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Kristensen im kicker: "Mir ging ordentlich die Düse"

Le-Mans-Rekordsieger im Interview

Kristensen im kicker: "Mir ging ordentlich die Düse"

Er ist "Mr. Le Mans": Rekordsieger Tom Kristensen blickt im kicker-Interview zurück auf 

Er ist "Mr. Le Mans": Rekordsieger Tom Kristensen blickt im kicker-Interview zurück auf  imago images/Motorsport Images

Le Mythos wird 100. Seit 1923 steigt in Le Mans das legendäre 24-Stunden-Rennen, anfangs noch auf einem 100 Kilometer langen Straßenkurs. Die Jubiläums-Ausgabe auf dem heute nur noch 13,6 Kilometer kurzen Circuit de 24 Heures startet am Samstag um 16 Uhr. Mit neun Siegen ist Tom Kristensen der Rekordhalter des Klassikers. Er ist "Mr. Le Mans" - so lautet auch der Titel seiner Autobiografie.

Herr Kristensen, wenn Sie einem Außenstehenden erklären müssten, was die 24 Stunden von Le Mans ausmacht, was würden Sie sagen?

Es ist das größte Autorennen der Welt, eine fantastische Herausforderung für alle Beteiligten. Die ganze Woche dort ist ein Motorsportfestival, aber das Rennen selbst ist das schwerste Rennen überhaupt: Tag und Nacht, oft im Nebel, im Regen, bei einem irrsinnig hohen Tempo. Es gibt für mich nichts Besseres!

Sie haben auch Klassiker wie die 12 Stunden von Sebring gewonnen, Sie siegten in der DTM, waren erfolgreich in Japan und kurz vor dem Einstieg in die Formel 1. Nervt es manchmal, dass Sie immer mit Le Mans in Verbindung gebracht werden?

Nein, keineswegs! Ich bin sogar sehr stolz darauf. Es war immer mein Traum, eines Tages in Le Mans zu fahren. Natürlich hatte ich auch Ambitionen in Richtung Formel 1, aber so, wie es ist, ist es gut. Ich bin Teil einer sagenhaften Erfolgsgeschichte, zunächst mit dem Joest-Porsche, dann mit BMW, Audi und Bentley, da bin ich stolz darauf.

Erster Sieg im ersten Rennen in Le Mans

Ihr erstes Mal in Le Mans war speziell …

(lacht) 1997 kam meine Verpflichtung für Le Mans bei Joest so spät zustande, dass ich den Testtag verpasste. Also fuhr ich abends auf dem Weg ins Hotel mit dem Mietauto zumindest den Teil der Strecke ab, der aus öffentlichen Straßen besteht.

In einem Renault Clio.

Genau. Auf der Hunaudieres-Geraden umfahre ich bei der ersten Schikane die Absperrung, und schon steckt der Clio im Kiesbett! Zum Glück saßen hinter der Leitplanke einige Sportwarte und haben gegrillt. Die Herren kamen aus Pau, wo ich kurz zuvor beim Formel-3000-Rennen genau an jener Stelle ausgefallen bin, an der sie im Einsatz waren. Sie erkannten mich in Le Mans sofort wieder. Und haben wieder geholfen.

Tom Kristensen

Der erste von vielen: 1997 feierte Tom Kristensen seinen ersten Le-Mans-Sieg mit seinen Teamkollegen Stefan Johansson und Michele Alboreto. imago images/Motorsport Images

Nur Tage später feierten Sie Ihren ersten Le-Mans-Sieg. Was war die wichtigste Erfahrung aus der Premiere?

Ich hatte zwei großartige Teamkollegen, Stefan Johansson und Michele Alboreto, die schon in der Formel 1 Erfolge gefeiert hatten, aber noch nicht in Le Mans. Sie sorgten dafür, dass ich mich sehr gut aufgenommen fühlte. Keineswegs von oben herab. Sie hatten sehr gut verstanden, dass sie auch von mir eine gute Leistung brauchten, damit auch sie einen Erfolg feiern konnten.

Danach fuhren Sie für BMW.

Und der Ausfall in Le Mans 1999 war wohl meine größte Enttäuschung im Rennsport. Wir führten mit vier Runden Vorsprung, als der Stoßdämpfer brach.

Sie wechselten zu Audi, es war der Beginn Ihrer Siegesserie.

Ich spürte die tolle Stimmung, den Kampfgeist, der dort herrschte. Gleichzeitig hat mich der Ausfall 1999 auch gelehrt, dass im Motorsport nichts selbstverständlich ist, dass bis zum Schluss irgendwas schiefgehen kann.

Es ging nichts schief, im Gegenteil.

Dass ich dann mit Audi und Bentley ab 2000 sechs Siege in Folge feiern konnte, hat sicherlich auch etwas damit zu tun, dass ich immer versucht habe, diese Erkenntnis auf die anderen Teammitglieder zu übertragen. Immer konzentriert bleiben, nie nachlassen. Das war wichtig für den Erfolg.

Im Frühjahr 2001 bei Testfahrten im Audi verunglückte Alboreto, Ihr Kollege von 1997. Kamen da Zweifel auf, was die Sicherheit betrifft?

Das war unfassbar traurig, Michele war ein so toller Mensch! Bei der Trauerfeier fragte Dr. Ullrich (damals Audi-Sportchef, d. Red.), ob jemand aus dem Team aussteigen möchte. Aber wir alle waren hochmotiviert, Le Mans für Michele zu gewinnen. Der Unfall, verursacht durch einen schleichenden Plattfuß, war der Auslöser für ein neues Warnsystem bei einem Verlust des Reifendrucks.

"Gibt kaum eine Runde ohne ein, zwei haarige Momente"

Wie groß ist das Risiko in Le Mans?

Es gibt kaum eine Runde ohne ein, zwei haarige Momente. Das bleibt bei so vielen Autos und den Speed-Unterschieden zwischen den Prototypen und den GT-Autos nicht aus. Man muss immer abwägen: Überhole ich vor oder lieber doch erst nach der Kurve? Besser innen oder außen? Aber irgendwann weiß man, wer in welchem Auto sitzt, wer wie tickt.

24-Stunden-Rennen von Le Mans

Beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans müssen die Fahrer bei Tag und Nacht in jeglichen Konditionen fahren.  imago images/Motorsport Images

Dazu kommen die äußeren Faktoren.

Manchmal Nebel in der Nacht, oftmals Regen, Öl auf der Strecke, das man in der Dunkelheit nur schwer sieht … Aber das alles macht Le Mans auch speziell, das ist Teil der Herausforderung. Und in meinen ersten Jahren hatten die Prototypen auch noch die Tendenz, abzuheben.

Haben Sie es selbst mal erlebt?

Einmal beim Pre-Qualifying, da bin ich etwa 30 Meter gefahren, in denen die Vorderräder nicht am Boden waren. Ich stand mit dem linken Fuß auf der Bremse und konnte so verhindern, dass ich abhob. Zum Glück! Aber mir ging ordentlich die Düse!

Nach drei Le-Mans-Siegen in Folge war Audi 2003 werksseitig nicht am Start. Sie gewannen dafür im Bentley. Was bedeutet es, Teil der Geschichte der legendären "Bentley Boys" zu sein?

Das ist großartig! Bentley war eine von nur zwei nicht-französischen Marken, die 1923 beim ersten Rennen in Le Mans dabei waren, schon im Jahr darauf gab es den ersten Sieg. Als wir 2003 mit Bentley gewonnen hatten, sind wir mit dem Siegerauto in Paris gefahren, es gab einen Empfang am Hauptsitz in Crewe, im Savoy-Hotel in London, alles wie in den 1920er Jahren. Sie pflegen wirklich diese Geschichte.

Im Jahr darauf dann der Sieg mit dem japanischen Audi-Team Goh und 2005 der Erfolg mit dem US-Team Champion. Wie werten Sie diese Jahre?

Beides waren Privatteams und die Siege daher besonders emotional. Bei Goh gab es wie bei Joest nur ein Auto, also die volle Konzentration auf dieses Fahrzeug. Und mit Champion gewannen wir sowohl in Sebring als auch in Le Mans.

Danach gab es noch zwei weitere Siege mit Audi. Welcher der neun Erfolge ragt für Sie heraus?

Der Erste, das war die Basis für alles, für meine Geschichte in Le Mans. Ich bin 18-mal dort gefahren, stand 14-mal auf dem Podium. Und wenn ich nicht auf dem Podium stand, hat mein Team zumindest immer in Führung gelegen, bis auf 1998 mit BMW. 2008 mit Joest-Audi war auch speziell, und mein letzter Sieg 2013, als mein Landsmann Allan Simonsen leider kurz nach dem Start tödlich verunglückt ist.

Als Rennsportfan kann man sich nichts Besseres wünschen.

Tom Kristensen

Nun feiert Le Mans das 100-jährige Jubiläum, Sie sind offizieller Botschafter. Gibt es eine andere Ära, die Sie gerne als Fahrer erlebt hätten?

Ich durfte schon viele Autos von früher fahren: einen Blower-Bentley, einen Ferrari 166, einen Ford GT40, einen Matra, mehrere Porsche. Aber wenn ich eine Ära wählen müsste: Ende der 1960er, Anfang der 1970er. Das wäre ein Traum, zusammen mit Jacky Ickx und Derek Bell! Aber ich bin auch sehr glücklich über meine Zeit. Immerhin habe ich in drei verschiedenen Jahrzehnten gewonnen, das ist auch eine große Ehre.

Die Sportwagenszene ist im Aufwind, mit den Hypercars und LMDh-Autos kommen zahlreiche Hersteller dazu, die Tickets für Le Mans waren innerhalb von Tagen ausverkauft.

Es verspricht gigantisch zu werden, aber nicht nur in diesem Jahr, denn 2024 kommen sogar noch mehr Hersteller hinzu. In vielen Vorstandsetagen bei Herstellern auf der ganzen Welt hat man den Stellenwert und das Potenzial des Sportwagensports erkannt, besonders in Le Mans, aber auch in der Sportwagen-WM insgesamt. Als Rennsportfan kann man sich nichts Besseres wünschen.

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