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Streichsbier: "Man merkt, dass sich wenige mit Jugendfußball beschäftigen"

U-19-Bundestrainer im kicker-Interview

"Man merkt, dass sich wenige mit Jugendfußball beschäftigen"

Startet mit seiner U 19 in die Heim-EM: Guido Streichsbier.

Startet mit seiner U 19 in die Heim-EM: Guido Streichsbier. imago

Das Team von Guido Streichsbier will im Klassiker vor dieser Kulisse natürlich nicht enttäuschen. Im Interview mit dem kicker spricht der DFB-Trainer über die Vorbereitung, den speziellen Druck als Gastgeber, seinen Favoriten, das starke Teilnehmerfeld, die deutschen Gegner, seine Ziele und Spielweise und die Säulen in seinem Team. Außerdem erklärt er, warum die Erwartungshaltung bei vielen überzogen ist und verrät sein Wunschergebnis zum Auftakt.

kicker: Herr Streichsbier, gab es eigentliche eine doppelte Party, als Marcus Sorg zum Assistenten von Joachim Löw befördert wurde und Sie deshalb die U19 übernahmen und jetzt bei der Heim-EM betreuen dürfen?

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Trainersteckbrief Streichsbier
Streichsbier

Streichsbier Guido

Streichsbier: (lacht) Nein. Wir haben uns beide über unsere Beförderung gefreut, aber noch keine Party angesetzt. Vielleicht kommt sie nach dem Halbfinal-Aus der A-Mannschaft noch im kleinen Stil Ende Juli, wenn wir ein erfolgreiches Turnier gespielt haben.

kicker: Ihnen blieb nicht viel Zeit, Sie coachten die U19 erstmals im März in zwei Vergleichen mit Südkorea, die Ihr Team 2:1 und 1:0 gewann. Zuletzt waren Sie acht Tage im Trainingslager im österreichischen Schladming. In den Tests wurde die U 19 von Greuther Fürth mit 4:0 besiegt und es gab ein 0:0 gegen eine Auswahl von 1860 München. Wie fällt das Fazit zur Vorbereitung aus?

Streichsbier: Die Ergebnisse waren noch nicht so zufriedenstellend, aber die Jungs hatten vorher nur Lauftraining, da braucht man immer ein paar Tage und Einheiten bis man seinen Rhythmus findet. Bis am Montag sollte es passen.

kicker: Dann warten in der ausverkauften Stuttgarter Arena gegen Italien fast 55.000 Zuschauer, Sie sind der Gastgeber, vor zwei Jahren hat die U 19 die EM gewonnen. Wie groß ist der Druck für Sie und Ihre Mannschaft?

Streichsbier: Man spürt natürlich die Erwartungshaltung durch die Gastgeberrolle und die vielen Zuschauer, die kommen. Ich wohne in Karlsruhe, in der Nähe findet ja die Finalrunde statt. Man trifft viele Leute, die einen darauf ansprechen. Man merkt aber auch, dass sich wenige mit Jugendfußball beschäftigen, weil sie alle sagen, das sollte ja kein Problem sein, dass man da Europameister wird. Da wird die Qualität unterschätzt, die wir bei dem Turnier sehen werden.

Der Topfavorit ist für mich England.

Guido Streichsbier

kicker: Auf welche Teams kann man sich ganz besonders freuen, wer zählt für Sie zum Favoritenkreis?

Streichsbier: Alle acht. Aber der Topfavorit ist für mich England. Ansonsten hat jedes Team viel individuelle Klasse. Dasjenige, das in einen guten Fluss reinkommt, kann sich berechtigte Hoffnungen auf den Titel machen. Ich schließe wirklich keinen aus. Bei der letztjährigen EM war ich in Griechenland mit dabei. Da hat man schnell gesehen, dass sie nur dabei waren, weil sie der Gastgeber waren. Dieses Jahr sind wir ein starker Gastgeber, und alle anderen sind relativ souverän durch ihre Qualifikationsgruppen marschiert. Frankreich hat viele gute Individualisten. Kroatien kommt wieder mit einer Vereinsmannschaft, weil fast alle bei Dimano Zagreb spielen, inklusive Josip Brekalo, der jetzt zu Wolfsburg wechselte für acht Millionen Euro. Es ist keine Floskel, auch wenn Trainer gerne den Gegner stark reden, aber dieses Mal haben wir ein sehr enges Teilnehmerfeld.

kicker: Wie ist Auftaktgegner Italien einzuschätzen?

Streichsbier: Italien ist wieder dabei und hat in der Vorbereitung, wie man sie kennt, defensiv sehr strukturiert gespielt. Ähnlich wie die A-Mannschaft verfügen Sie über ein gutes Umschaltverhalten. Defensiv sehr gewieft und diszipliniert zu spielen - das nehmen die Italiener wahrscheinlich schon mit der Muttermilch auf.

kicker: Was kann man von Portugal erwarten?

Streichsbier: Auch wenn Bayerns Neuzugang Renato Sanches wegen der Teilnahme an der großen EM fehlt, verfügen Sie über viel individuelle Klasse. Sie treten im 4-3-3 mit sehr dynamischen und trickreichen Offensivspielern auf.

kicker: Österreich ist durch die A-Mannschaft mal wieder, wenn auch letztlich enttäuschend, auf die große Fußballbühne zurückgekehrt. Wie steht es um deren U 19, Ihren letzten Gruppengegner?

Streichsbier: Im letzten Jahr haben wir in diesem Jahrgang das abschließende Länderspiel in der U 18 vor den Toren von Augsburg 0:1 gegen Österreich verloren. Sie sind offensiv sehr spielstark und variabel, halten in eigenem Ballbesitz kaum eine Position, rochieren viel. Das macht sie im Angriff schwerer ausrechenbar, das ist deren große Waffe.

Trainingslager Schladming

Streichsbier (re.) beobachtet seine Schützlinge Neumann (li.), Serdar (2.v.li.) und Putaro (2.v.re.) im Trainingslager in Schladming. imago

kicker: Ist bei so einem öffentlichkeitswirksamen Heimturnier der Erfolg ein Stück wichtiger als sonst, wenn eher die Ausbildung im Vordergrund steht?

Streichsbier: Für die Öffentlichkeit sicher. Man muss aber auch sehen, wie schwer sich die deutschen Teams in der Youth League (Champions League der U19, Anm. d. Red.) tun, überhaupt die Vorrunde zu überstehen. Das hat in den letzten zwei Jahren nur einmal Schalke geschafft, alle anderen sind gescheitert. Da sieht man, dass es schwer wird. Wir wollen natürlich trotzdem unsere Jungs dazu erziehen, dass sie solche U-Turniere erfolgreich abschließen. Einerseits sollen sie die Erfahrungen machen, möglichst viele U-Turniere zu spielen. Dann kommt es optimalerweise so wie bei Joshua Kimmich. Der hat vor zwei Jahren die U-19-EM gewonnen, im letzten Jahr die U-21-EM gespielt, und jetzt ist er bei der großen EM dabei. Da kannte er schon den Rhythmus, alle drei Tage auf Topniveau zu spielen, wusste, wie man sich regenerieren muss, dass man sich nicht ablenken lassen darf, um sich jedes Mal wieder aufs Neue auf einen anderen Gegner einzustellen. Es ist das Ziel, dass wir zusammen mit der guten Vereinsarbeit den Jungs durch die Turniere einen Extra-Schub mitgeben, dass sie für große Turniere gewappnet sind, die Erfahrungen aber auch nutzen, um Bundesligaspieler zu werden. Wir gehen also nicht auf reinen Ergebnisfußball, wollen aber auch den Siegeswillen und die Härte ausbilden, gegen starke Gegner zu bestehen.

kicker: Was ist das konkrete Ziel?

Streichsbier: Das erste Ziel ist es, ins Halbfinale einzuziehen. Darauf richten wir uns aus. Wenn wir dann im Halbfinale sind, wollen wir auch mehr, das ist ja logisch. Aber erstmal müssen wir drei knackige Vorrundenspiele überstehen. Und das Minimalziel ist Platz 5, damit die Jungs eben nächstes Jahr bei der U-20-WM in Südkorea wieder die Möglichkeit haben, ein Turnier zu spielen.

kicker: Zum Fußball selbst. Wie wollen sie spielen lassen?

Streichsbier: Ich habe eine spielstarke Mannschaft mit sehr guten Technikern im Mittelfeld. Wir wollen so spielen, dass deren Klasse zum Tragen kommt und wir dadurch die Spiele gewinnen. Mit Sportdirektor Hansi Flick haben wir uns auf die Fahnen geschrieben, dass wir aktiven Fußball spielen wollen. Die Initiative zu ergreifen, ist unser Anspruch, und das geben wir den Jungs auch mit.

kicker: Setzen Sie wie in den letzten Tests wieder auf ein 4-2-3-1?

Streichsbier: Ja, das wird die Grundordnung sein. Daraus ergeben sich auf meine Spieler zugeschnitten genügend Optionen, wo wir dann auch variabel sind.

Wenn aber welche anfangen zu denken, jetzt machen sie ihr eigenes Ding, dann wird es schwierig, etwas zu erreichen.

Guido Streichsbier

kicker: Sie haben Ihre Spieler angesprochen. Tragen Benjamin Henrichs, Philipp Ochs und Suat Serdar, die sich schon einige Male in der Bundesliga beweisen durften, besondere Verantwortung?

Streichsbier: Ja, klar, sie sind die Ersten, die unsere Fahne hochhalten sollen. Aber es ist nicht so, dass wir hier einen absoluten Topstar drin haben. Wenn ich es mit der Mannschaft aus dem letzten Jahr vergleiche, da gab es mit Timo Werner und Leroy Sané zwei Akteure, die schon in der Bundesliga sehr auffällig waren. Henrichs, Ochs und Serdar haben gut gespielt, hatten aber noch nicht die Schlagzeilen wie etwa die anderen beiden. Das aktuelle Team zeichnet sich vor allem durch einen tollen Mannschaftsgeist und einen Top-Umgang im zwischenmenschlichen Bereich aus. Das war gerade in der Woche in Österreich wieder sehr auffallend und angenehm. In dieser mannschaftlichen Geschlossenheit liegt die Stärke. Es ist jedem klar, dass wir das reinwerfen müssen. Darauf aufbauend kann natürlich der eine oder andere ein auffälliger Spieler dieser EM werden. Wenn aber welche anfangen zu denken, jetzt machen sie ihr eigenes Ding, dann wird es schwierig, etwas zu erreichen.

kicker: Zum Abschluss. Was wünschen Sie sich am Mittwochmittag für die fast 55.000 Zuschauer in Stuttgart, lieber ein 4:3 oder ein 1:0 gegen Italien?

Streichsbier: (lacht) Ich wünsche mir, dass sie zufrieden nach Hause gehen und einen Sieg von uns gesehen haben. Wir hoffen, dass wir ein tolles Spiel zeigen, und ein 1:0 kann ja auch aufregend und zufriedenstellend sein fürs Publikum. Ich war vor zwei Jahren beim Endspiel in Brasilien und da war ich mit dem 1:0 auch hochzufrieden (lacht).

Interview: Carsten Schröter