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La Liga: Ist der FC Sevilla reif für den Meistertitel?

Die Andalusier sitzen Real Madrid im Nacken

Neue Töne oder die alte Leier: Ist der FC Sevilla reif für den Meistertitel?

Den Schlussakkord gesetzt: Lucas Ocampos nach seinem 2:1 gegen Atletico.

Den Schlussakkord gesetzt: Lucas Ocampos nach seinem 2:1 gegen Atletico. imago images/ZUMA Wire

Sevilla, das ist da, wo die Musik spielt. Die andalusische Metropole gilt als Stadt des Flamenco - und auch die Fans des FC Sevilla schicken bewegende Melodien von den Sitzschalen des Estadio Sanchez Pizjuan Richtung Spielfeld.

Denn der Klub aus Sevillas zentral gelegenem Stadtteil Nervión hat eine der schönsten, vielleicht sogar die schönste Vereinshymne im Fußball - in den spanischen Charts kletterte die "himno oficial" des lokalen Musikers El Arrebato sogar auf Rang eins. Unai Emery, mit Valencia häufiger in Sevilla zu Gast, übernahm die Rot-Weißen im Jahr 2013 und veranlasste erst einmal, dass sämtliche Spieler die 2005 komponierte Hymne auswendig lernen mussten. Vor jedem Heim- und Auswärtsspiel wird sie gesungen.

Gurken, Monchi und ein Chartbreaker: Fakten zum FC Sevilla

In der 16. Minute geht es dann weiter mit der gängigen Melodie von "I love you baby" - nur, dass die Fans stattdessen "Antonio Puerta" singen. 2007 brach der in der eigenen Jugend ausgebildete Sevillista mit der Rückennummer 16 auf dem Platz zusammen, starb wenige Tage später an Herzversagen. Seitdem wird des Spielers bei jeder Partie gedacht. Gänsehautmomente sind also garantiert bei einem Besuch in der 43.000 Zuschauer fassenden Arena.

Natürlich auch wegen der Mannschaft, die unten spielt. Sevilla, das ist dieses Team, das eigentlich schon als Europa-League-Sieger feststeht, sobald es in dem Wettbewerb mitmischt. Regelmäßig wie ein Refrain taucht der Klub in der Siegerliste auf. 2006, 2007, 2014, 2015, 2016 und 2020 gewannen die Rot-Weißen den Wettbewerb, bzw. den UEFA-Cup.

Warten seit 1946

Auch die Trophäe für die spanische Copa del Rey steht schon fünfmal im Vitrinenschrank - doch mit der Meisterschaft will es seit 1946 nicht mehr klappen, auch wenn ein Platz unter den Top-Mannschaften von La Liga fast immer reserviert ist. 2020/21 spielte das Team von Julen Lopetegui lange um den Titel mit, am Ende reichte es trotz neuem Punkterekord nur für Rang vier.

Und diesmal? Spätestens seit dem 2:1 gegen Meister Atletico am vergangenen Sonntag gilt Sevilla als letzter ernsthafter Verfolger von Real Madrid. Erst recht für den Fall, dass die Andalusier am Dienstagabend ihr Nachholspiel gegen den FC Barcelona gewinnen (LIVE! ab 21.30 Uhr bei kicker). Drei Pünktchen würden sie dann von den Königlichen trennen.

Der Meistertitel, er wäre Sevilla zu gönnen, dieser Truppe aus Jung und Alt, aus Heimkehrern und Aussortierten. Keeper Yassine Bounou riss vor seiner Zeit bei Sevilla im Sommer 2019 keine Bäume aus, in seiner ersten Saison war er "nur" der Europa-League-Torhüter. Sevilla holte den Titel, was zu einem Großteil auf den Marokkaner zurückzuführen war. Inzwischen steht er auch in La Liga zwischen den Pfosten.

Heimkehrer und Aussortierte

Was "Bono" mit vielen seiner Mitspieler gemeinsam hat: Irgendwann in der Vergangenheit spielte er mal bei einem der "großen Drei" in Spanien, ehe ihn sein Weg nach Sevilla führte. Von 2012 bis 2014 war er bei Atletico Madrid unter Vertrag. Das trifft auch auf Oliver Torres zu, der einst als größtes Talent der Colchoneros, für einige sogar des gesamten spanischen Fußballs, galt. Mit der U 19 wurde er 2012 Europameister, sein Debüt in La Liga gab er im Alter von 17 Jahren und neun Monaten unter Diego Simeone. Eingefleischte Real-Fans werden sich noch an Oscar Rodriguez erinnern, für die Königlichen kam er nur auf einen Einsatz in der Copa del Rey.

Doch auch die Ehemaligen des FC Barcelona, die die Ansprüche bei den Katalanen nicht oder nicht mehr erfüllen konnten, haben es Sevilla angetan. Außenverteidiger Aleix Vidal und Innenverteidiger Sergi Gomez haben den Klub zwar im Sommer verlassen, Munir und Rafa Mir (mit fünf Treffern der Toptorschütze) sind aber aktuelle Beispiele.

Und dann ist da natürlich noch Ivan Rakitic, der 2014 den Sprung von Sevilla zu Barça wagte und zu überzeugen wusste. Im Sommer 2020 fiel der 33-Jährige dann aber durch das Raster der Katalanen. Am Sonntag jagte er das Leder gegen Atletico (2:1) zum zwischenzeitlichen 1:0 in den Winkel - eine Bewerbung für das Tor des Jahres. Sevilla ist eben auch das Team der Aussortierten. Der aktuell verletzungsgeplagte Suso schaffte weder in Liverpool noch bei Milan den Durchbruch, bei Sevilla weiß er zu gefallen.

Neben Rafa Mir wirbelt vorne Lucas Ocampos, der vor allem zur Stelle ist, wenn es um die wichtigen Tore geht. Die jüngsten Siegtore gegen Villarreal (1:0) und Atletico gingen auf sein Konto. Der 27-jährige Flügelstürmer mit der ungewöhnlichen Rückennummer fünf, der übrigens das "merkwürdigste Spiel seines Lebens" am Ende im Tor erlebte, wird stets heiß gehandelt auf dem Transfermarkt, auch Real Madrid bekundete schon Interesse.

Mit dem jungen Marokkaner Youssef En-Nesyri (24), in der Vorsaison mit 18 Liga- und sechs CL-Treffern bester Torschütze der Rot-Weißen, hat Sevilla einen weiteren Pfeil im Köcher, derzeit ist aber auch er verletzt - genauso wie Urgestein Jesus Navas. Der emotionale 36-Jährige verließ Sevilla 2013 Richtung Manchester City, was in Spanien als kleine Sensation gewertet wurde. Der spanischen U 21 kehrte er einst den Rücken, weil ihn bei den Auslandsreisen mit der Auswahl das Heimweh zu sehr plagte. Navas überwand es, wurde in Manchester Meister, kehrte aber 2017 - auch wegen der immer stärkeren Konkurrenz - zurück in die Heimat.

Doch Sevilla - ebenfalls eine Stärke - kann auch ohne Navas Routine reinbringen. Da wäre neben Rakitic zum Beispiel der ehemalige Atalanta-Kapitän Papu Gomez (33).  Erfahrung bringt auch Sechser Fernando (34) mit, der über Manchester City und Galatasaray bei Sevilla landete, oder der Ex-Dortmunder Thomas Delaney (30).

Sevilla hat aber auch ein junges Juwel in seinen Reihen. Innenverteidiger Jules Koundé wird eine große Zukunft prognostiziert, gemeinsam mit Diego Carlos bildet er ein inzwischen gefürchtetes Duo. 12 Gegentore in 17 Ligaspielen lassen keine Fragen offen - Bestwert in La Liga.

Macher Monchi und der fordernde Lopetegui

Konstrukteure des heterogenen, aber bestens funktionierenden Sevilla-Gebildes sind - natürlich - ein Rückkehrer und ein Aussortierter. Der in der gesamten Branche hoch angesehene Sportdirektor Monchi verließ den Klub nach 20 Jahren im Jahr 2017 Richtung AS Rom und kam 2019 zurück. Coach seines Vertrauens ist Julen Lopetegui, den Monchi als "sehr fordernden Trainer" kennengelernt hat, wie er im kicker verriet. Nach seinem kuriosen Abschied von der spanischen Nationalmannschaft und seinem anschließenden Amtsantritt bei Real Madrid zur Saison 2018/19 wurde er von den Königlichen Ende Oktober schon wieder entlassen. Seit Sommer 2019 hat er in Sevilla das Sagen.

So gerne man Hymnen auch hört in Sevilla, die der Champions League wird man diese Saison nicht mehr zu Ohren bekommen. In Salzburg verloren die immer noch stark verletzungsgebeutelten Andalusier das Entscheidungsspiel mit 0:1, landeten deshalb auf Rang drei. 

Doch natürlich geht nicht nur in Sevilla das Gerücht um, das sei blanke Absicht gewesen. Schließlich spielen die Rot-Weißen nun in der Europa League weiter. Und das ist ja mal wirklich eine ganz alte Leier.

Christoph Laskowski