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"Jedes Spiel auswärts": Der Zauber der Chargers - Los Angeles hat neben den Rams ein zweites NFL-Eisen im Feuer

Los Angeles hat ein zweites NFL-Eisen im Feuer

"Jedes Spiel auswärts": Der Zauber der Chargers

Anführer der Los Angeles Chargers: Star-Quarterback Philip Rivers (37).

Anführer der Los Angeles Chargers: Star-Quarterback Philip Rivers (37). Getty Images

Ende 2016 hatten sich die damals noch in San Diego ansässigen Chargers dazu entschlossen, wie kurz zuvor die Rams (von St. Louis) dem Ruf der Metropole Los Angeles zu folgen . Seitdem hat L.A. also wieder Football-Teams in der Stadt. Bis jedoch der Prachtbau, das über 2,5 Milliarden US-Dollar teure Inglewood Stadium (City of Champions Stadium) fertig wird, dauert es noch bis 2020.

Und so müssen die Rams in ihrer einstigen Heimstätte (Los Angeles Memorial Coliseum) agieren, die Chargers indes im Mehrzweck-Sportkomplex auf dem Campus der California State University - genauer gesagt im StubHub Center. Bei einer Kapazität von nicht einmal 30.000 Zuschauern mag hier wenig verwunderlich keine tosende Atmosphäre aufkommen - zumal das aus San Diego gekommene Team im insgesamt dritten NFL-Jahr in Los Angeles (1960, 2017, 2018, dazwischen zwischen 1961 und 2016 im knapp zwei Stunden entfernten San Diego) erst wieder auf Fan-Fang gehen muss. Kurzum: Noch sind die Chargers Fremde in der eigenen Stadt, ein Football-Team ohne richtige Heimat, eine Mannschaft ohne große Unterstützung. Die Anhänger der Gäste sind oftmals um ein vielfaches lauter als der "eigene" Block.

Rex Ryan, ehemaliger Head Coach der New York Jets (2009–2014), der Buffalo Bills (2015–2016) sowie heutiger TV-Experte bei "ESPN" und New-England-Patriots-Kritiker sagt dazu ganz schlicht: "Die Chargers spielen jedes Mal quasi auswärts, ohne Frage. Doch wie viele Teams können damit umgehen?"

2017 schon gut, 2018 aber richtig stark

Genau hier kommt der Clou: Die Chargers sind nach einem 0:4-Fehlstart in der 2017er Saison und einer Endbilanz von 9:7 in der Aktualität bärenstark unterwegs. Nach dem jüngsten 29:28 bei den AFC-West-Rivalen aus Kansas City steht das Franchise wie die überzeugenden Chiefs bei 11:3 - und liegt damit in der gesamten NFL im Play-off-Tableau fast gleichauf mit Kansas City und den Rams hinter den New Orleans Saints (12:2, Sieger der NFC South). Derzeit sind sie für viele Experten sogar eines der heißesten Super-Bowl-Eisen im NFL-Feuer - sieben nominierte Spieler für den Pro Bowl sprachen diesbezüglich schon für sich .

LaDainian Tomlinson, ehemaliger Running Back (13.684 Yards, 145 Touchdowns in elf Spielzeiten), Franchise-Legende der Chargers (2001-2009) und heutiger Analyst beim "NFL Network", hatte im Team schon vor Monaten absolutes Super-Bowl-Potential erkannt: "Sie haben den besten Quarterback der Division (Philip Rivers; Anm.d.Red.) und einen der besten der NFL. Und der zweite Punkt ist, dass auch die Defense wieder richtig böse ist. Es gibt einfach viele Gründe, um die Chargers zu mögen."

Anthony Lynn

Äußerst angetan von seinem Team: Anthony Lynn (49). Getty Images

Top-Werte, Top-Chance auf den Titel?

Diese Gründe sehen im Detail wie folgt aus: Mit 28,2 Punkten pro Spiel sind nur die Chiefs (35,6), die Saints (32,8) und die Rams (32) besser. Bei ausgespielten Fourth Downs (87,5 Prozent) haben nur die Chiefs eine bessere Quote (90,9 Prozent). Nur acht erlaubte Interceptions werden nur von den Seahawks (6), den Falcons (6), den Saints (5) und den Packers (3) übertroffen. Und vier geleistete Fumbles sind bester Wert hinter den Broncos (3). In der Defense gewährt das Team von Head Coach Anthony Lynn (seit 2017 im Amt) lediglich 329,1 Total Yards pro Spiel, liegt damit im vorderen NFL-Ligadrittel.

Wenn es eng wird, zuckt auch niemand zusammen. Alle stehen füreinander ein, geben nie auf.

Anthony Lynn, Head Coach der Los Angeles Chargers

Bemerkenswert auch die Moral: Beim 33:30 in Pittsburgh überstand das Team einen 16-Punkte-Rückstand, beim 29:28 in Kansas City einen über 14 binnen weniger Minuten. Angesprochen auf die beste Eigenschaft seiner Truppe sagt Trainer Lynn Folgendes: "Wie die Jungs übereinander denken, sich respektieren, ist schon besonders. In der Umkleide existiert keine Arroganz oder Selbstzufriedenheit. Die Defense glaubt fest an die Offense, die Offense an die Special Teams. Alle spielen füreinander. Wenn es eng wird, zuckt auch niemand zusammen. Alle stehen füreinander ein, geben nie auf."

Auch Verluste steckt das Team weg: Top-Pass-Rusher Joey Bosa, schon jetzt mit seinen 23 Jahren einer der besten seiner Zunft, kommt nach anfänglichem Fehlen erst auf fünf Spiele in dieser Saison (15 Tackles, vier Sacks). Tight End Hunter Henry fehlt weiterhin, Star-Running-Back Melvin Gordon muss seit drei Partien pausieren (rechtes Knie), Ersatzmann Austin Ekeler hat ebenfalls eine Pause gebraucht - und in Kansas City saß auch noch Wideout Keenan Allen (sechs Touchdowns) drei Viertel draußen.

Die Sache mit dem "Fluss und der Flut"

Philip Rivers

Nach dem Sieg bei den Kansas City Chiefs gab's "freundliche" Grüße: Philip Rivers verabschiedet sich mit einem frechen Lächeln. Getty Images

Am Ende wird es aber sicherlich auf einen Mann ankommen - auf Rivers. Der Star-Quarterback spielt einmal mehr herausragend, kommt mit seinen 37 Jahren in 15 NFL-Spielzeiten für die Chargers auf über 50.000 Yards, 373 Touchdowns und nur 174 Interceptions. Keine Frage, dieser Mann wird in die Hall of Fame einziehen. Doch nach wie vor fehlt dem exzentrischen Spielmacher (fast 4000 Yards, 31 TDs und acht Int. in dieser Saison), der sich auf dem Feld immer wieder wahlweise mit den Schiedsrichtern, den Kontrahenten oder den gegnerischen Fans anlegt, ein Einzug in einen Super Bowl, der es natürlich noch sein soll. Im besten Fall mit einem Titel als Krönung.

Dass es damit klappen kann, davon ist auch Head Coach Lynn überzeugt: "In der vergangenen Offseason habe ich die Metapher von Fluss und der Flut verwendet. Ich denke, dass eine Flut auf einen Schlag viel anrichten kann - weil eben ein massiver Schwall Wasser ohne großen Grund wohin zieht. Doch ein Fluss insgesamt ist weitaus effizienter, er fließt stets in eine Richtung - und ist kräftig dabei. Genauso denke ich über dieses Team. Wir sind wie der Fluss." Und dieser Fluss soll die Chargers aus Los Angeles, nicht mehr aus San Diego, zum Titel führen - und damit einhergehend im ganzen Land mehr Fans generieren.

mag

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