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Mediziner Warnecke im Interview: "Der Veganismus birgt Risiken"

Arzt und Ex-Schwimmer Warnecke über vegetarische und rein pflanzliche Ernährung

Mediziner Warnecke im Interview: "Der Veganismus birgt Risiken"

Fleischalternativen gibt es reichlich.

Fleischalternativen gibt es reichlich. AFP via Getty Images

Immer mehr Menschen entscheiden sich aus ganz unterschiedlichen Gründen für eine vegetarische Ernährung. Allein in Deutschland sagen mittlerweile rund acht Millionen Menschen, dass sie sich fleischlos ernähren. Was sagt der Ernährungsmediziner dazu, wenn ich im Alltag keine besonderen Belastungen habe?

Bei vegetarischer Ernährung habe ich keine Bedenken und sehe es als die vielleicht gesündeste Lebensweise an - selbst für Leistungssportler. Alles, wo ein Mangel auftreten könnte, kann ich auch ersetzen.

Was muss ich als Sportler besonders beachten, wenn ich mich vegetarisch ernähre?

Wenn ich mich mit ganz normaler ausgewogener und abwechslungsreicher Mischkost, die gleichermaßen pflanzliche wie tierische Produkte enthält, ernähre, habe ich für den Körper alles drin. Der Vegetarier kann über Milch, Quark oder etwa Eier seinen Eiweißbedarf normalerweise locker decken. Es hängt aber immer auch von der persönlichen Auslegung des Vegetariers ab. Beim Veganer, der komplett auf tierische Produkte verzichtet, sieht es schon anders aus.

Welche anderen wichtigen Nährstoffe sollte ich bei meiner Ernährung besonders beachten?

Alles, was normalerweise im Fleisch oder Fisch ist, darauf sollte auch vermehrt geachtet werden. Also Eisen, Zink, Omega-3-Fettsäuren oder die B-Vitamine etwa. Als Vegetarier kann ich die Stoffe zwar noch gut kontrollieren und zu mir nehmen, aber ich sollte schon ein Auge darauf werfen.

Vitamin B12 spielt im menschlichen Körper eine große Rolle und muss häufig künstlich zugeführt werden. Was wären die Folgen eines Mangels konkret?

Vitamin B12 greift in viele Stoffwechselprozesse ein und ist für die Blutbildung, die Muskulatur und das Gehirn sehr wichtig. Fehlt es, kann es zu Müdigkeit oder neurologischen und psychiatrischen Symptomen kommen. Das kann von Verwirrtheit bis hin zu Depressionen gehen. Wenn man den Mangel einmal hat, geht es den Patienten wirklich schlecht.

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Das Problem bei Vitamin B12 ist, dass der Körper dafür sehr große Speicher hat und es entsprechend lange speichern kann. Wenn ich meine Ernährung umstelle und zu wenig B12 zu mir nehme, passiert sehr lange Zeit nichts und ich fühle mich wohl. Dann laufe ich sehr zeitverzögert in einen solchen Mangel, obwohl ich mich sehr lange noch gut fühle, und weiß dann, wenn die Probleme losgehen, überhaupt nicht, wo es herkommt.

Jetzt kann ich Nahrungsergänzungsmittel wie B12 im Supermarkt billig kaufen oder in der Apotheke für ein Vielfaches. Gibt es da Unterschiede?

Da muss schon unterschieden werden, da es in den Drogerien auch sehr schlechte Produkte gibt. Wenn ich persönlich keine Ahnung hätte, wie viel ich tatsächlich benötige, würde ich bei solchen Produkten in die Apotheke gehen, wenn ich in dem Moment durch meine Ernährungsform in einen Mangel laufen könnte - vor allem bei Veganern. Da wäre es mir persönlich wichtig, ein qualitativ hochwertiges B12 zu mir zu nehmen, was der Körper auch gut verwerten kann. Auf Verdacht sollte man allerdings auch nicht einfach substituieren, eine Blutuntersuchung liefert klare Ergebnisse. Ratsam wäre diese vor einer geplanten Lebensstilumstellung und dann immer mal wieder im Verlauf.

Kann ich bei den klassischen Nahrungsergänzungsmitteln auch Gefahr laufen, zu viel von etwas aufzunehmen?

Alles hat irgendwann eine toxische Wirkung oder bringt eben nichts. Ich habe gerade beobachten können, wie sich im Internet Hersteller von Vitaminpräparaten und Probiotika mit Höchstdosierungen überbieten. Das sehe ich tatsächlich sehr kritisch. In der Regel passiert nichts, es gibt aber auch gefährliche Überdosierungen bei den fettlöslichen Vitaminen (A, E, K und D) zum Beispiel. Ich bin deshalb bei Nahrungsergänzungsmitteln auch kein Freund davon, überall die 1000 Prozent reinzukloppen. Bei der Substitution sollte die normale Ernährung immer als Basis genommen werden und gezielt nur das Notwendige substituiert werden und nicht immer direkt alles. Mehr hilft hier nicht mehr, sondern es schadet eher. In Mode sind ja auch Vitamintabletten. Dazu gibt es verschiedene Studien.

Früher hieß es beispielsweise mal, dass Raucher unbedingt Vitamin A einnehmen sollten, um ihr Krebsrisiko zu senken. Dann kam aber raus, dass Beta-Carotin, eine Vorstufe des Vitamin A, bei Rauchern sogar das Krebsrisiko erhöht. Ich bin kein Freund davon, Vitamine zu nehmen, um dann zu glauben, dass alles gut sei. Eigentlich sollte durch die normale Ernährung alles abgedeckt sein. Wenn durch eine spezielle Ernährungsweise, erhöhter Belastung oder aus sonst einem Grund mehr Bedarf ist, sollte gezielt substituiert werden.

Was ist von einer rein veganen Ernährung zu halten?

Mediziner Mark Warnecke

Mediziner Mark Warnecke.

Der Vegetarier kann seine Proteine, Vitamine und Mikronährstoffe relativ einfach aus verschiedenen tierischen Produkten ziehen. Das ist auch relativ einfach beim Protein, weil für den Körper tierische Proteine einfach verwertbar und verfügbar sind. Da bekommt der Veganer schon eher ein Problem. Unabhängig von meiner eigenen Meinung gibt es zwei Richtungen, die diskutiert werden.

Bei Kleinkindern ist es nicht angebracht, weil sie noch einen erhöhten Proteinbedarf haben und auch der Verdauungstrakt die pflanzlichen Proteine viel schlechter aufnimmt.

Daneben sagt eine aktuelle Studie der Wageningen University, dass bei Menschen über 65 die vegane Ernährung nicht mehr empfohlen werden kann, weil sie ab dem Alter gegen den Muskelabbau ankämpfen müssen und den nötigen Bedarf mit rein pflanzlichen Proteinquellen nicht mehr decken. Je mehr Muskelmasse ich abbaue, desto mehr Lebensqualität und Selbstständigkeit gehen einfach gesagt verloren. Der Hunger wird weniger im Alter, und die Proteine ausschließlich über pflanzliche Lebensmittel aufzunehmen, wird immer schwieriger. Die Menschen sind eher satt, müssten aber größerer Mengen schlechter verwertbares Protein zu sich nehmen.

Unabhängig davon finde ich die Einstellung der Veganer zur Umwelt und zum Tierwohl absolut unterstützenswert und gut.

Eine Ernährung, bei der ich substituieren muss, ist nicht per se gesund, sondern ich muss darauf achten, dass es gesund wird und sollte wirklich Bescheid wissen. Der Veganismus birgt Risiken.

Mark Warnecke

Wie gesund ist die vegane Ernährung letztlich?

Es muss gesagt werden, dass die vegane Ernährung in ihrer Darstellung mit dem grünen V als Blatt auf dem Label einen gesunden Eindruck vermitteln möchte. Doch eine Ernährung, bei der ich substituieren muss, ist nicht per se gesund, sondern ich muss darauf achten, dass es gesund wird und sollte wirklich Bescheid wissen. Der Veganismus birgt Risiken. Deswegen wird ja auch empfohlen, sich beraten zu lassen, um eine Mangelernährung zu vermeiden, weil das bei dem Ernährungsstil eben sehr schnell geht. Einfach funktioniert vegan bei den Süßigkeiten. Vegane Schokolade schmeckt gut und macht aus Tierwohlsicht auch absolut Sinn, aber das hat ja mit gesund erst einmal nichts zu tun und auch Dattelsnacks bleiben trotz der vielen positiven Dinge, die sie dem Körper liefern, wie Mineralien, Vitamin B, Ballaststoffe und Antioxidantien, mit 75 Prozent Kohlenhydraten und 63 Prozent Zucker eine Süßigkeit.

Unterscheiden sich hier der Fußballer vom Marathonläufer oder dem Normalo, der im Fitnessstudio nur ein bisschen pumpen möchte?

Ein Veganer hat ja auch als Nichtsportler per se schon das Problem, dass er sich sehr mit seiner Ernährung beschäftigen muss, damit er seine Stoffe wie Vitamin B12 bekommt und es überhaupt gesund ist. Ein Sportler hat hier und da nur noch einmal zusätzlich einen erhöhten Bedarf, und schnellere Proteinquellen zum Beispiel lassen auch schneller regenerieren. Was immer fehlt, ist aber bei allen ein kollagenes Protein. Im Fleisch ist dieses natürlicherweise enthalten. Mittlerweile gibt es viele Studien, die sich mit dem Thema Kollagen beschäftigt haben, weil es zu messbaren, positiven Veränderungen, nicht nur bei der Hautstraffheit, sondern auch im Muskelstoffwechsel, bei Bändern und Gelenken kommt. Sofort werden aufgrund dieser Erkenntnisse natürlich auch pflanzliche Kollagenprodukte entwickelt, die es aber nicht gibt, weil die Besonderheiten tierischen Kollagens eben nicht nachzubauen sind auf pflanzlicher Basis. Nur die Aminosäuren des Kollagens nachzumischen ist leider nicht dasselbe.

Funktioniert die vegane Ernährung auch bei Leistungssportler?

Ja, die vegane Ernährung funktioniert auch bei Leistungssportlern, wenn genau darauf geschaut wird. Vegane Sportler müssen sich intensiv mit ihrer Ernährung auseinandersetzen. Es ist natürlich immer gesünder, wenn du dich mit deiner Ernährung beschäftigst, als dir einfach irgendwo was zu holen und es einzuwerfen, bei der veganen Lebensweise ist es allerdings Pflicht zu schauen! Der Veganer als Sportler hat da echte Hürden, aber den Vorteil, wenn er es richtig macht, weiß er, was er tut. Allein der aktive Umgang mit dem Thema Ernährung bringt einen riesigen Vorteil, das trifft für alle zu, nur erfolgreiche vegane Sportler haben dies der Mehrheit voraus.

Ihre Firma rüstet ja auch zahlreiche Bundesligaklubs mit Nahrungsergänzungsmitteln aus. Gibt es da auch eine Ernährungsberatung für die Spieler?

Ja, klar machen wir das. Es ist von Klub zu Klub verschieden, ist aber sehr erfolgreich. Aktuell fangen wir mit der Betreuung der FC Bayern München Frauen an, da freue ich mich besonders drauf, weil die Spielerinnen sehr viel Interesse an dem Thema mitbringen. Ich denke, da werden wir zusammen viel erreichen können.

Wenn du nur Fleisch und Fett isst, nimmst du auch ab, weil der Stoffwechsel erstmal umstellt. Aber solche Diäten sind natürlich absolut nicht empfehlenswert.

Mark Warnecke

Einer der bekanntesten Sportler mit veganer Lebensweise ist Novak Djokovic. Seine gesteigerte Regenerationsfähigkeit nach intensiven Trainingseinheiten führt der Tennisprofi auf seine pflanzliche Ernährung mit Hülsenfrüchten, Nüssen, Samen, Gemüse und Obst zurück. Ist das belegbar oder mehr ein Gefühl?

Das ist ein sehr schwieriges Thema mit keiner eindeutigen Studienlage. Wenn ich jetzt beispielsweise eine Fastenkur mache und eine Weile nichts esse, fühle ich mich ja auch richtig gut und kraftvoll. Was heißt es denn, wenn ich jetzt zwei Jahre faste? Das gute Gefühl ist eben auch immer ein bisschen subjektiv.

Aber wenn er das Thema richtig professionell angeht, wovon ich ausgehe, kann es ja auch schon zu einer Verbesserung der Nährstoffzufuhr gekommen sein. Der Startpunkt ist mir nicht bekannt. Fakt ist, man muss genau wissen, was man tut, dann kommt man weiter. Am meisten wird auch hier die Veränderung und das Bewusstmachen der Ernährung und der aktiven Auseinandersetzung mit Nährstoffbedarf und der adäquaten Nährstoffzufuhr gebracht haben.

Bei geglückten Diäten hört man häufig, dass der Sport Ursache für den Abnehmerfolg sei. Ist es so einfach?

Durch das sportliche Ziel oder das sportliche Engagement wird auch unbewusst die Ernährung angepasst. Pommes Mayo vor der Laufeinheit verträgt sich nicht so gut und man spürt am nächsten Tag auch den Wein oder das Bier vom Vorabend noch. Man stellt automatisch die Ernährung um. Der Sport und die Motivation helfen, den Lebensstil zu ändern und die Fehler der Ernährung zu minimieren. Das, was ich durch zwei Stunden Sport verbrenne, bekomme ich locker im Süßigkeitenregal wieder rein. Sport ist ein Teil des Puzzles, aber nicht der einzige Grund. Aus eigener Erfahrung sage ich ganz gerne auch, dass man durch Sport nicht abnimmt.

Kann der Verzicht auf tierische Produkte beim Abnehmen helfen?

Ja, das kann er. Bei Diäten würde ich immer Richtung pflanzliche Ernährung gehen, weil es da große Vorteile gibt. Allein durch den vermehrten Ballaststoffanteil kann man viel erreichen. Wenn du nur Fleisch und Fett isst, nimmst du auch ab, weil der Stoffwechsel erstmal umstellt. Aber solche Diäten sind natürlich absolut nicht empfehlenswert.

Was auf jeden Fall empfehlenswert ist, sind vegane Tage einzulegen oder sich vegetarisch zu ernähren. Denn bei der Betrachtung der Ernährung von Sportlern wie Normalos haben wir häufig einen erhöhten Konsum unsinniger tierische Produkte, die in der Menge nicht zum Überleben oder für die Nährstoffzufuhr notwendig sind. Das wird wiederum von Studien belegt, dass durch vegane Tage Vorteile für die Gesundheit erzielt werden können. Vegane Tage tun niemandem weh und nutzen nur. Außerdem kommt es dem Tierwohl zugute. Wenn wir alle Menschen um ein paar Prozent veganer machen würden, hätten wir sehr viel erreicht. Optimal ist nach aktueller Studienlage eine ausgewogene Mischernährung, allerdings mit sehr deutlich reduziertem Anteil tierischer Produkte, was nicht direkt komplettes Weglassen bedeutet.

TRANSPARENZHINWEIS
Der Olympia-Verlag kooperiert mit der Mark Warnecke GmbH und vertreibt u.a. Produkte über den kicker Shop.

Interview: Tobias Rudolf