Bundesliga

Mainz aus den Fugen: Plötzlich stellt sich die Charakterfrage

Blamable Momentaufnahme beim Debakel in Wolfsburg

Mainz aus den Fugen: Plötzlich stellt sich die Charakterfrage

Seine Apelle verhallten: Der Mainzer Trainer Bo Svensson.

Seine Apelle verhallten: Der Mainzer Trainer Bo Svensson. picture alliance/dpa

Die Tendenz ist schon weit Wochen rückläufig. Den letzten Sieg feierte Mainz beim 4:0 gegen Bielefeld am 19. März. Seitdem folgten fünf Partien ohne Sieg und nur noch zwei Zähler. Die Leistungen waren dabei phasenweise noch ansprechend wie beim 1:1 in Gladbach, zum größeren Teil aber eher enttäuschend wie vor Wochenfrist beim 0:0 gegen Stuttgart.

Des Öfteren musste Trainer Bo Svensson konstatieren, sein Team sei "nicht bereit gewesen für ein Bundesliga-Spiel", meistens galt das für die Zeit vor der Halbzeitpause. In der Regel folgten dann aber auch immer wieder Lichtblicke, so dass nachvollziehbarer Weise niemand den Stab über die Mannschaft brechen wollte.

Das 0:5 in Wolfsburg aber ließ am Freitagabend nur einen Schluss zu: Mainz 05 ist momentan aus den Fugen. Und ausgerechnet bei jenem Team, das seit Svenssons Amtsantritt im Januar 2021 konstant für Intensität, Leistungsbereitschaft und Leidenschaft stand, stellt sich plötzlich die Charakterfrage.

Es war klar, jetzt geht es um die Ehre. Wir wollten uns nicht abschlachten lassen.

Silvan Widmer

Der Auftritt in Niedersachsen: In allen Belangen blamabel. "Eine Frechheit", wie Svensson über die ersten 45 Minuten zu Recht urteilte. Dass die Partie nach der Roten Karte gegen Niklas Tauer wegen Notbremse und dem folgenden Elfmeter zum 0:2 nicht mehr zu gewinnen war, ist das Eine.

Doch wie sich die Rheinhessen bis zur Pause auseinandernehmen ließen und drei weitere Gegentreffer kassierten, spottet jeder Beschreibung. Auftreten und Verhalten nahezu jedes Einzelnen grenzte mindestens an Arbeitsverweigerung. Neben Torwart Robin Zentner war Angreifer Jonathan Burkardt der einzige Mainzer, der sich erkennbar aufbäumte, wenn auch vergebens.

Niakhatés Hoffnung und Anspruch

Immerhin: Welche fatale Außenwirkung das Geschehen hatte, schien den Beteiligten hinterher bewusst. "Zur Halbzeit war klar, jetzt geht es um die Ehre für den ganzen Verein und ganz Mainz", formulierte Silvan Widmer nach Abpfiff, "wir wollten uns nicht abschlachten lassen." Die Frage, was zum kollektiven Ausfall geführt habe, konnte oder wollte indes ad hoc keiner beantworten. Ein grundsätzlicher Spannungsabfall liegt nahe, da es tabellarisch für die 05er praktisch um nichts mehr geht. Kapitän Moussa Niakhaté entgegnet indes: "Ich hoffe nicht, dass es daran liegt. Denn wir sind alle Profis. Und als Profi musst du jedes Spiel so annehmen als wäre es das letzte."

Der Schlendrian droht zur Belastung für nächste Saison zu werden

Was darüberhinaus im Argen liegen könnte, bleibt freilich erst Recht rätselhaft. Fakt ist: Svenssons seit Wochen wiederholte Appelle an die Eigenmotivation seiner Schützlinge verhallen bei diesen mehr und mehr. Auch die erhofften personellen Impulse des Fußballlehrers, der mit seiner Aufstellung überraschte, brachten nicht den gewünschten Effekt. Eher im Gegenteil.

Mit Sechser Dominik Kohr und Angreifer Karim Onisiwo ließ Svensson von Beginn an zwei - zuletzt in der Tat nicht überzeugende - Stammkräfte draußen, die mit Physis und Kampfkraft insbesondere für jene Tugenden stehen, die besonders schmerzlich vermisst wurden. Onisiwo-Vertreter Marcus Ingvartsen erwies sich in seiner Teilnahmslosigkeit ebenso als Totalausfall wie beispielsweise Mittelfeldakteur Jean-Paul Boetius, bei dem sich nur die Frage nach dem größeren Ärgernis stellte: War es die Schludrigkeit im Spielaufbau oder die Verweigerung des Defensivverhaltens?

Boetius-Vertrag wird wohl nicht verlängert

Für Svensson war der Niederländer zuletzt wieder eine feste Größe. Doch in Wolfsburg wurde deutlich, warum der Klub Boetius' auslaufenden Vertrag bei allem fußballerischen Potenzial vermutlich nicht verlängern wird. "Wir müssen über viele Dinge intern sprechen", stellte Svensson am Freitagabend fest. Wohl wahr. Und: Eine Trendwende sollte tunlichst noch in den kommenden drei Partien zu besichtigen sein. Die Saison im aktuellen Schlendrian austrudeln zu lassen, brächte aller Erfahrung nach sehr wohl auch eine Hypothek für den Start der nächsten Spielzeit mit sich.

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