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Inbegriff der Zuverlässigkeit: Ein Nachruf auf Bernd Bransch

Zum Tode des langjährigen DDR-Nationalmannschaftskapitäns

Inbegriff der Zuverlässigkeit: Ein Nachruf auf Bernd Bransch

Franz Beckenbauer (li.) und Bernd Bransch bei der Seitenwahl bei der WM 1974.

Franz Beckenbauer (li.) und Bernd Bransch bei der Seitenwahl bei der WM 1974. imago/WEREK

Sollten die anderen doch einen draufmachen an jenem Abend der Abende, nur Stunden nach dem historischen 1:0-Sieg der DDR-Nationalmannschaft im Hamburger Volksparkstadion gegen die Auswahl der Bundesrepublik bei der Weltmeisterschaft 1974. Ein paar seiner Mitspieler zogen auf die Reeperbahn, aber Bernd Bransch blieb im Teamquartier in Quickborn. Zwei Bier hat er sich genehmigt, dann ging er ins Bett. "Zur Reeperbahn", hat er später gesagt, "wollte ich nicht mit, die WM ging für uns ja weiter." Jürgen Sparwasser hat mit seinem Tor gegen den späteren Weltmeister den Ruhm geerntet, aber ohne diesen mit sehr viel Sachlichkeit begabten Bransch wäre die DDR gar nicht zur WM gefahren. Er war der Kapitän und der Libero, und als es um alles ging, im entscheidenden WM-Qualifikationsspiel am 26.September 1973 in Leipzig gegen Rumänien, da nagelte er zwei Freistöße ins gegnerische Tor, 2:0, Ticket gebucht.

Branschs Herzensklub, der Hallesche FC Chemie, ist ein Jahr vor der WM abgestiegen, und ein Nationalspieler in der Zweitklassigkeit, das wäre schwierig geworden, selbst für eine Instanz wie ihn. Bransch hat kurz mit einem Wechsel zu Lok Leipzig geliebäugelt, aber dann doch auf den Auswahltrainer Georg Buschner gehört, der ihm Carl Zeiss Jena ans Herz legte. Es gab darob manch böses Wort in Halle, aber es blieb Branschs einziger Abstecher, und lange hat er nicht gedauert. Nach einem Jahr in Jena ist Bransch wieder zurück nach Halle gegangen, aber diese eine Saison am Fuße der Kernberge war trotzdem eine historische: Bransch wurde mit Carl Zeiss FDGB-Pokalsieger, sein einziger Klubtitel, und fast Meister, aber in den letzten beiden Spielen hat Jena den Vorsprung auf den 1. FC Magdeburg noch verspielt.

"Hergeschenkt haben wir's", hat Bransch später gesagt, "das wurmt mich bis heute." Er pendelte jeden Tag zwischen Halle und Jena, und wenn er nach Abendspielen doch mal in Thüringen blieb, übernachtete er meistens bei Peter Ducke. Das war ein ziemlich lustiges Gespann: der auf und neben dem Platz unberechenbare Ducke und der von den Zehen- bis in die Haarspitzen nüchterne, disziplinierte Bransch. "Peter", hat Bransch später fast ohne Schmunzeln gesagt, "hat nicht auf viele gehört, auf mich schon."

Bransch musste sich vieles erarbeiten

Auf ihn hörten sie alle. Bransch hatte nie das überbordende Talent wie andere, er musste sich vieles erarbeiten, und das machte er mit sehr viel Fleiß und Ernsthaftigkeit. Horst Sockoll und der spätere Magdeburger Jahrhunderttrainer Heinz Krügel formten Bransch in jungen Jahren in Halle. Er begann als linker Läufer und machte die ersten seiner 72 Länderspiele als Linksverteidiger, ehe er Abwehrchef wurde - und was für einer. 1967 debütierte er für die Nationalmannschaft in Schweden, gemeinsam mit Jürgen Croy. Und schon im Jahr danach wurde Bransch DDR-Fußballer des Jahres und 1974, im WM-Jahr, nochmal. Er war ein Anführer, aber die dröhnenden Töne und die effektheischenden Gesten überließ er anderen. Er musste Autorität nicht simulieren, er hatte sie.

Und kritisch war er auch, zu sich selbst und zu den anderen. So erfolgreich die DDR-Elf bei der WM 1974 in der 1. Finalrunde auftrat, so zaudernd fand Bransch sie in der 2. Finalrunde. "Mumm und Überzeugung haben uns allen gefehlt, dem Trainer und uns Spielern", hat er 30 Jahre danach dem kicker gesagt. "Gegen Holland hatten wir keine Chance. Aber Brasilien unterlagen wir unglücklich, und Argentinien hätten wir schlagen müssen. Das kleine Finale wäre für uns machbar gewesen." 1972, bei Olympia in München, als die DDR Bronze holte, stand Bransch in seiner Blüte. 1976 in Montreal, als es Gold gab, war er keine Stammkraft mehr, aber Buschner wechselte Bransch im Finale gegen diese beinahe unverschämt talentierten Polen um Szarmach, Lato und Deyna fünf Minuten vor Schluss für Hans-Jürgen Riediger ein. Es war eine Geste des Respekts und des Danks.

Er war alles für den HFC - und der HFC war alles für ihn

Bransch war bei seinem HFC fast alles: Spieler, Klubvorsitzender, nach der Wende kurz Präsident, Manager und im neuen Jahrtausend sportlicher Berater, und zwischendurch hat er sich auch um die Traditionspflege gekümmert. Er war der HFC. Nur Trainer mochte er dort nicht sein, und er hatte eine unschlagbare Begründung: "Ich wollte nie Prügel beziehen für Dinge, die ich nicht beeinflussen kann." Also hat er nur unterklassig trainiert, in Kannawurf und beim FSV 67 Halle. In Branschs Leben gab es weißgott nicht nur Sonnentage. Er war beim Flammen-Inferno 1971 dabei, als der HFC vorm UEFA-Cup-Spiel in Eindhoven die größte Tragödie seiner Klubgeschichte erlitt und unter den Todesopfern im Hotel Branschs junger Mitspieler Wolfgang Hoffmann war.

Nach der Wende war Bransch zeitweise arbeitslos, der frühe Krebs-Tod seiner Ehefrau Brigitte warf ihn zeitweilig aus der Bahn. Bransch hat sich danach wieder aufgerappelt, privat und auch sonst, und wer ihn kannte, gönnte ihm das mit jeder Faser. Der HFC hat glanzvolle Spieler hervorgebracht, all die Klaus Urbanczyk, Erhard Mosert, Dieter Strozniak, Norbert Nachtweih, Werner Peter, Frank Pastor, Dariusz Wosz und René Tretschok haben Geschichten und Geschichte geschrieben. Aber der am Samstag verstorbene Bransch, dieser sachliche Arbeiter, der auf dem Platz in 317 Oberligaspielen der Inbegriff der Zuverlässigkeit war und mit dem das Leben ein paarmal Achterbahn gefahren ist, war der größte Sohn des Vereins, und er bleibt es. Übrigens hat Berti Vogts nach dem Abpfiff des deutsch-deutschen Duells 1974 zu ihm gesagt: "Wir sehen uns im Endspiel wieder." Es ist dann anders gekommen, aber gut geklungen hat der Satz natürlich trotzdem.

Steffen Rohr