kicker

X-Klasse: Mercedes und die Lust am Laster

Der erste Pick-up mit Stern kommt

X-Klasse: Mercedes und die Lust am Laster

Aufbruch in ein neues Marktsegment: Die X-Klasse ist der erste Pick-up von Mercedes.

Aufbruch in ein neues Marktsegment: Die X-Klasse ist der erste Pick-up von Mercedes. Hersteller

Die Zaungäste, die entlang der Offroad-Strecke im südafrikanischen Franschhoek lauern, sind nicht unbedingt die umgänglichsten. "Vorsicht, Krokodile", warnt Björn Koschinsky und deutet auf den Tümpel am Wegesrand. Koschinsky, Entwicklungsingenieur bei Mercedes, sitzt am Steuer der neuen X-Klasse und demonstriert, was das jüngste Produkt der Schwaben auf befestigtem und teils außerordentlich unbefestigtem Terrain draufhat.

Es ist ein Mercedes, wie es noch keinen gab: Mit der X-Klasse steigt die Marke mit dem Stern ganz neu in den Pick-up-Markt ein. Warum, erklärt Volker Mornhinweg, der bei den Schwaben den Bereich "Vans" verantwortet. "Wir glauben einfach, dass die Zeit reif war", sagt er. "Der Pickup ist ein Weltprodukt, nach dem überall ein Bedarf besteht". Außerdem habe man einen Trend erkannt, der ähnlich verlaufe wie der vom zunächst rustikalen Geländewagen hin zum SUV. Heißt: Das einstige Arbeitstier Pick-up entwickelt zunehmend lifestylige Seiten und erschließt sich und seinem Hersteller somit neue, interessante Kundenkreise.

Arbeitstier und Freizeitlaster

Mercedes X-Klasse

Geländetauglich: Die allradgetriebenen Versionen kraxeln souverän über Stock und Stein. Hersteller

Und so soll die X-Klasse mehrere Missionen erfüllen, die als belastbarer Robusto ebenso wie die als schicker Freizeitlaster oder als vielseitiges Familienfahrzeug. Schon der Name weist auf Charakterzüge hin, die dem Pkw-Bereich zuzuordnen sind: "X-Klasse" reiht sich in die Nomenklatur von A- bis V-Klasse ein und nicht in die von Vito bis Sprinter. Da passt auch die Innenarchitektur ins Bild. Sicher, der X-Mercedes ist keine S-Klasse. Doch vom dem Armaturenträger aufgesetzten Bildschirm über den Dreh-Drück-Regler auf der Mittelkonsole bis hin zum Touchpad-Bedienelement sieht alles "very Mercedes" aus und durchaus edel. Je nach Investitionsfreude lässt sich das "Wohnzimmer" außerdem mit aufwendigem Infotainment, Lederausstattung oder edler Holzmaseroptik verfeinern.

Auch, was den äußeren Anschein betrifft, bestehen noch Nachrüst-Möglichkeiten. Optisch wirkt die X-Klasse kompakter, als sie mit ihrem stattlichen 5,34-Meter-Format eigentlich ist. Die hohe Motorhaube, der typische Mercedes-Kühlergrill und ein ebenso dekorativer wie nutzbringender Unterfahrschutz dokumentieren die angestrebte Annäherung ans Thema SUV. Die Fracht auf der Ladefläche lässt sich per Softcover, Hardcover, Rollcover oder Hardtop vor Wind, Wetter und nicht zuletzt vor Diebstahl schützen, optionale Details wie Side-, Bull- und Styling-Bars unterstreichen die "Hier-kommt-ein-ganzer-Kerl"-Attitüde.

Kapazität für 17 Bierfässer

Neben ihrer Fähigkeit, vor dem In-Lokal einen imagefördernden Effekt zu erzielen, kann die X-Klasse nämlich auch arbeitstechnisch zupacken. Sie lässt sich bis zu 1,1 Tonnen Nutzlast aufbürden - wer das denn möchte, kann also siebzehn volle 50-l-Bierfässer transportieren - und nimmt bis zu 3,5 Tonnen in Schlepp. An kreativen Ladelösungen bieten sich Trennsystem und Boden-Verzurrschienen an, später soll auch ein spezieller Fahrradträger für die Ladefläche kommen. Das technische Rückgrat bildet ein robuster Leiterrahmen, bei den 4WD-Varianten hilft je nach Modell ein zuschaltbarer oder permanenter Allradantrieb (mit Längsdifferenzialsperre und drei Fahrmodi) weiter.

Mercedes X-Klasse

Ganz Mercedes: Das Interieur dokumentiert das Bestreben, einen Premium-Pick-up zu etablieren. Hersteller

Unternehmungen wie dem Nachspüren versprengter Schafherden oder Baumfällarbeiten im verschneiten Forst dürfte der Wagen somit gewachsen sein. So lässt es auch eine erste Mitfahrt im neuen Mercedes-Pick-up vermuten. Björn Koschinsky steuert die X-Klasse über Stock und Stein; dabei kapituliert sie weder vor Wasserlöchern noch vor Geröllpassagen, auch Steilstücke kraxelt sie widerspruchslos hinauf bzw. hinab, wobei dem Fahrer technische Errungenschaften wie eine Bergabfahrhilfe (hält vordefinierte 5 bzw. 8 km/h ein) oder das magische Auge der 360-Grad-Kamera weiterhelfen, letztere gestattet einen beruhigenden Weitblick auf das, was hinter der Kuppe wartet.

Auf Knopfdruck macht der Vorderradantrieb Pause. Koschinsky lenkt die X-Klasse auf den asphaltierten Rennkurs und lässt es fliegen. Wie sportlich sich der Ladeflächen-Truck hier ins Zeug legt, ist die eigentliche Überraschung. Zwecks Kurvenhatz dürfte ihn kaum einer kaufen, aber nein, überfordert ist er beim schnellen Surfen von Kehre zu Kehre keineswegs.

Drei Diesel, kein Benziner

Perspektivisch dürfte es der X 250 d mit 2,3-l-Biturbo-Diesel und 190 PS an die Spitze der Verkaufshitliste schaffen. Die Rolle des Einsteigers übernimmt die kleinere, einfach aufgeladene Leistungsstufe im X 220 d, sie mobilisiert 163 PS. Während die beiden Diesel sowohl mit Hinterrad- als auch mit (zuschaltbarem) Allradantrieb zu haben sind, hilft dem X 350 d serienmäßig der permanente 4WD weiter. Das Topmodell mit 258 PS starkem V6-Diesel ist allerdings erst für Mitte 2018 annonciert. Eine 7-G-Automatik als Alternative zum manuellen 6-G-Getriebe gibt es für den X 250 d gegen Aufpreis, der X 350 d hat sie serienmäßig an Bord. Ein Benziner wird bei uns nicht angeboten. Die Fokussierung auf den Diesel erscheint in Zeiten wie diesen zumindest fragwürdig. Dabei läge der Ottomotor im Motorenregal bereit, andere Märkte bekommen den X 200 mit 165 PS sehr wohl.

Bei der Auswahl an Assistenzsystemen lässt wiederum die Nähe zum Pkw grüßen, die X-Klasse wacht über das Halten der Spur, leitet notfalls eine autonome Bremsung ein, liest Verkehrszeichen und stabilisiert den Anhänger.

Verwandt mit dem Nissan Navara

Die technische Basis für den Pick-up liefert übrigens der Nissan Navara; eine Verwandtschaft, die Mercedes eher verhalten kommuniziert. Man habe sehr schnell auf den Markt kommen wollen, sagt Volker Mornhinweg, da sei die über 80-jährige Expertise von Kooperationspartner Nissan im Segment sehr hilfreich gewesen. Dessen ungeachtet habe man die X-Klasse aber zum eindeutigen Mercedes-Pick-up von Premium-Format entwickelt.

Die X-Klasse tritt im Bereich der Midsize-Pick-ups an, auf die der Amerikaner aus seinem Heavy-Duty-Truck zwar nur müde herablächelt, die sich aber in anderen Weltgegenden – und da vor allem in Lateinamerika, Südafrika, Australien und Neuseeland – vielversprechender Wachstumsraten erfreuen. In seinem Umfeld trifft der Mercedes mit Ladefläche auf seinen Bruder Nissan Navara, aber auch auf den Ford Ranger (bei uns der Platzhirsch), die baugleichen Mitsubishi L200 und Fiat Fullback sowie auf den VW Amarok.

Mercedes X-Klasse

Erfüllt mehrere Missionen: Die X-Klasse soll sich als Arbeitstier ebenso bewähren wie als Lifestyler für die Freizeit. Hersteller

Als Einstiegspreis für den handgeschalteten X 220 d mit Heckantrieb nennt Mercedes 37.000 Euro. Mit Zugaben wie Allradantrieb, Infotainment und ein paar Extras dürften daraus locker 50.000 Euro werden. Dennoch kommt die X-Klasse immer noch günstiger als selbst ein viel kürzeres GLC-SUV, das mindestens 45.315 Euro kostet. Die Markteinführung erfolgt im November, die Publikumspremiere findet auf der Frankfurter IAA im September statt – dann mit vermutlich wohlgesonneren Zaungästen.

Ulla Ellmer

Mercedes X-Klasse in Kürze:

Wann sie kommt: Markteinführung im November

Wen sie ins Visier nimmt: Ford Ranger, Mitsubishi L200, Fiat Fullback, Nissan Navara, VW Amarok

Was sie antreibt: Vierzylinder-Diesel mit 163 und 190 PS

Was sie kostet: Ab 37.000 Euro

Was noch folgt: Sechszylinder-Diesel mit 258 PS

Mercedes X-Klasse: Ein Laster schließt die Lücke