Die Saison ihres Lebens spielen die Kicker vom Sportclub Freiburg. Die Mannen um Coach Volker Finke entgehen ein Jahr vorher knapp dem Abstieg und überraschen dann alle Experten mit dem dritten Platz hinter Dortmund und Bremen. Im UEFA-Pokal ist nach der ersten Runde gegen Slavia Prag Schluss: Der bis dato größte Erfolg der Vereinsgeschichte. Nach dem Abstieg des VfB Leipzig 1994 verlässt ein Jahr später erneut ein Ost-Verein die Bundesliga. Dynamo Dresden folgt dem MSV Duisburg und Aufsteiger VfL Bochum.