Nationalelf

Löw sendet klare Botschaften

Ein Kommentar von kicker-Chefreporter Karlheinz Wild

Löw sendet klare Botschaften

So sieht der Neuanfang vorerst aus: Joachim Löw und sein neuer Kader.

So sieht der Neuanfang vorerst aus: Joachim Löw und sein neuer Kader. imago

Es war ein sehr klarer, kämpferischer, von seinem Vorgehen überzeugter Joachim Löw, der sich da bei seinem ersten öffentlichen Auftritt 2019 in der DFB-Zentrale in Frankfurt zum Start ins neue Länderspieljahr präsentierte. Die Debatte, die er mit der überraschenden Zwangsverabschiedung der Weltmeister Jerome Boateng, Mats Hummels und Thomas Müller am 5. März losgetreten hatte , erhellte der Bundestrainer in mehreren Punkten: Diese Entscheidung hätten er und seine Assistenten "vor zwei oder zweieinhalb Wochen" getroffen, und zwar komplett unbeeinflusst und "aus voller Überzeugung", nachdem sie den Verlauf der zweiten Hälfte des missratenen WM-Jahres 2018 mit dem Abstieg aus der Nations League sowie die ersten Klub-Spiele 2019 begutachtet hätten.

Telefonate mit Müller und Boateng

Boateng, Hummels und Müller haben Löw mit ihren durchaus diskutablen Vorstellungen zu einem Umdenken animiert, obwohl der DFB-Chefcoach noch im Herbst mehrmals deren Bedeutung mit ihrer Erfahrung und als Bestandteile einer unverzichtbaren Achse herausgestellt hatte. Deswegen traf diese abrupte Kurskorrektur dieses Trio wie ein Hammerschlag. Diese drei Akteure - mit Boateng und Müller hat Löw mittlerweile telefoniert, warum nicht mit Hummels? - genießen Löws "aller-, allergrößte Wertschätzung" und "allergrößte Dankbarkeit", so der Bundestrainer nachdrücklich, deshalb wollte er sie in jedem fall auch im direkten Gespräch informieren. Hätten sie es anders erfahren, "hätte ich mich geschämt". Allerdings wäre jede andere Haltung zu diesen höchst verdienten Spielern bei der Tragweite der Botschaft ohnehin ein Unding gewesen. Zumindest für Löw sind nun alle Ungereimtheiten mit diesen drei Ex-Nationalspielern ausgeräumt.

Trainersteckbrief Löw
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Grindel gehört nicht zum innersten Zirkel

Diese Tour nach München musste als topgeheime Aktion ablaufen und die Zahl der Mitwisser auf den engsten Kreis beschränkt werden, weil Löw befürchtete, dass sonst vorab etwas durchsickern könnte. Es sagt viel über das innerbetriebliche Vertrauensverhältnis im DFB aus, wenn Löw den Präsidenten Reinhard Grindel nicht zu diesem innersten Zirkel zählt. Die Nachricht ließ er über Direktor Oliver Bierhoff an das DFB-Oberhaupt weiterleiten. Und damit ja keine Missverständnisse aufkommen, weil Löw den DFB-Präsidenten nicht grundsätzlich über seine Personalauswahl unterrichtet hatte, stellte der Trainer unmissverständlich fest: Seine sportlichen Entscheidungen treffe er absolut autark. Er habe also Grindel auch deswegen nicht über seine Grundsatzentscheidung zu Boateng, Hummels, Müller in Kenntnis setzen müssen. Und dieser Beschluss ist zum jetzigen Zeitpunkt - auch wenn es im Fußball wie im Leben immer Eventualitäten gibt - definitiv, wie der O-Ton Löw beweist: "Ich plane ohne sie."

kicker-Chefreporter Karlheinz Wild

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Neue Spielidee benötigt neues Personal

Eine "etwas andere Spielidee", die fortan angestrebt wird, lieferte Löw zusätzliche Gründe für dieses Revirement. Mit mehr Schnelligkeit, Dynamik, Zielstrebigkeit, flotten Ballpassagen und Verlagerungen sowie Tempo im letzten Drittel soll es künftig in der Nationalmannschaft voran gehen. Dazu brauche er handlungsschnelle Kräfte mit der Fähigkeit zu spontan richtigen Lösungen, die das verjüngte Personal liefern solle. Für ihn sei "jetzt" der optimale Zeitpunkt für die weitere Veränderung gewesen, denn im Spieljahr 2019 könne sich die neue DFB-Auswahl finden, fußballspezifisch und hierarchisch-atmosphärisch. Die Zulassung zur Europameisterschaft 2020 werde gegen die Niederlande, Weißrussland, Estland und Nordirland gelingen, versprach Löw. Die Partien bis dahin, beginnend am kommenden Mittwoch in Wolfsburg gegen Serbien, will Löw zur Festigung der neuen Formation nutzen.

Die Neulinge habe sich ihre Berufung verdient

Sensationen tischte der Bundestrainer bei der Vorstellung der drei Torhüter sowie 20 Feldspieler nicht auf. Lukas Klostermann (22/ Leipzig/ Außenverteidiger), Niklas Stark (23/ Berlin/ Abwehr) und Maximilian Eggestein (22/ Bremen/ Mittelfeld) sind Neulinge, die sich ihre Berufung verdient haben. Marcel Halstenberg (27/ Leipzig) hat erst ein Länderspiel gemacht, im November 2017 beim 0:0 in England. Er ist wie Klostermann ein Kandidat für die neuralgische Außenverteidigerposition, wo der Kölner Jonas Hector aus nachvollziehbaren Gründen keine Berücksichtigung fand. Hector, 28 Jahre alt, dabei, Müller, 29, gestrichen - diese Variante hätte nicht gepasst.

Auf die Frage nach dem typischen Mittelstürmer bietet der erste Kader 2019 noch keine Antwort. Löw muss es vorne weiter mit den Variablen Werner-Gnabry-Sané probieren, gegen tief stehende Teams, die in dieser EM-Qualifikation noch zu knacken sein werden, muss er es das spielerisch richten - oder einen Mann dieser Spezies Mittelstürmer finden.

Neuer startet als aktuelle Nummer 1

Manuel Neuer startet in dieses Jahr 2019 als aktuelle Nummer 1, betonte Löw, doch er muss sich der Konkurrenz des erstarkten Marc-André erwehren. Leistungskriterien müssen, auch wenn ein Kapitän eine Sonderstellung genießen darf, für alle gelten - eine Selbstverständlichkeit im Profifußball.

Neue Führungsfiguren gesucht

In Löws neuer Auswahl müssen sich nun auch neue Führungsfiguren etablieren, das Münchner Trio hat da Lücken hinterlassen. Neuer (32) und Toni Kroos (29) brauchen andere Partner im Mannschaftsrat, Marco Reus (29), der Dortmunder BVB-Kapitän, ist da nun gefordert, Ilkay Gündogan (28), auch Joshua Kimmich (24) sowie Leon Goretzka (24) als Sprecher der jüngeren Generation. Löw will vom kommenden Montag an, wenn diese DFB-Belegschaft zusammentritt, einige Gespräche führen. Er ist überzeugt vom Potenzial seiner neuformierten Mannschaft und sieht beste Perspektiven.

Der Bundestrainer und seine Jungs müssen nun die Bestätigung liefern. Spätestens bei der EM erfolgt dann die definitive Abrechnung.