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Werder Bremen: Vom Kabinenschwur zur Meisterschaft

2003/04 - Ailton wird Torschützenkönig - Hildebrand-Rekord

Werder Bremen: Vom Kabinenschwur zur Meisterschaft

So sehen Sieger aus: Die Bremer Ailton, Lagerblom und Borowski (v.l.) feiern die Meisterschaft 2004.

So sehen Sieger aus: Die Bremer Ailton, Lagerblom und Borowski (v.l.) feiern die Meisterschaft 2004. imago

Ailton ist untröstlich. Weinend kniet er am Boden und lässt seinen Tränen freien Lauf. Am 8. Mai 2004 sehen 65.000 Zuschauer im ausverkauften Münchner Olympiastadion den neuen Deutschen Meister. Nicht die Bayern, Werder Bremen ist am 32. Spieltag nach dem 3:1 gegen München vorzeitig ganz oben. Die drei Säulen der Mannschaft haben sich gegen die Hitzfeld-Elf verewigt mit ihren Toren: Stürmer Ivan Klasnic (0:1, 19.), Mittelfeld-Stratege Johan Micoud (0:2, 26.) und Torjäger Ailton (0:3, 35.) stellen bereits zur Halbzeit ihre Titelambitionen eindrucksvoll zur Schau. Das 1:3 der Münchner durch Roy Makaay in der 56. Minute ist nur noch Ergebniskosmetik. Seine erste Meisterschaft widmet Ailton seiner verstorbenen Mutter und seinem tödlich verunglückten Bruder.

Wer ist diese Mannschaft, die es geschafft hat, den Bayern Einhalt zu gebieten? Es ist ein Team, das sich in der Kabine in Pasching geschworen hat: So kann es nicht weitergehen! In Oberösterreich, beim SV Superfund, präsentiert sich Werder Bremen drei Tage vor Saisonbeginn im UI-Cup wie ein Absteiger. 0:4 gehen sie baden. Mit jenem Kabinenschwur geht die Mannschaft in eine Saison, die es in sich haben sollte. "Wir wollen mutig sein", so Trainer Thomas Schaaf. Er, dem die Kritiker vorwerfen, er könne mit seiner ruhigen Art nicht das Letzte aus seiner Mannschaft herauskitzeln, weshalb Bremen in den vergangenen Jahren stets im Mittelmaß versinken würde. Er wird alle Kritiker Lügen strafen.

Bundesliga - Tabelle
Pl. Verein Punkte
1
Werder Bremen Werder Bremen
74
2
Bayern München Bayern München
68
3
Bayer 04 Leverkusen Bayer 04 Leverkusen
65

Werders "Papageien" mischen die Liga auf

Schaaf schickt seine Wunschelf zum Start in Berlin auf den Rasen: Die "magische Raute" im Mittelfeld (Frank Baumann, Fabian Ernst, Krisztian Lisztes und Johan Micoud), in der Abwehr Neuzugang Valerien Ismael neben Mladen Krstajic, vorne Ailton mit Angelos Charisteas. Der griechische Europameister von 2002 ist für drei Millionen Euro nach der EM verpflichtet worden. Die größte Transfer-Investition der Klub-Geschichte steht unter Druck. Er kann die Erwartungen nicht erfüllen. Neben Ailton blüht künftig Ivan Klasnic auf. Zwei Mal Ailton, einmal Micoud: Werder gewinnt zum Auftakt 3:0. Bremen findet die ideale Mischung aus hanseatischer Gelassenheit, brasilianischer Heißblütigkeit, französischer Brillanz und kroatischer Schlitzohrigkeit.

Launischer Ailton gewinnt an Selbstbewusstsein

Nach dem 3:1 in Leverkusen übernimmt Bremen am 16. Spieltag die Tabellenführung - und gibt diese bis Saisonende nicht mehr ab. Die stoische Ruhe eines Thomas Schaaf überträgt sich auf sein Team: Ein launischer Ailton gewinnt mit seinen Toren immer mehr Selbstbewusstsein. Der als schwieriger Charakter verschriene Ismael mausert sich zum Weltklasse-Innenverteidiger. Ivan Klasnic steigt nach monatelanger Verletzungszeit wie Phönix aus der Asche auf und wird zu einem der gefürchtetsten Angreifer der Liga.

Geführt wird das Team vom Mittelfeld-Dirigenten Johan Micoud, an dem sich jeder einzelne seiner Mitspieler hochzieht. Bezeichnend für die Gelassenheit der Bremer ist der Umstand, dass obwohl im Oktober binnen 24 Stunden die Wechsel von Krstajic und Ailton nach Schalke bekannt werden, keine Unruhe aufkommt. Trotz folgender 1:3-Heimpleite gegen Stuttgart folgt keine Niederlage mehr und Bremen wird mit sechs Punkten Vorsprung vor den Bayern Meister.

Im DFB-Pokalfinale im Berliner Olympiastadion machen die Bremer den Triumph perfekt und holen mit einem 3:2-Sieg gegen Alemannia Aachen auch den Pott an die Weser.

Der Torschützenkönig

Die Bundesliga tanzt Samba! Die Brasilianer beglücken Deutschland mit ihren Toren. Angefangen hat der südamerikanische Rhythmus mit Marcio Amoroso. In Diensten der Dortmunder Borussia angelt er sich die Torjägerkanone 2002 mit 18 Treffern gemeinsam mit Martin Max von 60 München. Ein Jahr später lächelt Landsmann Giovane Elber über 21 Tore. Der Bayernspieler teilt sich ebenfalls den Erfolg, denn Bochums Thomas Christiansen trifft genau so oft. Und jetzt kommt der "Kugelblitz": Ailton Gonçalves da Silva weint nach der Meisterschaft und lacht über die Kanone, die ihm der kicker nach 28 Toren übergibt. Er ist damit bester Bremer Torjäger aller Zeiten, noch vor Rudi Völler (25 Tore 1984/85). Einziger Wehrmutstropfen: Statt Champions League muss Ailton im UI Cup ran, denn er wechselt von Bremen zu Schalke.

Was sonst noch geschah

Timo Hildebrand, Keeper des VfB Stuttgart, knackt den Rekord von Oliver Kahn, den dieser in der Vorsaison aufgestellt hatte. Waren es für den Bayern-Keeper noch 802 Minuten ohne Gegentor, übertrumpft den Titan der junge Stuttgarter Torwart mit einer weißen Weste in 884 Minuten. Der VfB schließt die Saison als Vierter ab, mit der mit Abstand besten Abwehr der Liga (24 Gegentore in 34 Spielen). Mehr als doppelt so viele Gegentore kassieren der 1. FC Köln (57), der TSV 1860 München (55) und Eintracht Frankfurt (53), damit steigen sie als Schlusslichter der Liga ab.